Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 09.09.2019 2 Ws 141/19
Leitsatz: Von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO darf nur abgesehen werden, wenn der Untergebrachte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft unmissverständlich und ausdrücklich darauf verzichten.
KAMMERGERICHT
Beschluss
2 Ws 141/19 121 AR 201/19
In der Unterbringungssache
gegen pp.
wegen schweren Raubes u.a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 9. September 2019 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin Strafvollstreckungskammer vom 2. August 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 2. Juni 2016 ordnete das Landgericht Berlin die Unterbringung des den Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Die Maßregel wird − im Anschluss an die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers − seit Rechtskraft des Urteils am 10. Juni 2016 vollstreckt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin − Strafvollstreckungskammer − erneut die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Untergebrachte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 15. August 2019.
II.
Das Rechtsmittel des Untergebrachten ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO), rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO) und hat auch in der Sache (zumindest vorläufigen) Erfolg.
1. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem wesentlichen Verfahrensfehler, der zu ihrer Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer führt. Denn rechtsfehlerhaft wurde der mit der Begutachtung des Beschwerdeführers beauftragte Sachverständige nicht zur Frage der Fortdauer der Unterbringung mündlich angehört.
Gemäß §§ 463 Abs. 1 Satz 1, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist (auch) der beauftragte Sachverständige regelmäßig mündlich anzuhören. Die Verpflichtung, diesen mündlich zu hören, dient nicht nur der Verwirklichung des Anspruchs des Untergebrachten auf rechtliches Gehör, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit (gestützt auf aktuelles, geprüftes Expertenwissen) gewährleisten (vgl. Senat, Beschluss vom 14. August 2013 2 Ws 395/13 ). Die mündliche Erörterung des Sachverständigengutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten soll diesen Gelegenheit zur Mitwirkung im Anhörungstermin bieten und insbesondere ermöglichen, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Januar 2013 2 Ws 17/13 , juris; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, 26. Aufl. § 454 Rn. 66). Nur durch seine mündliche Anhörung kann der Zweck dieser Bestimmung, die wichtigste Entscheidungsgrundlage eingehend zu diskutieren und zu hinterfragen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Februar 2007 1 Ws 85/07 , juris = StraFo 2007, 302), erreicht werden.
Zwar sieht § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO die Möglichkeit vor, dass das Gericht von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen kann. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Untergebrachte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft (ausdrücklich) darauf verzichten. Diese Voraussetzungen waren vorliegend jedoch nicht erfüllt. Bei Nichtanhörung des Sachverständigen trotz Fehlens eines solchen Verzichts liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Januar 2001 1 Ws 809/00 , juris = StV 2001, 304).
Vorliegend bat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer die Verfahrens-beteiligten nach Eingang des schriftlichen Gutachtens mit Schreiben vom 5. Juli 2019 um Mitteilung, ob auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Hierauf erklärte indes lediglich die Staatsanwaltschaft diesen Verzicht. Der Verteidiger teilte hingegen mit, dass er sowie der Untergebrachte ungern auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichten, dies aber durch das Gericht entscheiden lassen würden.
Dass der Untergebrachte und sein Verteidiger sodann an dem Termin teilnahmen und die fehlende Anwesenheit des Sachverständigen nicht rügten, stellt sich nicht als konkludenter Verzicht iSd. § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO dar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. § 454 Rn. 37d).
Entsprechend einer handschriftlichen Ergänzung des Terminsvermerks erklärte zwar der Verteidiger in dem Anhörungstermin am 2. August 2019, auf die Anhörung des Sachverständigen zu verzichten. Jedoch fehlt es an einem ausdrücklichen Verzicht des Untergebrachten. Das bloße Schweigen des Untergebrachten stellt keinen wirksamen Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen dar und auch die Verzichtserklärung des Verteidigers ersetzt diejenige des Untergebrachten grundsätzlich nicht. Soweit der Untergebrachte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichten, muss ihre Erklärung eindeutig sein. Verbleiben Zweifel, ob eine Verzichtserklärung eindeutig und wirksam ist, so ist der Sachverständige mündlich zu hören (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, aaO Rn. 63).
2. Der aufgezeigte Verfahrensfehler muss zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer führen, da der Senat nicht nach § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst entscheiden kann (vgl. Senat aaO; OLG Nürnberg NStZ-RR 2004, 318; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO § 309 Rn. 8 mwN). Zwar kann das rechtliche Gehör grundsätzlich im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden. Jedoch stellt das Unterlassen einer wie hier zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung des Sachverständigen einen im Beschwerderechtszug nicht heilbaren Verfahrensmangel dar (vgl. Senat aaO; KG, Beschluss vom 18. August 2014 5 Ws 2/14 ). Die Strafvollstreckungskammer wird deshalb nun eine erneute Anhörung des Untergebrachten und des Sachverständigen durchzuführen und in der Sache neu zu entscheiden haben.
III.
In dieser Zwischenentscheidung ist über die Kosten und Auslagen nicht zu befinden. Wem sie aufzugeben sind, wird die Strafvollstreckungskammer entscheiden.
Einsender: VorsRi KG O. Arnoldi, Berlin
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