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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Akteneinsicht, KiPo-Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 12.08.2020 - 10a Qs 77/20

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Möglichkeit der Akteneinsicht in sog. KiPo-Verfahren.


10a Qs 77/20

Landgericht Halle

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp-

Verteidiger: Rechtsanwalt Siebers. Braunschweig

Besitzes kinderpornographischer Schriften

hier: Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 26.05.2020

hat die 10. Große Strafkammer — Beschwerdekammer - des Landgerichts Halle am 12. August 2020 unter Mitwirkung der unterzeichnenden Richter/-innen
beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 26.05.2020 (Az.: 394 Gs 442 Js 535/20 (268/20)) wird ihm Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger bei-geordnet.

2. Die notwendigen Auslagen des Beschuldigten und die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) ermittelt seit dem 02.01.2020 gegen den Beschuldigten wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften gem. § 184b Abs. 3 Alt. 2 StGB. Ein dem Bundeskriminalamt vom „National Center For Missing and Exploited Children" (NCMEC) aus den USA übermittelter .,CyberTipline Report" hatte auf der Grundlage einer Providerauskunft die Information enthalten. dass am 21.08.2019 um 15:52:50 Uhr mitteleuropäischer Zeit über die IP-Adresse des Beschuldigten unter Nutzung des Internetdiensts ..Imgur" eine Datei mit kinderpornographischem Inhalt im Internet hochgeladen wurde. Die Bilddatei zeigt ein au-genscheinlich unter 14 Jahre altes Mädchen. welches mit heruntergelassener Hose und ent-blößtem Gesäß, an Seilen gefesselt vor einem Sofa kniet.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Halle ordnete das Amtsgericht Halle mit Beschluss vom 30.01.2020 die Durchsuchung des Beschuldigten, seiner Wohnräume und anderer Räume so-wie Sachen an. Im Zuge der Durchsuchung am 28.02.2020 wurden bei dem Beschwerdeführer Speichermedien. darunter Computer. Mobiltelefone und andere Datenträger beschlagnahmt und deren Auswertung angeordnet.

Unter dem 29.02.2020 meldete sich Rechtsanwalt pp. als Verteidiger des Beschuldigten.

Der Verteidiger legte am 12.05.2020 nachträglich Beschwerde gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung ein und beantragte am selben Tag seine Beiordnung als Pflichtverteidi-ger. Eine Verteidigung sei aufgrund der Schwierigkeit der Rechtslage notwendig. Eine Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung angesichts des nicht schweren Tatvorwurfs und mit daraus resultierenden Problemen unzulässiger Beschlagnahmen. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten sei geboten. für juristische Laien aber nicht möglich.

Mit Beschluss vom 16.05.2020 lehnte das Amtsgericht Halle den Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab. Die Sach- und Rechtslage sei nicht als so schwierig zu qualifizieren. dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sei. Der Sachverhalt sei einfach gelagert und die betroffene Strafvorschrift weise keine besonderen Schwierigkeiten auf. Auch die Sanktionserwartung mache eine Pflichtverteidigung nicht erforderlich.

Gegen die ablehnende Entscheidung zur Pflichtverteidigerbeiordnung legte der Verteidiger am 02.06.2020 namens und in Vollmacht des Beschuldigten die - hier gegenständliche - sofortige Beschwerde ein. Nach seiner Begründung sei im Fall eines im Raum stehenden Beweiserhebungsverbotes oder Beweisverwertungsverbotes eine Verteidigung stets notwendig. Zudem sei die Tätigkeit eines Verteidigers gerade in Verfahren wegen Kinderpornographie notwendig, da dem Beschuldigten Akteneinsicht oder jedenfalls Einsicht in die Dateien, die Gegenstand des Vorwurfs sind, grundsätzlich verweigert würden.

Die gegen die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 30.01.2020 nachträglich eingelegte Beschwerde des Beschuldigten verwarf die - auch hier erkennende -10. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer am 24.06.2020 als unbegründet. Der Durchsuchungsbeschluss sei aufgrund der mit dem Fund des Bildes vorhandenen konkreten Verdachtsgründe nach § 102 StPO zulässig. Andere, weniger einschneidende Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung des Anfangsverdachts stünden den Ermittlungsbehörden nicht zur Verfügung.

Die Staatsanwaltschaft Halle wies in ihrer ablehnenden Stellungnahme am 17.07.2020 darauf hin, dass Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft Halle und beim Amtsgericht Halle auf Antrag Einsicht in die Beweismittelbände einschließlich der Dateien in ihren Geschäftsräumen und unter Aufsicht gewährt werde. Sie legte die sofortige Beschwerde dem Landgericht Halle - Beschwerdekammer - zur Entscheidung vor.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 26.05.2020 ist gemäß §§ 142 Abs. 7 S. 1, 311 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Entscheidung des Amtsgerichts Halle ist zwar insoweit nicht zu beanstanden. dass kein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 StPO oder nach § 140 Abs. 2 Alt. 1 und 2 StPO aufgrund der Schwere der Schuld oder der zu erwartenden Rechtslage vorliegt.

Eine notwendige Verteidigung aufgrund der Schwierigkeit der Rechtslage nach § 140 Abs. 2 Alt. 3 StPO ist ebenfalls nicht gegeben, da weder umstrittene Rechtsfragen entschieden wer-den müssen noch die Subsumtion unter die anzuwendenden Vorschriften des materiellen Rechts Schwierigkeiten bereitet oder ernsthafte Ansatzpunkte für eine Entscheidung über ein Bewertungsverbot ersichtlich sind (M/G. 63. A., § 140 StPO Rn. 28). Wie die Kammer in ihrem Beschluss vom 24.06.2020 zur Beschwerde des Beschuldigten gegen die Durchsuchungsanordnung ausführte. waren die Voraussetzungen für eine Durchsuchung bei dem Beschuldigten nach § 102 StPO aufgrund der mit der Providerauskunft vorhandenen konkreten Verdachts-gründe gegeben. Die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bereitete ebenfalls keine Schwierigkeiten. da der Besitz kinderpornographischer Schriften auch aus Laiensicht keine Bagatellstraftat ist.

Eine Notwendigkeit der Verteidigung ergibt sich vorliegend aber aufgrund der Schwierigkeit der Sachlage nach § 140 Abs. 2 Alt. 3 StPO. Dem Beschuldigten ist ein Verteidiger zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts beizuordnen. Mit der Änderung des § 147 Abs. 4 StPO zum 01.01.2018 (Gesetz vom 05.07.2017. BGBl. I S. 2208) wurde das Akteneinsichtsrecht des unverteidigten Beschuldigten zwar erweitert, wonach er anders als nach früherer Rechtslage einen eigenen Anspruch auf Akteneinsicht hat und damit grundsätzlich auch das Recht hat, unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen (M/G, 63. A.. § 147 StPO Rn. 31). Dem Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten stehen aber nach § 147 Abs. 4 S. 1 StPO überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegen. Eine Einsicht des Beschuldigten in Beweismittelbände zu kinderpornographischen Abbildungen betrifft den Intimbereich der ab-gebildeten Person, welcher vor der Hauptverhandlung gewahrt werden soll. Ohne eine Anschauung der Abbildung als wesentliches Beweismittel ist eine ausreichende Verteidigung für den Beschuldigten aber nicht möglich. Insoweit hat der Verteidiger die Abbildung zu sichten und den Beschuldigten über seine Erkenntnisse zu unterrichten (M/G, 63. Auflage. § 147 Rn. 32 m. w. N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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