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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Beiordnung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Detmold, Beschl. v. 05.05.2020 - 23 Qs 31/20

Leitsatz: 1. Der Tatvorwurf ist dem Beschuldigten eröffnet, wenn der Beschuldigte von dem gegen ihn gerichteten Tatverdacht erfährt.
2. Der in § 141 Abs. 1 Satz 2 StPO genannte Zeitpunkt für die vom Beschuldigten beantragte Bestellung eines Pflichtverteidigers stellt nur den spätesten Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung dar, begründet aber keine weiteren materiellen Voraussetzungen. Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass die Pflichtverteidigerbestellung unterbleiben soll oder kann, wenn eine Vernehmung oder Gegenüberstellung im Rahmen der weiteren Ermittlungen nicht erfolgt.


23 Qs-22 Js 258/20-31/20
2 Gs 514/20 Amtsgericht Detmold

Landgericht Detmold
Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

wegen sexueller Nötigung u.a.

(hier: Beschwerde gegen die Zurückweisung der Pflichtverteidigerbestellung)
hat die 3. Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Detmold auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 24. März 2020 gegen den Beschluss des Amtsgericht Detmold vom 6. März 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 5. Mai 2020 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 6. März 2020 wird aufgehoben. Rechtsanwalt pp. wird dem Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger für das Verfahren 2 Gs 514/20 beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe:

Gegen den Beschuldigten läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Detmold wegen einer sexuellen Nötigung bzw. einer Vergewaltigung.

Ausgangspunkt der Ermittlungen ist die Strafanzeige der mutmaßlich Geschädigten pp. vom 18. Februar 2020. Danach soll der Beschuldigte gegen den Willen der Anzeigeerstatterin Geschlechtsverkehr mit dieser ausgeübt haben, während sie — pp. — in drogenbedingt widerstandsunfähigem Zustand gewesen sein soll.

Am 19. Februar 2020 zeigte der Verteidiger pp. die Verteidigung des Beschuldigten an und erklärte, dass sich dieser zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu den Tatvorwürfen äußern werde. Mit Schreiben vom 3. März 2020 beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Dabei erklärte der Verteidiger, dass er sein Wahlmandat für den Fall der Beiordnung niederlegen werde.

Diesen Antrag wies das Amtsgericht Detmold durch Beschluss vom 6. März 2020 zurück. Die Voraussetzungen des § 141 StPO seien nicht erfüllt. Trotz Vorliegens der Beiordnungsgründe nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 1 Nr. 1 StPO sei dem Beschuldigten derzeit kein Pflichtverteidiger beizuordnen, da eine Vernehmung, Gegenüberstellung oder andere Untersuchungshandlung aktuell nicht anstehe und der Beschuldigte bereits anwaltlich vertreten sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 24. März 2020. Hierin führt er aus, dass eine Beiordnung hätte erfolgen müssen, weil der Beschuldigte zur Entnahme einer DNA-Blutprobe vorgeladen worden sei.

Mit seinem Nichtabhilfebeschluss vom 6. April 2020 wies das Amtsgericht Detmold darauf hin, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil der Verteidiger diese im eigenen Namen erhoben habe. Auch inhaltlich werde an dem Beschluss vom 6. März 2020 festgehalten. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass es einer Beiordnung nicht bedürfe, wenn ersichtlich sei, dass der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache.

Unter dem 29. April 2020 stellte der Verteidiger für den Beschwerdeführer klar, dass die Beschwerde namens und in Vollmacht des Beschuldigten erhoben wurde und es sich bei der Formulierung im Beschwerdeschriftsatz vom 24. März 2020 um ein Büroversehen handele.

Il.

Die Beschwerde ist zulässig, § 304 StPO. Denn durch den Schriftsatz vom 24. März 2020 ist nunmehr klar, dass die Beschwerde entgegen des Wortlauts namens und in Vollmacht des Beschuldigten eingelegt worden ist.

Die Beschwerde ist auch begründet, da die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung vorliegen, §§ 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.2, 141 Abs. 1 StPO. Nach § 141 Abs. 1 StPO ist dem Beschuldigten in den Fällen der notwendigen Verteidigung, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte dies ausdrücklich beantragt.

1. Es handelt sich gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO um einen Fall notwendiger Verteidigung. Gegen den Beschuldigten wird wegen einer sexuellen Nötigung bzw. einer Vergewaltigung, also wegen eines Verbrechens i.S.v. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO ermittelt. Hierfür wäre für den Fall der Anklageerhebung das Schöffengericht oder das Landgericht nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zuständig.

2. Der Tatvorwurf ist dem Beschuldigten eröffnet worden. Nach den Gesetzgebungsmaterialien, die Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU über Rechtsbeistand in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2013/48/ElJ v. 22.10.2013, ABI. Nr. L 294 S. 1) in Bezug nehmen, ist dies der Fall, wenn der Beschuldigte von dem gegen ihn gerichteten Tatverdacht erfährt. Hier wurde der Beschuldigte von dem Vorwurf der Vergewaltigung amtlich in Kenntnis gesetzt. So sind die Geschäftsräume des Beschuldigten in der PP. aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Detmold vom 18. Februar 2020 am selben Tage durchsucht worden. Ausweislich des Durchsuchungsberichts (BI. 54 d.A.) war der Beschuldigte bei der Durchsuchung zugegen, wurde über den Durchsuchungsbeschluss in Kenntnis gesetzt und als Beschuldigter belehrt.

3. Es liegt ein ausdrücklicher Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers vor. Durch Schreiben vom 3. März 2020 hat sein Verteidiger Senol die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und die Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung angekündigt. Dieses Schreiben ist dem Sinn und Zweck nach als eigener Antrag des Beschuldigten auf eine Pflichtverteidigerbestellung auszulegen.

4. Soweit § 141 Abs. 1 StPO des Weiteren voraussetzt, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keinen Verteidiger hat, gilt — insofern gleichbleibend zu § 141 StPO a.F. — dass diesem Erfordernis Genüge getan ist, wenn der Wahlverteidiger sein Wahlmandat im Moment der Bestellung niederlegt (für § 141 StPO a.F. MüK0StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 141 Rn. 4; für §S 141 StPO in der Fassung vom 10. Dezember 2019 BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 2).

5. Ein darüber hinausgehender eigener Ermessungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunkts der Pflichtverteidigerbestellung ist angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben. Danach ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger unverzüglich nach Antragstellung zu bestellen. Soweit dies gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung zu geschehen hat, stellt dieses nur den spätesten Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung dar, begründet aber keine weiteren materiellen Voraussetzungen. Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass die Pflichtverteidigerbestellung unterbleiben soll oder kann, wenn eine Vernehmung oder Gegenüberstellung im Rahmen der weiteren Ermittlungen nicht erfolgt.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA Senol, Bielefeld

Anmerkung:


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