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Entscheidungen

OWi

Abwesenheitsverhandlung, rechtliches Gehör

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. 25.05.2020 - 1 Ss OWi 464/20

Leitsatz: In einer Abwesenheitsverhandlung sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG vorab abgegebene Erklärungen der Betroffenen durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen.


1 Ss OWi 464/20

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS

In der Bußgeldsache
gegen pp.

Verteidiger: ,
wegen Straßenverkehrsordnungswidrigkeit,

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 1. Senat für Bußgeldsachen durch die Einzelrichterin am 25. Mai 2020 gemäß §§ 79, 80 OWiG beschlossen:

Auf den Antrag der Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Gießen — Richter in Bußgeldsachen — vom 16. Dezember 2019 zugelassen.

Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil auf-gehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Gießen zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 16. Dezember 20.19 wegen einer am 23. August 2018 begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 120,- € verurteilt.

Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere die Verletzung rechtlichen Gehörs.

Der frist- und formgerecht angebrachte sowie in gleicher Weise begründete Zulassungsantrag hat ebenso wie die dementsprechend zugelassene Rechtsbeschwerde — zumindest vorläufig — Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Die diesbezügliche Rüge der Betroffenen ist ordnungsgemäß den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt worden und greift auch in der Sache durch.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG, NJW 1992, 2811 m.w.N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falls deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen der Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28. November 2017 - 2 Ss-Owi 1243/17; OLG Dresden, Beschluss vom 06. Dezember 2016 - OLG 21 Ss 739/16 (Z)). Nach diesen Maßstäben liegt hier eine Versagung des rechtlichen Gehörs vor.

Die Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden und im Termin zur Hauptverhandlung weder selbst anwesend, noch war ihr Verteidiger erschienen. Sie hatte aber im Vorfeld der Hauptverhandlung über ihren Verteidiger in mehreren Schriftsätzen (vom 2. April 2019, 21. Mai 2019, 22. Mai 2019 und 23. Mai 2019) verschiedene Anträge gestellt und zum Verfahren vorgetragen, insbesondere Einwendungen bezüglich der Geschwindigkeitsmessung vorgebracht. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG hätten diese Erklärungen der Betroffenen durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Ausweislich der Urteilsgründe ist in der Hauptverhandlung jedoch lediglich eine Stellungnahme des Verteidigers vom 12. September 2019 und diese nur insoweit verlesen worden, als darin die Fahrereigenschaft der Betroffenen eingeräumt wurde. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich ebenfalls nicht, dass die oben genannten Schriftsätze aus April und Mai 2019 zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden wären. Diese Umstände lassen nur die Annahme zu, dass das Amtsgericht wesentliches Verteidigungsvorbringen außer Acht gelassen und dadurch den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Ver-handlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gießen zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.


Einsender: RA D. Anger, Bergisch Gladbach

Anmerkung:


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