Gericht / Entscheidungsdatum: AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.06.2020 - 911 Ls - 5163 Js 232283/19
Leitsatz: Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, nach dem als Vermögensabschöpfungsmaßnahme nur noch die Einziehung vorgesehen ist. gebührenrechtlich zur Folge, dass die Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen gem. Nr. 4142 VV RVG für die Tätigkeiten des Verteidigers unabhängig davon entsteht, ob die Vermögensabschöpfung (auch) der Entschädigung von Tatverletzten dient, oder ob dies nicht der Fall ist.
911 Ls - 5163 Js 232283/19
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Rechtsanwältin
wegen Geldfälschung
hat das Amtsgericht Frankfurt am Main durch den Richter am Amtsgericht am 29.06.2020 beschlossen:
Auf die Erinnerung wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.04.2020 abgeändert und der Verteidigerin des Angeklagten auch die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 Abs. 1 VV RVG in Höhe von 354,- zzgl. 19% MwSt. zugesprochen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Im vorliegenden Verfahren wurden dem Angeklagten mit Urteil vom 26.11.2019 gemäß § 465 Abs. 1 StPO die Kosten des Verfahren sowie seine notwendigen Auslagen auferlegt. Mit Antrag vom 05.12.2019 beantragte die Pflichtverteidigerin des Angeklagten die Gebühren und Auslagen gegen die Staatskasse festzusetzen. Sie machte folgende Gebühren und Kosten geltend:
1. Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV RVG 192,-
2. Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG 161,-
3. Termingebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG 166,-
4. Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4107 VV RVG 161,-
5. Termingebühr gemäß Nr. 4109 VV RVG 268,-
6. Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG 354,-
7. Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,-
8. Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,-
9. 50 Kopien gemäß Nr. 7000 VV RVG ä 0,50 gemäß Nr. 7000 VV RVG 25,-
10. 96 Kopien gemäß Nr. 7000 VV RVG ä 0,15 gemäß Nr. 7000 VV RVG 14,40
Zwischensumme 1.381.40
19 % Mehrwertsteuer: 262,47
Gesamtsumme: 1.643587
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.04.2020 setzte der Rechtspfleger die von der Landeskasse zu erstattenden Gebühren und notwendigen Auslagen auf 1.222,61 fest.
Dabei setzte der Rechtspfleger die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 354,00 ab. Zur Begründung wird auf den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 04.03.2020 verwiesen.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss legte die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 08.04.2020 Erinnerung ein und beanstandete die Absetzung. Die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung Nr. 4142 VV RVG sei erstattungsfähig. Sie habe den Angeklagten im Verfahren gegen eine bereits in der Anklageschrift beantragte Einziehung gemäß § 73 Abs. 1, 73c, 73 d StGB in Höhe von 5.200,- zu vertreten gehabt. Die Einziehung nach §§ 73, 73 c StGB unterfalle dem Gebührentatbestand der Nr. 4142 VV RVG. Dieser Gebührentatbestand habe den Sinn und Zweck, den Verteidigeraufwand in Verfahren, in denen Abschöpfungsmaßnahmen in Betracht kommen, angemessen zu honorieren.
Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nach Stellungnahme der Bezirksrevisorin - mit Beschluss vom 04.06.2020 nicht abgeholfen und dem Gericht die Akte zur Entscheidung über die Erinnerung vorgelegt.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung der Verteidigerin hat Erfolg. Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG ist vorliegend entstanden.
Die Voraussetzungen des Gebührentatbestandes Nr. 4142 VV RVG liegen vor. Danach entsteht die Gebühr u. a. für eine Tätigkeit für den Angeklagten, die sich auf eine Einziehung bezieht. Das ist hier der Fall. Die Verteidigerin hat den Angeklagten in der Hauptverhandlung in vollem Umfang vertreten und ist daher auch hinsichtlich der nach Maßgabe der Anklageschrift in Betracht kommenden Einziehung des Wertes des Erlangten nach den §§ 73 Abs. 1, 73 c, 73 d StGB n. F. tätig geworden.
Es kann dahinstehen, ob die Einziehung des Wertersatzes hier den Charakter eines strafrechtlichen Schadenersatzes hat. Dies steht einer Anwendung der hier in Rede stehenden Gebührenvorschrift jedenfalls nicht entgegen. Dem Wortlaut der Nr. 4142 VV RVG ist eine entsprechende Einschränkung nicht zu entnehmen. Der Sinn und Zweck der Neuregelung der Opferentschädigung im Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, das zum 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist, spricht ebenfalls dafür, Schadensersatzansprüche bei der Anwendung der Gebührenvorschrift außer Betracht zu lassen. Infolge der Streichung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB kann der Tatertrag oder ein dessen Wert entsprechender Geldbetrag nunmehr auch dann abgeschöpft werden, wenn Schadensersatzansprüche von Tatgeschädigten im Raum stehen (vgl. BT Drucksache 18/9525 S. 49). Danach wird ein Verteidiger mit Fragen der Einziehung unabhängig davon befasst, ob Ansprüche von Tatgeschädigten in Betracht kommen, so dass es nur folgerichtig ist, diese Ansprüche bei der Anwendung der Gebührenvorschrift außen vor zu lassen.
Soweit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung die Auffassung vertreten wurde, die Gebührenvorschrift der Nr. 4142 VV RVG sei nicht anwendbar bei Wertersatz, wenn er den Charakter eines zivilrechtlichen Schadensersatzes habe (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 23. Aufl. 2017, W 4142, Rn. 8; LG Saarbrücken, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 2 Qs 18/11 Rn. 7, juris; a. A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. April 2014 - 1 Ws 212/13 -, Rn. 11), dürfte dies angesichts der Gesetzesänderung überholt sein. Diese Auffassung beruhte im Wesentlichen auf der nach alter Rechtslage vorzunehmenden Unterscheidung zwischen Einziehung und Verfall, die sich infolge der unterschiedslosen Bezeichnung der Anordnungen gemäß §§ 73 ff. StGB n. F. als "Einziehung" erledigt hat (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 16. Januar 2018 - 501 Qs 127/17 -, Rn. 7, juris, mit Anmerkung von Burhoff unter http://blog.burhoff.de/2018/01/achtung-hier-die-erste-gebuehrenentscheidung-zurneuen-einziehung-nach-neuem-recht/).
Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung (früher: "Verfall und Einziehung") grundlegend neu geregelt. Es hat das Rechtsinstitut des Verfalls abgeschafft und durch ein neues Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. In diesem Rahmen hat es die Regelungen über die Rückgewinnungshilfe aufgehoben und gegen neue dem Verletztenschutz dienende Vorschriften ausgewechselt. Gebührenrechtlich hat dies zur Folge, dass die Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen gern. Nr. 4142 VV RVG für die Tätigkeiten des Verteidigers seither unabhängig davon entsteht, ob die Vermögensabschöpfung (auch) der Entschädigung von Tatverletzten dient, oder ob dies nicht der Fall ist.
Die Einziehungsentscheidung selbst wird nach dem neuen Recht bereits endgültig zu Lasten des Einziehungsbetroffenen im Strafverfahren getroffen. Es geht in dem nachträglichen Verfahren nur noch darum, ob die eingezogenen Vermögenswerte dem Staat anfallen oder nach dem in §§ 459h StPO ff. geregelten Verfahren an den Verletzten rückzuübertragen sind.
Die Tätigkeit des Rechtsanwalts betrifft damit bereits im Strafverfahren eine auf den endgültigen Verlust bei dem Einziehungsbetroffenen gerichtete Maßnahme (so nunmehr wohl mit Verweis auf die Reform auch: Burhoff in Gerold/ Schmidt, RVG, 23. A. 2017, VV 4142, Rz. 7)
Der Rechtspfleger hat die Verfahrensgebühr gemäß VV RVG 4242 in Höhe von 354, nach alledem im Ergebnis zu Unrecht im Kostenfestsetzungsbeschluss abgesetzt. Der Verteidigerin stehen mithin wie von ihr beantragt von der Staatskasse zu erstattende Gebühren und notwendige Auslagen in Höhe von insgesamt Euro 1.643,87 zu.
Der Erinnerung des Verteidigers war daher im tenorierten Umfang abzuhelfen.
Einsender: RÄin J. P. Gehrke, Frankfurt am Main
Anmerkung:
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