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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, keine rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 07.10.2020 - 3 Qs 109/20

Leitsatz: Zur Frage der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers.


3 Qs 109/20

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
betreffend pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Siebers, Braunschweig

Wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln

hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am 07.10.2020 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des vormaligen Beschuldigten gegen die Nichtbescheidung seines Antrags vom 12.01.2020 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

Gegen den Beschwerdeführer wurde durch die Staatsanwaltschaft Halle wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ermittelt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.01.2020 beantragte der Beschwerdeführer, ihm Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen, da dieses aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten sei.

Mit Verfügung vom 14.01.2020 teilte die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dass die Ermittlungen binnen einer Woche abgeschlossen sein würden und die Akte, sobald sie bei der Staatsanwaltschaft eingehe, im Hinblick auf den Beiordnungsantrag dem Amtsgericht Halle (Saale) übersandt werde. was sodann auch mit Verfügung vom 17.01.2020 geschah. Zugleich beantragte die Staatsanwaltschaft, den Antrag abzulehnen, da kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege.

Im Rahmen einer Verfügung vom 30.01.2020 vermerkte der zuständige Richter am Amtsgericht, dass seines Erachtens eine Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Verteidigers des Beschwerdeführers auf Bestellung als Pflichtverteidiger derzeit nicht veranlasst sei. Zur Begründung verwies er auf die vor dem 13.12.2019 geltende Rechtslage. Zugleich wurde die Rücksendung der Akte an die Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung verfügt.

Mit Verfügung vom 11.02.2020 gewährte die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger des Beschwerdeführers die Akteneinsicht für drei Tage.

Mit Schreiben vom 17.02.2020 übersandte der Verteidiger die Akte nach Einsichtnahme zurück an die Staatsanwaltschaft.

Am 27.08.2020 verfügte die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer gemäß § 154 Abs. 1 StPO, da er durch Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 18.05.2020, rechtskräftig seit dem 26.05.2020, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden war.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.09.2020 legte der vormalige Beschuldigte sofortige Beschwerde gegen die faktische Ablehnung der Beiordnung als Pflichtverteidiger durch die Einstellung des Verfahrens ein. Zur Begründung führte er aus, dass nach der Neuregelung der Pflichtverteidigung vom "13.12.2020" unverzüglich dem Gericht hätte vorgelegt und unverzüglich hätte beigeordnet werden müssen. Die Einstellung, im Vorverfahren bedürfe es des Antrags der Staatsanwaltschaft, sei seit dem „13.12.2020" obsolet. In solchen Fällen sei nach der jetzt unwidersprochenen herrschenden Meinung auch die nachträgliche Beiordnung zwingend, wenn die Staatsanwaltschaft in Gesetzesunkenntnis oder in Gesetzesverweigerung nicht vorgelegt habe.

Die Staatsanwaltschaft nahm mit Verfügung vom 04.09.2020 unter Hinweis auf den durch den Verteidiger des Beschwerdeführers unzutreffend dargestellten Verfahrensgang dahingehend Stellung. dass für eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung kein Raum sei. Nach zwischenzeitlicher Kenntnisnahme des zuständigen Richters am Amtsgericht übersandte die Staatsanwaltschaft die Sache mit Verfügung vom 24.09.2020 dem Landgericht zur Entscheidung.

Die sofortige Beschwerde des vormaligen Beschuldigten gegen die Nichtbescheidung seines Antrags vom 12.01.2020 ist gemäß § 142 Abs. 7 S. 1 StPO zulässig. Auch nach der Neuregelung des Rechtsmittels gegen gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers muss dieses auch gegen die Nichtbescheidung eines Beiordnungsantrages zulässig sein, da diese dessen Ablehnung gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 141 Rn. 10 m. w. N.). Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO hat in diesen Fällen mangels wirksamer Bekanntmachung einer Entscheidung nie zu laufen begonnen.

Gleichwohl hat die sofortige Beschwerde in der Sache keinen Erfolg.

Da das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27.08.2020 gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist, kommt lediglich eine rückwirkende Bestellung des Verteidigers als Pflichtverteidiger im Sinne des § 140 StPO in Betracht. Jedoch gilt auch nach neuer Rechtslage zu den §§ 140 ff. StPO seit dem 13.12.2019 unverändert, dass - jedenfalls im Grundsatz - eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers unzulässig ist, da bei den §§ 140 ff. StPO stets die Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung eines Beschudigten im Vordergrund steht und dieser nach der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens keinerlei Bedeutung mehr zukommt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt. a. a. 0.. § 141 Rn. 8). Ob von diesem Grundsatz ausnahmsweise dann abzusehen ist, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1. 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Magdeburg, Beschluss vom 20.02.2020 - 29 Qs 2/20, BeckRS 2020, 2477 m. w. N.), kann hier dahinstehen. da die Voraussetzungen jedenfalls nicht vorliegen. Obgleich wohl bereits die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO hier nicht gegeben waren, liegen die Voraussetzungen einer nachträglichen Beiordnung bereits deswegen nicht vor, weil die gerichtliche Entscheidung über den Beiordnungsantrag des Beschwerdeführers vorliegend bereits weit vor der Einstellung des Verfahrens durch den Beschwerdeführer selbst ohne weiteres hätte herbeigeführt werden können. Zwar ging das Amtsgericht im Rahmen seines Vermerks vom 30.01.2020 und seines derzeitigen Absehens von einer Entscheidung über den Beiordnungsantrag von einer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr z treffenden Rechtslage aus. Jedoch erhielt der Verteidiger des Beschwerdeführers - ausweislich der Akte - unmittelbar danach, nämlich mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 11.02.2020, Akteneinsicht, die er auch selbst durch Schreiben vom 17.02.2020 bestätigte, und hatte demnach Kenntnis von der unzutreffenden Rechtsauffassung des Amtsgerichts und dessen Absicht, nicht über den Beiordnungsantrag zu entscheiden. Es war dem vormaligen Beschuldigten somit spätestens seit dem 17.02.2020 ohne weiteres möglich gewesen, im Rahmen des laufenden Verfahrens gegen die Nichtbescheidung des Beiordnungsantrags durch das Amtsgericht vorzugehen. Das erfolgte indes ohne ersichtlichen Grund bis zur Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer am 27.08.2020, also mehr als ein halbes Jahr später, nicht.

Anhand dessen wird offensichtlich, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit hatte, Einfluss auf die zunächst behördenintern geäußerte Absicht, den Beiordnungsantrag jedenfalls während des Ermittlungsverfahrens noch nicht zu bescheiden, zu nehmen. weshalb ein ausnahmsweises Absehen von dem Grundsatz der Unzulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens hier nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Seite 5/5


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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