Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 12.08.2020 - 1 Ws (s) 154/20
Leitsatz: Eine Terminsgebühr für einen sog. "geplatzten Termin (Vorbem. 4 Abs.3 Satz 2 VV) entsteht nur, wenn der Rechtsanwalt körperlich im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Termin erscheint; das bloße Antreten der Anreise reicht nicht aus.
BESCHLUSS
1 Ws (s) 154/20
OLG Naumburq
In dem Kostenfestsetzungsverfahren
in der Strafsache
gegen pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg
am 12. August 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer -Schwurgerichtskammer - des Landgerichts Magdeburg vom 15. April 2020 aufgehoben, soweit zugunsten des Nebenklägervertreters für den Termin vom 7. Oktober 2019 eine Terminsgebühr in Höhe von 424,00 Euro nebst Mehrwertsteuer in Höhe von 80,56 Euro festgesetzt worden ist.
Der diesbezügliche Antrag des Nebenklägervertreters wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Der den Nebenklägern als Terminsvertreter für den Nebenklägervertreter Rechtsanwalt G. beigeordnete Rechtsanwalt E. nahm an den insgesamt 6 Hauptverhandlungstagen vom 26. sowie 27. September, 2., 9., 10. und 16. Oktober 2019 als Vertreter für den Nebenklägervertreter teil.
Rechtsanwalt E. beantragte unter dem 17. Oktober 2019 für seine Tätigkeit im Straf-verfahren Kosten und Auslagen in Höhe von 5.377,73 Euro festzusetzen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2019 hat die Kostenbeamtin des Landgerichts Magdeburg die Rechtsanwalt E. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 4.620,89 Euro festgesetzt und Absetzungen vorgenommen.
Hiergegen wendete sich Rechtsanwalt E. mit seinem als "sofortige Beschwerde" be-zeichneten Rechtsbehalt vom 17. Dezember 2019, die als Erinnerung zu behandeln war. Dieser hat die Kostenbeamtin nicht abgeholfen.
Die Strafkammer hat die Sache auf sie zur Entscheidung über die Erinnerung übertragen und die Rechtsanwalt E. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 5.125,45 Euro festgesetzt. Unter anderem hat sie zugunsten von Rechtsanwalt E. gemäß Ziff. 4120 VV-RVG eine Terminsgebühr von 424,00 Euro nebst Umsatzsteuer gemäß Ziff. 7008 VV-RVG für einen Termin am 7. Oktober 2020, der nicht stattgefunden hatte, festgesetzt. Die weitergehende Erinnerung hat sie als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss hat sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts Magdeburg mit der Beschwerde vom 20. April 2020 gewandt und diese mit Schriftsatz vom 27. April 2020 begründet. Mit ergänzendem Schreiben vom 29. Mai 2020 hat sie klargestellt, dass sie eine richtungsweisende Entscheidung zu der noch streitigen Problematik Terminsgebühr für einen geplatzten Termin", also den Termin vom 7. Oktober 2019, anstrebe.
Die Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 5. Mai 2020 nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 56 Abs. 2 S.1 RVG i. V. m. § 33 Abs. Abs. 3 S.2 RVG zulässige Beschwerde der Landeskasse hat in der Sache Erfolg.
Die Strafkammer hat dem Terminsvertreter des Nebenklägervertreters zu Unrecht auch für den Hauptverhandlungstag vom 7. Oktober 2019 die beantragte Gebühr nebst Umsatzsteuer gemäß Ziff. 4120 VV-RVG, Ziff. 7008 VV-RVG zuerkannt.
Am Ende des Hauptverhandlungstermins vom 2. Oktober 2019 hatte der Vorsitzende angeordnet, dass die Verhandlung am 7. Oktober 2019 um 9.00 Uhr fortgesetzt werde. Sodann waren die Termine vom 7. und vom 8. Oktober 2019 wegen einer Erkrankung des Vorsitzenden aufgehoben worden.
Der Anruf der Geschäftsstelle, mit dem Rechtsanwalt E. von der Aufhebung der Termine vom 7. und vom 8. Oktober 2019 informiert worden war, erreichte diesen nach Antritt der Fahrt auf der BAB 2 kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord.
Die Entfernung zwischen Burgwedel und dem Landgericht Magdeburg beträgt rund 150 km (1 Stunde 50 Minuten). Zur Zeit des Anrufs der Geschäftsstelle hatte Rechtsanwalt E. eine Strecke von rund 60 km zurückgelegt.
Gemäß Vorbemerkung 4 Abs.3. S.2 u. 3 zu VV-RVG erhält ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die gerichtliche Terminsgebühr setzt also die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einer Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache voraus und erfordert die Anwesenheit in seiner Eigenschaft als Verfahrensbeteiligter Rechtsanwalt (vgl. Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Auflage, VV 4106, 4107 Rn. 7). Dabei ist unerheblich, in welchem Umfang ein Rechtsanwalt in einem Termin seine Tätigkeit entfaltet. Maßgeblich für die Entstehung der Terminsgebühr ist also nach dem eindeutigen Wortlaut der zitierten Bestimmung die Teilnahme des Rechtsanwalts im Hauptverhandlungstermin.
Von dieser Regelung abweichend erhält ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG). Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt hat (Vorb. 4 Abs. 3 S. 3 VV RVG).
Nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften setzt also das Entstehen der Terminsgebühr in diesem Ausnahmefall seine körperliche Anwesenheit im Gerichtsgebäude voraus.
Entgegen dem angefochtenen Beschluss, der sich wohl der in der Literatur vertretenen Ansicht, vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage, Vorb. 4 W Rn. 40, anschließt, geht der beschließende Senat davon aus, dass der Begriff des Erscheinens keiner Auslegung zugänglich ist. Der Begriff des Erscheinens bedarf auch keiner engen Auslegen, sondern bezieht sich eindeutig auf eine körperliche Anwesenheit, OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. November 2011, Az.: 2 Ws 135/11, zitiert nach juris. Wollte man bereits die Anreise zu einem Gerichtstermin für ein Erscheinen im Sinne der Vorschrift ausreichen lassen, würde dies zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen, vgl. OLG München, Beschluss vom 13. November 2007, Az.: 1 Ws 986/07, und Beschluss vom 23. April 2018, Az.: 6 St (K) 12/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. November 2011, Az.: 2 Ws 135/11, zitiert nach juris.
Eine Anreise kann nämlich auf verschiedene Arten erfolgen. Beginnt die Anreise schon dann, wenn ein ortsansässiger Rechtsanwalt, der das Gerichtsgebäude zu Fuß aufsucht, sein Büro verlassen hat, oder ist eine Annäherung an das Gebäude erforderlich? Hätte vorliegend die Anreise schon beim Losfahren am Kanzleisitz des Rechtsanwalts begonnen? Kann eine dem Erscheinen gleichzusetzende Anreise erst angenommen, wenn 1/3 oder mehr der Wegstrecke zurückgelegt worden ist?
Diese Unsicherheiten in der Abgrenzung zeigen, dass das Erscheinen des Rechtsanwalts im Sinne von Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 W RVG erst anzunehmen ist, wenn dieser körperlich im Gericht anwesend ist.
Wie das Oberlandesgericht München in der oben zitierten Entscheidung aus dem Jahr 2018 ausgeführt hat, findet die Ansicht des Senats ihre Bestätigung in den Gesetzesmaterialen, BT-Drs. 15.1971, dass der Gesetzgeber den nutzlosen Zeitaufwand nur in den Fällen vergütet wissen will, in denen der Rechtsanwalt auch zu einem Hauptverhandlungstermin erscheint.
Nach alledem ist am 10. Oktober 2019 eine Terminsgebühr gemäß § 1421 i.V.m. Vorb. 4 Abs. 3 VV RVG nicht angefallen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei, § 56 Abs. 2 S. 2 RVG; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 S. 3 RVG.
Einsender: RA B. Eickelberg, Burgwedel
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