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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, keine rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ansbach, Beschl. v. 09.11.2020 - 3 Qs 48/20

Leitsatz: Die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist auch nach neuem Recht nicht zulässig.


In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen Hausfriedensbruchs

hier: sofortige Beschwerde des Beschuldigten pp.
erlässt das Landgericht Ansbach - 3. Strafkammer als Beschwerdekammer - durch die unterzeichnenden Richter am 9. November 2020 folgenden

Beschluss

1. Die sofortige Beschwerde vom 24.09.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 20.09.2020 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Gründe:

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Ermittlungen der Polizeiinspektion Ansbach am 06.06.2020 wegen eines Hausfriedensbruchs ermittelt. Die Daten des Beschuldigten wurden durch die Polizeiinspektion erhoben.

Mit Schreiben vom 29.06.2020 zeigte sich die Kanzlei pp. für den Beschuldigten an und beantragte Akteneinsicht sowie die Bestellung als Pflichtverteidiger für den Be-schuldigten, da die Sach- und Rechtslage vorliegend schwierig sei.

Mit Verfügung vom 20.08.2020 hat die Staatsanwaltschaft Ansbach das Verfahren gemäß § 154 StPO behandelt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 21.09.2020 wurde der Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 24.09.2020, eingegangen am 25.09.2020.

II.

1. Die Beschwerde ist gern. § 304 I StPO statthaft, da die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 142 Abs. 7 StPO mit der (sofortigen) Beschwerde anfechtbar ist.

Der Verteidiger hat zwar kein eigenes Beschwerderecht. Vorliegend ergibt sich jedoch aus der Zusammenschau des Beiordnungsantrages und der Beschwerdeschrift noch hinreichend deutlich, dass die Beschwerde für den Beschwerdeführer eingelegt worden ist.

2. Die Beschwerde ist aber unzulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechts-mittels ist unter anderem das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. BGHSt 28, 327, 330; 16, 374; Meyer-Goßner, vor § 296 StPO Rn. 8 m.w.N.). Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die ergangene (oder abgelehnte) Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den Betroffenen enthält, seine Rechte und geschützten Interessen eine unmittelbare Beeinträchtigung erfahren haben und wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwägung dem Beschwerdeführer die Aus-sicht auf eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; 7, 153; BGH wistra 1999, 347). Daran fehlt es hier. Denn das Verfahren war mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Ansbach vom 20.08.2020, von der Verfolgung des Beschwerdeführers gern. § 154 Abs. 1 StPO abzusehen, endgültig abgeschlossen. Für die Führung der Verteidigung besteht demnach kein Bedürfnis mehr (vgl. OLG Düsseldorf JZ 1984, 756; KG Beschl. v. 9.3.2006 5 Ws 563/05, BeckRS 2006, 3283, beck-online). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers dient (BGH, NStZ-RR 2009, 348, beck-online), sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfGE 39, 238, 242; OLG Düsseldorf StV 1984, 66; wistra 1992, 320; Senat, Beschluss vom 11. 2. 2005 — 5 Ws 656104 — in www.burhoff.de -). Diese Interessenlage ist entfallen.

3. a) Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung abgeschlossene Verfahren ist auch nach der aktuellen Rechtslage nach Änderung der §§ 141 ff StPO schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung nach §141 Abs. 1 StPO beantragt hatte (vgl. zur bisherigen Rechtslage BGH StV 1997, 238; StV 1989, 378; KG, a.a.O., OLG Köln NJW 2003, 2038; OLG Düsseldorf StraFo 2003, 94; NStZ-RR 1996, 171; StV 1984, 66; JurBüro 1984, 718; OLG Hamm StraF0 2002, 397; OLG Koblenz — 2. Strafsenat — NStZ-RR 1997, 384; OLG Celle NdsRpfl, 19; OLG Karlsruhe RPfl 1986, 149).

b) Die rückwirkende Bestellung wurde allerdings, unter verbaler Wahrung des Grundsatzes, wonach sie regelmäßig unwirksam ist, in Teilen der landgerichtlichen Rechtsprechung dann für geboten gehalten, wenn der Antrag auf Beiordnung — wie hier auch - rechtzeitig gestellt und vom Gericht nicht, nicht rechtzeitig, ohne Gründe (vgl. LG Potsdam StraFo 2004, 381 = StV 2005, 83) oder fehlerhaft (vgl. LG Magdeburg StraFo 2003, 420 = StV 2005, 84 Ls) beschieden worden ist und die Voraussetzungen der Beiordnung vorgelegen hätten. Begründet wurde dies - schon nach der alten Rechtslage - damit, dass der Antrag des Verteidigers nicht dem Zweck gedient habe, ihm einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sicherstellen sollte. Verzögerungen oder Fehler von Seiten des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft dürften sich dann nicht zum Nachteil des Beschuldigten (oder damals: des Angeklagten) auswirken. Die damalige und auch heutige Argumentation schloss damit, dass wenn man mit der herrschenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Ansicht die rückwirkende Bestellung nicht zulasse, der Beschuldigte die Sorge haben müsse, von einem Rechtsanwalt verteidigt zu werden, der seinerseits befürchtet, keine Vergütung zu erhalten, was sich strukturell und inhaltlich auf den effektiven Rechtsschutz auswirke (vgl. LG Bremen StV 2004, 126, 127).


4. Die Kammer bleibt bei ihrer Auffassung, dass eine nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht möglich ist. Für ein abgeschlossenes Verfahren darf ein Pflichtverteidiger unter keinen Umständen rückwirkend bestellt werden, weil eine solche Bestellung auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist. Der Verteidiger hat seine Leistung bereits als Wahlverteidiger auf Grund eines Mandatsverhältnisses abschließend erbracht. Die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger ein-setzende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tätigwerden kann er nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr erfüllen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. 7. 2000 — 1 Ws 206/00 — www.bur-hoff.de/rspritexte/q_00022.htm m.w.N.). Die Neufassung der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO ändert daran nichts. Die relevante und referierte obergerichtliche Rechtsprechung schloss eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung auch dann aus, wenn die Voraussetzungen für eine Verpflichtung nach altem Recht vorlagen, der Antrag gestellt war und dann fehlerhaft nicht vor Ein-stellung oder anderer Erledigung des Verfahrens nicht verbeschieden wurde. Dies sind aber dieselben Voraussetzungen, nach denen der Beschwerdeführer nach neuer Rechtslage eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers erreichen will. Das Ansehen ist mit den gleichen Argumenten, die richtigerweise schon nach alter Rechtslage vorgebracht wurden, abzulehnen.

5. Ergänzend ist noch anzumerken, dass hier tatsächlich zum Zeitpunkt der Antragstellung die materiellen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht vorgelegen haben. Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts in dem angegriffenen Beschluss vom 21.09.2020 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA S. Jungkunz, Nürnberg

Anmerkung:


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