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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Beiordnung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 11.08.2020 - 10a Qs 62/20

Leitsatz: Zwar ist die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers umstritten, wird jedoch überwiegend in den Fällen anerkannt, in denen der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde und die Voraussetzungen des § 140 StPO vorlagen.



Landgericht Halle
Beschluss

10a Qs 62/20

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen besonders schwerem Fall des Diebstahls

hat die 10. große Strafkammer — Beschwerdekammer — des Landgerichts Halle durch die unterzeichnenden Richterinnen am 11.08.2020 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 11.06.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 27.05.2020 (398 Gs 383 Js 15436120 (258/20)) aufgehoben und Rechtsanwalt pp. aus Braunschweig dem Beschwerdeführer als notwendiger Verteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

Gegen den Beschwerdeführer wurde unter anderem ein ErmittIungsverfahren mit dem polizeilichen Aktenzeichen HAL RED 1/21922/2019 wegen eines KelIereinbruchsdiebstahIs (Tatzeitraum: 14.08.-15.08.2019) geführt. Mit Schreiben vom 03.04.2020 beantragte Rechtsanwalt pp. in diesem Ermittlungsverfahren namens und in Vollmacht des Beschwerdeführers, diesem als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Wegen einer Anklage gegen den Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht Halle (Saale) — Schöffengericht — vom 20.03.2020 (383 Js 4243/20) wegen besonders schweren Diebstahls in anderer Sache stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Ermittlungsverfahren mit dem polizeilichen Aktenzeichen HAL RED 1/21922/2019 am 07.05.2020 gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein und übermittelte Herrn Rechtsanwalt pp. eine entsprechende Einstellungsnachricht. Ausweislich der Einstellungsverfügung vom 07.05.2020 befand sich der Beschwerdeführer zu jenem Zeitpunkt im Verfahren 383 Js 4243/20 in Untersuchungshaft in der JVA pp.

Mit Schreiben vom 19.05.2020 bat Herr Rechtsanwalt pp. um Bescheidung seines Antrags auf Pflichtverteidigerbeiordnung vom 03.04.2020.

Mit Beschluss vom 27.05.2020 lehnte das Amtsgericht Halle (Saale) den Antrag auf Bestellung des Herrn Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers ab. Die Akten hätten dem Gericht mit dem Antrag vom 03.04.2020 zwar vorgelegt werden müssen, was zunächst unterblieben sei. Der Antrag sei auch nach dem Stand der Sach- und Rechtslage vor Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO zu beurteilen. Auch vor Einstellung des Verfahrens sei jedoch weder der Antragsschrift noch dem Ermittlungsvorgang selbst ein Beiordnungsgrund gemäß § 140 StPO zu entnehmen, sodass der Antrag als unbegründet abzulehnen sei.

Gegen die Ablehnung des Verteidigers des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger mit Beschluss vom 27.05.2020 legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 11.06.2020 "sofortige Beschwerde" ein. Es habe eine Gesamtstrafenfähigkeit mit dem anhängigen Schöffenverfahren gegen den gleichen Angeklagten vorgelegen. In jenem Verfahren liege bereits aufgrund der Anklage zum Schöffengericht der Beiordnungsgrund des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO vor. Somit könne das vorliegende Verfahren nicht isoliert betrachtet werden. Selbst wenn lediglich durch eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung eine Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr drohe, sei ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben.

Die zulässige Beschwerde (vom Beschwerdeführer als sofortige Beschwerde bezeichnet) hat in der Sache Erfolg.

Zu Unrecht hat das Amtsgericht Halle (Saale) die Beiordnung mit der Begründung abgelehnt, dass kein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 StPO vorliege. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer ohne Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit dem polizeilichen Aktenzeichen HAL RED 1/21922/2019 aufgrund des anhängigen Verfahrens gegen diesen vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Halle (Saale) mit dem Aktenzeichen 383 Js 4243/20 im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr hätte rechnen müssen und deshalb die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Denn jedenfalls wäre eine Beiordnung zumindest nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO zwingend geboten gewesen. Ausweislich der Einstellungsverfügung vom 07.05.2020 befand sich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich im Verfahren 383 Js 4243/20 in Untersuchungshaft in der JVA Halle. Auch in jenem Verfahren wird der Beschwerdeführer durch Herrn Rechtsanwalt pp. aus Braunschweig verteidigt. Sofern Haft vollstreckt wird, ist die Verteidigung in sämtlichen gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahren notwendig (OLG Hamm StV 2014, 274; Willnow, in: KK-StPO, 8. Aufl., § 140 Rn. 11).

Dem steht auch nicht entgegen, dass das vorliegende Verfahren mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Halle vom 07.05.2020 gemäß §154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde. Zwar ist die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers umstritten, wird jedoch überwiegend in den Fällen anerkannt, in denen — wie hier — der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde und die Voraussetzungen des § 140 StPO vorlagen (LG Bremen, Beschluss vom 12.09.2017 — 60 Qs 276/17; LG Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2007 — 22 Qs 336 Js 24294/06, jeweils juris). Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein Pflichtverteidiger, wenn er befürchten muss, bei Tätigwerden vor Ergehen eines Beiordnungsbeschlusses keine Vergütung zu erhalten, nicht mehr für den Angeklagten tätig wird. Hier erfolgte die Antragstellung bereits am 03.04.2020, mithin über einen Monat vor Verfahrenseinstellung. Ferner wurde am 19.05.2020 nochmals um eine zeitnahe Entscheidung über den am 03.04.2020 gestellten Beiordnungsantrag gebeten. Das Amtsgericht Halle (Saale) stellt in seinem Beschluss vom 27.05.2020 zutreffend fest, dass die Akten dem Gericht mit dem Antrag vom 03.04.2020 hätten vorgelegt werden müssen, was zunächst unterblieben war.

Die gegenteilige Auffassung, die eine rückwirkende Beiordnung eines Verteidigers nach Verfahrenseinstellung mit dem Argument abgelehnt, dass die Beiordnung nur der Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung dienen solle und nicht dazu, dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu sichern (u. a. OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2012 — 111-3 Ws 215/12, 3 Ws 215/12, juris), kann im vorliegenden Fall angesichts der bereits am 03.04.2020 beantragten Beiordnung, der entfalteten Tätigkeit des Verteidigers und der fast 2-monatigen Dauer, die das Amtsgericht nicht über die Pflichtverteidigerbeiordnung entschieden hat, nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: J.R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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