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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Erkennungsdienstliche Behandlung, Beschuldigteneigenschaft, Wiederholungsgefahr

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Köln, Beschl. v. 08.07.2020 - 20 L 659/20

Leitsatz: 1. Zur Annahme der Beschuldigteneigenschaft eines zunächst als Zeugen am Verfahren Beteiligten ist ein nach außen erkennbarer Akt, aus dem sich der Wechsel zum Beschuldigten ergeben könnte, erforderlich.
2. Zur Annahme von Wiederholungsgefahr.


Verwaltungsgericht Köln
Beschluss
20 L 659/20

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
des Herrn pp.
Antragstellers,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte

gegen

die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundespolizeidirektion pp.
Antragsgegnerin,

wegen Polizeirecht

hat die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln am 08.07.2020
durch pp. beschlossen:

1. Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die Verfügung des Beklagten vom 10.02.2020 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der wörtliche Antrag des Antragstellers „auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs" ist unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers (§ 88 VwGO) sinngemäß dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschie-benden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die streitgegenständliche Verfügung des Beklagten vom 10.02.2020 begehrt.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.

Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt haben nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGOgrundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt indessen nicht, wenn die Behörde, wie hier, die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Auf Antrag kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGOdie aufschiebende Wirkung einer Klage oder eines Widerspruchs wiederherstellen. Dabei ist der Antrag bereits vor Erhebung der Klage zulässig, § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Entgegen des wörtlichen Antrags des Antragstellers ist jedoch nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller am 14.02.2020 erhobenen Widerspruchs gewollt, sondern vielmehr die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung vom 10.02.2020. Denn gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist nach § 68 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VwGOi.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW ein Widerspruch nicht statthaft. Die wörtliche Antragstellung dürfte hier allerdings maßgeblich auf der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 10.02.2020 beruhen, in welchem der Beklagte auf die Möglichkeit des Widerspruches verweist. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers war der Antrag daher entsprechend auszulegen.

Der so verstandene Antrag ist auch zulässig. Insbesondere ist die Erhebung einer Klage noch fristgemäß möglich. Ist die Rechtsmittelbelehrung, wie hier hinsichtlich des zu erhebenden Rechtsmittels sowie des anzurufenden Gerichts, fehlerhaft, gilt die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht. Die Einlegung der Klage ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres zulässig.

Der so verstandene Antrag ist auch begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegen-einander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse grundsätzlich nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt grundsätzlich kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung.

Gemessen daran ist dem Antrag stattzugeben. Bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist rechtswidrig. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung erweist sich nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand voraussichtlich ebenfalls als rechtswidrig, sodass das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist mangels Begründung rechtswidrig,_ Ordnet die Behörde die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO an, so ist nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dabei reicht es nicht aus, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen oder auf die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu verweisen. Erforderlich für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist vielmehr ein besonderes öffentliches Interesse über das allgemeine Vollzugsinteresse hinaus. Die Behörde muss durch eine schlüssige, konkrete und substantiierte Darlegung der Begründung der sofortigen Vollziehung erkennen lassen, dass sie sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst ist.
Vgl. auch Funke-Kaiser, in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 2018, § 80 Rn 54 f. mwN.

Diesen Anforderungen wird der Bescheid vom 10.02.2020 nicht gerecht. Die Be-gründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung erschöpft sich darin, auf die mögliche Wiederholungsgefahr sowie auf den Zweck der Maßnahme (Vorbeugung, Sicherung und Verhinderung zukünftiger Straftaten) hinzuweisen. Weder ist die Begründung einzelfallbezogen, noch ergibt sich daraus ein etwaiges besonderes Vollziehungsinteresse. Eine solche Begründung wurde bisher auch nicht nachgeholt.

Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt darüber hinaus auch deswegen, weil der angegriffene Bescheid voraussichtlich rechtswidrig ist.

In formeller Hinsicht begegnet der Bescheid bereits Bedenken, da eine Anhörung gemäß § -28 Abs. 1 VwVfG NRW nicht erfolgt ist und auch nicht nach § 28 Abs. 2 VwVfG NRW entbehrlich ist. Daraus allein folgt jedoch nicht das Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers, da die Anhörung bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens durch den Beklagten nachgeholt werden kann.

Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist allerdings auch materiell rechtswidrig.

Nach § 81b 2. Alt. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Es fehlt bereits an der Beschuldigteneigenschaft des Antragstellers.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 81b 2. Alt. StPO sind die Maßnahmen nur gegen den Beschuldigten zulässig. Beschuldigter ist, gegen den das Verfahren auf der Grundlage zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Straftat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO betrieben wird. Dabei bedarf es nicht der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Es genügt vielmehr, dass gegen den Betroffenen mit dem Willen der Strafverfolgung eine Maßnahme ergriffen wird, die nur gegen einen Beschuldigten gerichtet werden kann oder wenn die Staatsanwaltschaft nach §§ 161, 162 StPO um die Vernehmung einer Person als Beschuldigter ersucht. Zwar besteht bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO kein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der Aufnahme und Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Behandlung. Die Voraussetzung, dass der Adressat der Maßnahme Beschuldigter ist, gewährleistet jedoch, dass die Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpft und nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt ergeht, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgeht und sich die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens ergibt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2018 - 6 C 39/16 - juris Rn 16; Brauer, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 81b, Rn 5 f. mwN.

Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung nicht vor. Die letzte gegen ihn geführte Maßnahme vor der erkennungs-dienstlichen Behandlung ist die Vorladung zur Vernehmung als Zeuge am 29.01.2020. Soweit der Antragsgegner vorträgt, der Statuswechsel zum Beschuldig-ten erkläre sich durch die im Laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse durch die Auswertung der elektronischen Speichermedien, mag dies inhaltlich zutreffen. Ein nach außen erkennbarer Akt, aus dem sich der Wechsel zum Beschuldigten ergeben könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.

Darüber hinaus fehlt auch die für eine erkennungsdienstliche Behandlung erforderliche Wiederholungsgefahr, die diese Behandlung notwendig macht.

Eine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81 b 2. Alt. StPO kann angeordnet werden, wenn der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten.
Vgl. ständige Rechtsprechung des BVerwG, Beschluss vom 06.07.1988 - 1 B 61.88 - sowie Urteil vom 23.11.2005 - 6 C 2.05 -; beide: juris.

Maßgeblich ist demnach, ob der Antragsteller vorliegend mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an noch aufzuklärenden Handlungen dieser oder ähnlicher Art einzubeziehen ist.

Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG, der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetztes nicht bereits deshalb als potentieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder anzeigt worden ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.06.1991 - 5 A 1257/90 - und vom 29.11.1994 5 A 2234/93 -.

Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung der Notwendigkeit der angeordneten und bereits vollzogenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen auf die Sachlage im Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme dieser Maßnahmen an.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.07.2014 - 6 B 2/14 - juris.

Die genannten Voraussetzungen liegen nicht vor. Ausweislich der vorgelegten Vorgänge spricht für eine Tatbegehung, dass der Antragsteller türkischstämmiger Taxifahrer ist und zudem auf das vom Zeugen A. wahrgenommene Taxi seines Bruders pp. Zugriff hat. Außerdem ist er dem Beschuldigten K. bekannt. Wenn der Antragsgegner aus diesen Umständen den Verdacht herleitet, dass auch der Antragsteller Täter des in Rede stehenden Betrugs sein könnte, rechtfertigt dies weitere Ermittlungen zur Aufklärung der Täterschaft der konkret in Rede stehenden Tat. Im Rahmen der Ermittlungen zur Aufklärung der konkreten Tat kann unter Umständen auch eine erkennungsdienstliche Behandlung vorgenommen werden. Von dieser Notwendigkeit scheint auch der Antragsgegner auszugehen, wenn er erklärt, die Strafverfolgungsvorsorge benötige Lichtbilder des Antragstellers, um den abkaufen-den Unternehmern in den jeweiligen Beschuldigtenvernehmungen Lichtbilder des Antragsstellers zeigen zu können, um diesen gegebenenfalls als Täter identifizieren zu können. Damit begründet der Antragsgegner die erkennungsdienstliche Behandlung jedoch mit dem Zweck der Aufklärung einer Straftat, die sich allein an § 81b 1. Alt. StPO misst. Hingegen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO aus präventiven Gesichts-punkten heraus gerechtfertigt wäre. Denn der Antragsgegner hat bisher keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht, wieso bei dem Antragssteller von einer Wiederholung der möglicherweise begangenen Tat auszugehen sei. Es handelt sich nicht um ein Neigungsdelikt. Auch einschlägige, vorhergegangene Straftaten oder Ermittlungsverfahren, die auf ein bestimmtes Verhaltensmuster oder eine bestimmte Persönlichkeit des Antragstellers schließen ließen, liegen, soweit ersichtlich, nicht vor. Die Begründung der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung erschöpft sich darin, dass aufgrund der Art und Weise der Tatausführung eine Wiederholungsgefahr ergebe. Allein der Verdacht der erstmaligen, konspirativen Weiterveräußerung von falsch ausgestellten Bahngutscheinen und die Eigenschaft als Taxifahrer begründet eine Wiederholungsgefahr indessen nicht.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die Anordnung sich mangels Beschuldigteneigenschaft auf § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW stützen ließe, da auch § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW eine Wiederholungsgefahr fordert.

Vgl. zu der streitigen Frage, ob § 14 Abs. 1 Nr, 2 PolG NRW die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge nach der Änderung des Polizeigesetzes zum 09.02.2010 noch ermöglicht: OVG NRW, Beschluss vom 11.04.2016 - 5 E 772/15 - juris Rn 9; im Anschluss daran VG Düsseldorf, Urteil vom 30.08.2018 - 18 K 15809/17 - juris Rn 23; ebenso: Ogorek/Molitor, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, 12. Ed., Stand 10.07.2019, § 14 PolG NRW, Rn 8.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Streitwert folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Das Gericht hat dabei für die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz die Hälfte des für ein Klageverfahren maßgeblichen Streitwertes festgelegt.


Einsender: RA Dr. R. Bleicher, Dortmund

Anmerkung:


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