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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Bestellung, Zulässigkeit, Eröffnung des Tatvorwurfs

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ulm, Beschl. v. 26.06.2020 - 3 Qs 39/20

Leitsatz: Das Antragsrecht des § 141 Abs. 1 StPO besteht erst ab dem Zeitpunkt besteht, in dem der Beschuldigte über den Tatvorwurf unterrichtet wird. Erforderlich ist, dass der Verdächtige oder beschuldigte Personen von den zuständigen Behörden durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden.


3 Qs 39/20

Landgericht Ulm
Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen falscher uneidlicher Aussage
hier: Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers

hat das Landgericht Ulm - 3. Große Strafkammer - am 26. Juni 2020 beschlossen:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göppingen vom 30. April 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beschuldigte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Ulm führte gegen die Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage. Ohne das nach dem Akteninhalt an die Beschuldigte herangetreten wurde, meldete sich mit Telefax vom 25.10.2019 ihr Verteidiger, beantragte Akteneinsicht und die Bestellung als notwendiger Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren. Hierzu berief er sich auf eine - zum damaligen Zeitpunkt noch nicht umgesetzte - EU-Richtlinie. Bereits am 26.03.2020 wurde das Verfahren gegen die Beschuldigte durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt, ohne dass der Beschwerdeführerin der Tatvorwurf eröffnet und sie als Beschuldigte vernommen worden war. Durch den angefochtenen Beschluss lehnte das Amtsgericht die Bestellung von Rechtsanwalt pp. Verteidiger ab.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist zulässig, erweist sich im Ergebnis aber als nicht begründet. Durch Gesetz vom 10.12.2019 mit Wirkung vom 13.12.2019 wurde die vom Verteidiger zur Begründung des Beiordnungsanspruchs angeführte EU-Richtlinie (RL (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls) in innerstaatliches Recht umgesetzt und deshalb § 141 Abs. 1 StPO neu gefasst. Ach danach ist ein notwendiger Verteidiger auf Antrag des Beschuldigten nur zu bestellen, sofern dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet worden ist — und die übrigen Voraussetzungen vorliegen. Die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs 364/19 §. 34 führt dazu aus:

„Satz 1 stellt dabei ausdrücklich klar, dass das Antragsrecht erst ab dem Zeitpunkt besteht, in dem der Beschuldigte über den Tatvorwurf unterrichtet wird. Dies steht im Einklang mit der PKH-Richtlinie, deren Regelungen die Richtlinie 2013/48/ElJ über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren flankieren (vgl. Artikel 2 Absatz 1 der PKH-Richtlinie). Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/48/EU ist gemäß ihrem Artikel 2 Absatz 1 erst ab dem Zeitpunkt eröffnet, zu dem Verdächtige oder beschuldigte Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden [...]. Anträge des Beschuldigten, die bereits vor der amtlichen Eröffnung des Tatvorwurfs, etwa aufgrund von Vermutungen über die Einleitung eines Strafverfahrens, gestellt werden, sind damit unzulässig.
3 Os 39/20 - 3 -

Da es vorliegend an einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft fehlte, den Tatvorwurf der Beschwerdeführerin zu eröffnen, macht bereits dies den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unzulässig. Daran ändert nichts, dass der Verteidiger auf unbekanntem Weg Kenntnis vom Ermittlungsverfahren erlangte und Akteneinsicht beantragte. Denn die Verfahrensrechte eines Beschuldigten sind nicht berührt, solange ein Verfahren keine Auswirkung entfaltet, sondern nur ein Behördeninternum ist — etwa, weil die Staatsanwaltschaft von sich aus prüft, ob das Verfahren ohne weitere Veranlassung einzustellen ist. Nur diese Verfahrensrechte und nicht das finanzielle Interesse Dritter werden durch die Vorschriften über die notwendige Verteidigung geschützt. Andernfalls würde die weiterhin bestehende Hoheit der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren ausgehebelt werden, würde es ausreichen, dass sich ein Verteidiger schon vor nach außen gerichteten Ermittlungsschritten aufdrängte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA H. Steht, Göppingen

Anmerkung:


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