Gericht / Entscheidungsdatum: LG Potsdam, Beschl. v. 05.06.2020 - 24 Qs 28/20
Leitsatz: Die Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten sind in der Regel grundsätzlich nicht erstattungsfähig Nur wenn sich etwa aufgrund bis dahin unzureichend geführter oder mangelhafter Ermittlungen die Notwendigkeit zur Einholung eines Gutachtens aufdrängt und einem entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung nicht nachgekommen wird, kann ein Privatgutachten ausnahmsweise erstattungsfähig sein.
24 Qs 28/20
Landgericht Potsdam
Beschluss
In dem Kostenfestsetzungsverfahren
betreffend die Strafsache gegen pp.
Verteidiger:
Nebenkläger:
beide vertreten durch:
hat die 4. Strafkammer als Kammer für Kostensachen des Landgerichts Potsdam durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 05. Juni 2020 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nauen vom 23.03.2020, mit dem die diesem zweitinstanzlich von den Nebenklägern zu erstattenden Kosten und notwendigen Auslagen auf 499,80 festgesetzt wurden, wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die den Nebenklägern im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat der Beschwerdeführer zu tragen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer war an einem Verkehrsunfall am 30.12.2016 beteiligt, bei dem er als Fahrzeugführer einen Fußgänger anfuhr, der dabei schwere Verletzungen erlitt. Der Geschädigte befand sich im Folgenden in dauerhafter stationärer Behandlung und verstarb am 15.06.2017. Als unmittelbar todesursächlich wurde ein Lungenversagen festgestellt, welches laut Autopsiebericht aufgrund der durch die Unfallverletzungen eingetretenen Irrmobilisierung und der damit verbundenen Komplikationen als Folge des Unfallgeschehens betrachtet werden kann. Die Staatsanwaltschaft holte ein unfallanalytisches Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. S. vom 06.09.2017 ein. Auf der Grundlage des Ergebnisses erhob sie gegen den Beschwerdeführer unter dem 20.11.2017 Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Das Amtsgericht Nauen eröffnete das Hauptverfahren mit Beschluss vom 02.03.2018 und ließ die Söhne des Geschädigten auf deren Antrag als Nebenkläger zu. Nach durchgeführter Hauptverhandlung am 26.06.2018 verurteilte das Amtsgericht Nauen den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 120,- (wegen der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf Bl. 337 ff. d. A. Bezug genommen). Gegen das Urteil legten die Nebenkläger fristgerecht Berufung ein. In der Berufungsbegründung führten sie aus, der Beschwerdeführer habe es entgegen der tatrichterlichen Würdigung durch grob rücksichtsloses Fahrverhalten billigend in Kauf genommen, andere Verkehrsteilnehmer an Körper, Gesundheit und Leben zu schädigen. Jedenfalls aber habe er zumindest grob fahrlässig gehandelt.
Mit Verfügung vom 01.08.2018 wies der Vorsitzende der Berufungskammer die Nebenkläger auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hin und regte die Rücknahme an (wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 365-367 d. A. Bezug genommen). Nachdem die Nebenkläger mit Schriftsatz vom 14.08.2018 mitgeteilt hatten, dass die Berufung durchgeführt werden solle, beraumte das Berufungsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 09.05.2019 an. Mit Schriftsatz vom 06.05.2019 überreichte der Verteidiger des Beschwerdeführers ein vom Beschwerdeführer eingeholtes Unfallrekonstruktionsgutachten des Unfallsachverständigen Dr. W. vom 26.04.2019, welches zu dem Ergebnis kommt, dass die Kollisionsgeschwindigkeit im Gutachten des Sachverständigen S. falsch eingegrenzt worden sei und dass der Unfall für den Beschwerdeführer ein unabwendbares Ereignis dargestellt haben könne. Die Nebenkläger nahmen die Berufung mit Schriftsatz vom 08.05.2019 zurück. Mit Beschluss vom selben Tage legte das Landgericht Potsdam die Kosten der Berufung den Nebenklägern auf. Auf als sofortige Beschwerde auszulegendes Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers ergänzte das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 24.10.2019 den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 08.05.2019 dahingehend, dass die Nebenkläger nach Rücknahme der Berufung auch die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen haben. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Nauen setzte mit Beschluss vom 23.03.2020 die von den Nebenklägern an den Beschwerdeführer zu erstattenden Kosten und Auslagen auf 499,80 (Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) fest. Soweit der Beschwerdeführer mit Festsetzungsantrag vom 11.06.2019 weiterhin die Erstattung einer Dokumentpauschale für Kopien in Höhe von 40,85 zzgl. MwSt., der Kosten des von ihm beauftragten Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. in Höhe von 3.637,59 sowie der Kosten dessen Ladung gemäß § 220 StPO in Höhe von 17,75 begehrt hatte, hat das Amtsgericht dem nicht entsprochen. Gegen den ihm zu Händen seines Verteidigers am 30.04.2020 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 04.05.2020, bei Gericht am selben Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, es sei angesichts des Beharrens der Nebenkläger auf einen über das erstinstanzliche Urteil hinausgehenden Schuldvorwurf zur Verteidigung notwendig gewesen, das Gutachten des Sachverständigen S. seinerseits gutachterlich überprüfen zu lassen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben worden. Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers über die Kostenfestsetzung ist gemäß § 464b StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 3 RPf1G die sofortige Beschwerde statthaft. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 61. Auflage, § 464 b Rn. 6; BGH NJW 2003, 763). Die sofortige Beschwerde ist fristgerecht gemäß § 464 S. 4 StPO eingelegt worden, und der Beschwerdewert von 200,00 ist erreicht (§ 304 Abs. 3 StPO).
2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
a) Zu Recht hat das Amtsgericht Nauen die Erstattung der Kosten für das vom Beschwerdeführer eingeholte Privatgutachten versagt.
Die Kosten privater eigener Ermittlungen des Beschuldigten sind ausgenommen im Privatklageverfahren in der Regel nach ständiger Rechtsprechung der Kammer grundsätzlich nicht erstattungsfähig (LG Potsdam, Beschluss vom 2. November 2012 , Az.: 24 Qs 109/11; Beschluss vom 14. Januar 2013, Az.: 24 Qs 190/12; so auch Meyer-Goßner, StPO, 62. Auflage, § 464a Rn. 16 m.w.N.). Es handelt sich nicht um notwendige Auslagen im Sinne von § 464a Abs. 2 StPO. Dem Beschuldigten bzw. Angeklagten bleibt es nämlich unbenommen, im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu stellen und damit die prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen (vgl. OLG Hamburg in MDR 1975, 74; NStZ 1983, 284; OLG Schleswig, Sch1HA 86, 114 (E/L)). Das hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht getan. Er hat vielmehr von sich aus ein schriftliches Gutachten des Privatsachverständigen Dr. W. in Auftrag gegeben und vorgelegt, ohne dass es Anlass gab anzunehmen, dass eine Zurückweisung der nebenklägerischen Berufung mittels der Ausschöpfung seiner prozessualen Rechte im Strafverfahren nicht zu erreichen gewesen wäre. Nur in einem solchen, hier nicht vorliegenden Fall, wenn sich nämlich etwa aufgrund bis dahin unzureichend geführter oder mangelhafter Ermittlungen die Notwendigkeit zur Einholung eines Gutachtens aufdrängt und einem entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung nicht nachgekommen wird, kann ein Privatgutachten ausnahmsweise erstattungsfähig sein. Angesichts des außerordentlich ausführlichen und klaren Hinweises des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 01.08.2018 durfte der Beschwerdeführer dagegen nicht nur davon ausgehen, dass das Berufungsgericht notwendigen Beweisanträgen nachkommen würde, sondern war sich darüber hinausgehend sogar bewusst, dass es wenn auch nach vorläufiger Würdigung der von den Nebenklägern gewünschten rechtlichen Bewertung des erstinstanzlich festgestellten Geschehens nicht näherzutreten gedachte. Auch wenn es menschlich verständlich sein mag, dass der Beschwerdeführer die in der Berufung gegen ihn erhobenen weitergehenden Schuldvorwürfe zum Anlass genommen hat, das zuvor von ihm jedenfalls nach außen akzeptierte Gutachten des Sachverständigen S. nunmehr mit einem Gegengutachten anzugreifen, so war es angesichts dieser prozessualen Sachlage für die Verteidigung gegen die Berufung nicht notwendig.
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass vorliegend allein die Nebenkläger die Berufung eingelegt und sodann zurückgenommen haben. § 473 Abs. 1 S. 3 StPO legt ihnen ausdrücklich (nur) die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auf. Für eine Billigkeitsentscheidung ist angesichts des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift kein Raum.
b) Hinsichtlich der im Festsetzungsantrag vom 11.06.2019 enthaltenen Kosten für die Ladung des Parteisachverständigen Dr. W. zum anberaumten Verhandlungstermin gilt das unter lit. a) ausgeführte entsprechend. Auch dabei handelt es sich nicht um notwendige Auslagen.
c) Hinsichtlich der weiterhin zur Festsetzung begehrten Kopierkosten fehlt sowohl im Antrag als auch in der Beschwerdebegründung jegliche Erklärung, worauf sich diese beziehen. Angesichts der mit dem Parteisachverständigengutachten korrespondierenden Seitenzahl liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Kopien dieses Gutachtens handelt. Auch insoweit liegen aus den unter lit. a) ausgeführten Gründen keine notwendigen Auslagen vor, die von den Nebenklägern zu erstatten wären.
d) Soweit der Verteidiger des Beschwerdeführers in der Beschwerdebegründung ausführt, dass Umfang und Schwierigkeit der Sache eine Erhöhung der Mittelgebühr auf 400,- rechtfertigten, hat bereits die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Nauen dem entsprochen und die zu erstattenden Auslagen im angegriffenen Beschluss entsprechend festgesetzt.
3. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 473 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO.
Einsender: RA D. Dierkes, Telgte
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