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Entscheidungen

OWi

Sog. Qualifizierter Rotlichtverstoß, abstrakte Gefährlichkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 14.04.2020 – 3 Ws (B) 46/20

Leitsatz: 1. Bei dem Begriff der „abstrakten Gefahr“ handelt es sich um einen Terminus der Rechtsetzung, nicht um einen solchen der Rechtsanwendung.
2. Versuche, den Anwendungsbereich der Nr. 132.3 BKat mit dem Erfordernis einer konkret bestimmbaren „abstrakten Gefährlichkeit“ zu reduzieren, sind systematisch unzulässig, weil sie in die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, eingreifen.
3. Es verbietet sich, allein unter dem Gesichtspunkt, ein Rotlichtverstoß sei nicht „abstrakt gefährlich“, vom indizierten Fahrverbot abzusehen (Aufgabe bisheriger Rechtsprechung, KG VRS 114, 60).
4. Von dieser Bewertung bleibt das Rechtsfolgeermessen des Tatrichters unberührt. Er ist befugt und veranlasst, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre.




Norm:
StVG § 25
3 Ws (B) 46/20122 Ss 18/20

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 14. April 2020 beschlossen:

Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 9. Dezember 2019 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt. Zugleicht hat es nach § 25 Abs. 1 StVG auf der Grundlage von Nr. 132.3 BKat ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt und dessen Wirksamkeitsbeginn nach § 25 Abs. 2a StVG bestimmt. Nach den Urteilsfeststellungen zeigte die Ampel bereits 1,1 Sekunden rotes Licht, als der Betroffene über die Haltlinie und sodann in den Kreuzungsbereich einfuhr. Hiergegen richtet sich der Betroffene mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung von Verfahrensrecht beanstandet und auch die allgemeine Sachrüge erhebt.

A. Der Einzelrichter RiKG S. überträgt die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat, der in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Der Senat gibt seine Rechtsprechung, nach der es an der von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzten „abstrakten Gefährlichkeit“ fehlt, wenn im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes die Kreuzung für den Querverkehr noch durch rotes Ampellicht gesperrt ist, auf. Er folgt insoweit der Rechtsprechung des BayObLG.

B. Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

I. Ohne Erfolg bleibt zunächst die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den „Beweisantrag“, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die geräteseits abgezogene Toleranz „zu gering angesetzt“ sei, verfahrensrechtswidrig abgelehnt. Das geeichte Messgerät ist durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zugelassen worden. Zulassung und Eichung dienen gerade dazu, das Tatgericht von einer einzelfallbezogenen Überprüfung der technischen Funktionsweise der Messgeräte zu entlasten. Rechtsfehlerfrei hat es das Amtsgericht abgelehnt, den unnötigen Beweis zu erheben.

II. Auch die Rüge, das Amtsgericht habe einen weiteren Beweisantrag unzulässig abgelehnt, bleibt ohne Erfolg.

Der Verteidiger hat beantragt, ein Sachverständigengutachten auch zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass „der Querverkehr nicht gefährdet werden konnte, da bei Eintritt der für den Querverkehr geltenden Grünphasen der Betroffene den geschützten Kreuzungsbereich längst verlassen hatte.“ Die Beweiserhebung zielte erkennbar auf die Feststellung, dass die von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzte abstrakte Gefahr, die Grundlage des Regelfahrverbots ist, hier nicht gegeben war.

Auch diesen Beweisantrag hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt.

1. Allerdings hat der Senat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Fallkonstellationen und mit verschiedenen Formulierungen entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann oder sogar abzusehen ist, sofern der Rotlichtverstoß mit keiner abstrakten Gefahr oder „abstrakten Gefährdung“ verbunden gewesen sei. So heißt es in einer Entscheidung vom 7. April 2010 – 3 Ws (B) 115/10 – (NZV 2010, 361 = VRS 119, 48):

„Die … Regelahndung ist aber nicht bei jedem Verstoß, der länger als eine Sekunde nach Beginn der Rotphase begangen wird, indiziert. Vielmehr soll Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. ebenso wie die Vorläuferreglung Nr. 34.2 eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstöße erlauben, da die - häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene - Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase nach der amtlichen Begründung (VkBl. 1991, 702, 704) als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr und insbesondere auch Fußgänger nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können (…). Dieser Gesichtspunkt des Schutzes insbesondere des Querverkehrs kann jedoch dann nicht zum Tragen kommen, wenn es zu einer solchen abstrakten Gefährdung von vornherein nicht kommen kann, weil zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls nicht in den geschützten Bereich der Kreuzung eindringen durften, weil die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. auch die Fußgängerfurten gesperrt waren.“

In einer Entscheidung vom 31. Juli 2015 – 3 Ws (B) 356/15 – (NZV 2016, 594 = VRS 129, 328) heißt es ähnlich:

„Eine abstrakte Gefährdung liegt dann nicht vor, wenn es durch das Sperren der Fahrspuren des Querverkehrs und der Fußgängerfurten im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes nicht zu einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen konnte, weil keine potenziell gefährdeten Verkehrsteilnehmer in den geschützten Kreuzungsbereich eindringen durften.“

In einer noch weitergehenden Entscheidung des Senats vom 20. August 2007 – 3 Ws (B) 450/07 – (VRS 114, 60) wurde wie folgt formuliert:

„Die – häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene – Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase ist nach der amtlichen Begründung (…) als besonders gefährlich anzusehen, weil sich der Querverkehr – insbesondere auch Fußgänger – nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (…). Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils liegt ein derartiger besonderer schwerwiegender Rotlichtverstoß nicht vor. Insbesondere sind abstrakte – geschweige denn konkrete – Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer – insbesondere Fußgängern – dem Urteil nicht zu entnehmen.“

Die Annahme, dass der Ordnungswidrigkeit der Missachtung eines bereits mehr als eine Sekunde leuchtenden roten Ampellichts (in der Folge: qualifizierter Rotlichtverstoß) die durch Nr. 132.3 BKat vorausgesetzte „abstrakte Gefährlichkeit“ fehlen kann, ist in der Literatur umstritten. Die Reichweite der vertretenen Meinungen bleibt dabei oft unklar. Deutscher (in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 1615) fordert, dass es nur auf die „Begehung eines generell gefährlichen Verhaltens“ und nicht auf das „Maß der Gefährlichkeit im konkreten Fall“ ankomme, nimmt aber unter Bezug auf die Senatsrechtsprechung einen „objektiven Ausnahmefall“ an, wenn „die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. die Fußgängerfurten gesperrt sind“. Krumm hat sich der Senatsrechtsprechung angeschlossen (vgl. Fahrverbot in Bußgeldsachen, 4. Aufl., § 6 Rn. 92 [einschränkend Rn. 101]; vgl. auch NK-GVR/Krumm, 2. Aufl., § 25 StVG Rn. 24). Kritisch wird sie wiederum von König bewertet, der die Indizwirkung des Bußgeldkatalogs relativiert und der „subjektiven Disposition des Fahrzeugführers anheimgestellt“ sieht (vgl. König in Hentschel/König/ Dauer, StVR 45. Aufl., § 37 StVO Rn. 54). Hühnermann (in Burmann/Heß/Hühner-mann/Jahnke, StVR 26. Aufl., § 37 StVO Rn. 56 ff.) teilt, wie die gesamte Literatur, die Auffassung, dass eine „abstrakte Gefährdung anderer ausgeschlossen“ sein könne (Rn. 59). Der Senat selbst hat überwiegend, aber nicht durchgehend darauf abgestellt, dass die Anwendung der Nr. 132.3 BKat einer greifbaren „abstrakten Gefährlichkeit“ bedürfe. Sich hiervon vorsichtig distanzierend hat er die von den Gerichten zu beachtende „typisierende Festlegung“ des Verordnungsgebers in den Mittelpunkt einzelner Entscheidungen gestellt (zB Senat VRS 132, 30; Beschluss vom 5. September 2016 – 3 Ws (B) 399/16 –).

2. Legt man den am weitesten gehenden Beschluss des Senats (VRS 114, 60) zugrunde, so müsste man im Falle von Verurteilungen wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes – stets – ausdrückliche Urteilsfeststellungen dazu verlangen, aus denen sich eine „abstrakte Gefährdung“ anderer Verkehrsteilnehmer ergibt. Etwas weniger weit ging der Senat in einer (oben nicht zitierten) Entscheidung vom 4. Juni 2007 (VRS 113, 300), in welcher Feststellungen nur erfordert wurden, wenn „Umstände ersichtlich sind, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen“. Beide Entscheidungen würden sich hier dahin auswirken, dass die dem Beweisantrag innewohnende Behauptung, durch den Betroffenen sei es zu keiner „abstrakten Gefährdung“ gekommen, als erheblich zu gelten hätte und der erbotene Beweis erhoben werden musste. Bei Anwendung der erstgenannten Entscheidung (VRS 114, 60), bei dem die „abstrakte Gefährdung“ als eine Art ungeschriebenes Merkmal des Bußgeldtatbestands Nr. 132.3 BKat erscheint, wäre das Amtsgericht bei jedem qualifizierten Rotlichtverstoß von Amts wegen zur Aufklärung (und Feststellung im Urteil) verpflichtet, ob der Quer- oder Fußgängerverkehr seinerseits durch rotes Ampellicht gesperrt war, damit nicht in die Kreuzung eindringen konnte und mithin nicht „abstrakt gefährdet“ war.

Auch wenn keine ausdrücklichen Urteilsfeststellungen dazu verlangt werden, ob es bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß zu einer „abstrakten Gefährdung“ gekommen ist, wäre auf der Grundlage der sonstigen Rechtsprechung des Senats der erbotene Beweis zu erheben gewesen. Denn wenn ermittelt worden wäre, dass der Betroffene den Kreuzungsbereich bereits verlassen hatte, als der Querverkehr anfahren durfte, hätte es an einer „abstrakten Gefährdung“ gefehlt, und es hätte kein Regelfall nach Nr. 132.3 BKat vorgelegen.

3. An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten. Nach Auffassung des Senats verbietet es sich aus Rechtsgründen, unter dem Gesichtspunkt, ein Rotlichtverstoß sei nicht „abstrakt gefährlich“, vom Fahrverbot abzusehen. Daher ist im Grundsatz auch eine dahingehende Beweisaufnahme nicht veranlasst, so dass das Amtsgericht hier auch den zweiten Beweisantrag rechtsfehlerfrei abgelehnt hat.

a) Grundlage der vormals restriktiven Auslegung von Nr. 132.3 BKat durch den Senat war die amtliche Begründung des Bundesrats zur 12. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15. Oktober 1991 (VkBl. 1991, 704). Hierin heißt es:

„Eine abstrakte Gefährdung ist zu unterstellen, wenn ein Wechsellichtzeichen missachtet wird, obwohl die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauert. Der Querverkehr (insbesondere auch Fußgänger) kann sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden.“

Dies bedeutet, dass der Verordnungsgeber eine bestimmte Handlung – die Missachtung eines bereits eine Sekunde rot leuchtenden Ampellichts – abstrakt als so gefährlich angesehen hat, dass er ihr die Regelahndung eines Fahrverbots zugewiesen hat.

b) Unabhängig davon, dass es auch Rotlichtverstöße mit objektiven und subjektiven Besonderheiten und namentlich geringem Handlungs- und Erfolgsunwert gibt, die im Einzelfall das Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen, ist es nach Auffassung des Senats unzulässig, die Rechtsetzung des Verordnungsgebers dadurch zu unterminieren, dass dem Tatrichter ermöglicht oder gar aufgegeben wird, die Tat trotz Erfüllung des Tatbestands danach zu würdigen, ob sie „abstrakt gefährlich“ ist.

Denn bei der „abstrakten Gefahr“ handelt es sich nach Ansicht des Senats ausschließlich um einen Terminus der Rechtsetzung, nicht um einen solchen der Rechtsanwendung. So obliegt es – auch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung – der Beurteilung ausschließlich des Gesetzgebers, bestimmte Verhaltensweisen für so gefährlich zu halten, dass er sie unabhängig vom Eintritt einer konkreten Gefahr oder eines Schadens unter Strafe stellt. Der Rechtsprechung ist es untersagt, diese (Vor-) Bewertung dadurch zu unterlaufen, dass sie einer den gesetzlichen Tatbestand erfüllenden Handlung die Eigenschaft als abstrakt gefährlich abspricht. Diese Einschätzung manifestiert sich am Beispiel der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB). Soweit ersichtlich ist bisher nicht in Frage gestellt worden, dass auch eine objektiv völlig ungefährliche Trunkenheitsfahrt auf öffentlichem Straßenland, z. B mit einer Fahrstrecke von einem Meter in einem Bereich ohne Menschen und potentiell gefährdbaren Gegenständen, nach § 316 StGB strafbar ist. Es sind bisher auch keine Urteile bekannt geworden, die sich, zum Beispiel bei sehr kurzen Fahrstrecken, damit befasst hätten, ob ein objektiv ungefährliches Tatgeschehen „abstrakt gefährlich“ ist. Der Rechtsanwender ist vielmehr allenfalls zur Feststellung berufen, ob das Verhalten konkret gefährlich war; in diesem Fall kann eine Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB in Betracht kommen.

Die Beurteilung der „abstrakten Gefährlichkeit“ einer Tat der Rechtsprechung zu überbürden, würde auch neue Probleme aufwerfen. Haben sich in der Rechtsprechung zu § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zumindest grob greifbare Merkmale dafür herausgebildet, was eine konkrete Gefahr ausmacht (zB „Beinaheunfall“ seit BGH NZV 1995, 325), ist dies für den Begriff der abstrakten Gefahr offen. Ließe man den Begriff zur Rechtsanwendung und –ausfüllung zu, wäre etwa zu klären, ob ersichtlich stehende Personen oder Fahrzeuge einer „abstrakten Gefährdung“ entgegenstehen, denn ohne Dynamik bleibt ein Rotlichtverstoß in der Regel ungefährlich. Erst recht wäre daran zu denken, dass ein offensichtlich zB zur Nachtzeit personen- und fahrzeugleerer Verkehrsraum einem Rotlichtverstoß die „abstrakte Gefährlichkeit“ nehmen könnte. In der Literatur findet sich der kaum nachvollziehbare Bestimmungsversuch, an einer „abstrakten Gefährlichkeit“ fehle es, wenn mit dem Auftauchen anderer Verkehrsteilnehmer nur dann zu rechnen sei, wenn diese sich ihrerseits verkehrswidrig verhielten (vgl. Herrmann, NZV 2001, 386 (387)).

Solche Versuche, den Anwendungsbereich der Nr. 132.3 BKat mit dem Erfordernis einer konkret bestimmbaren „abstrakten Gefährlichkeit“ zu reduzieren, sind, wie dargelegt, systematisch unzulässig, weil sie in die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, eingreifen. Sie gehen aber auch auf der Ebene der Rechtsanwendung fehl, weil sich die Gefährlichkeit eines Rotlichtverstoßes nicht ausschließlich aus der Möglichkeit einer Gefährdung kreuzenden Verkehrs, sondern auch daraus ergeben kann, dass andere Verkehrsteilnehmer, etwa Kreuzungsräumer, durch das verkehrswidrige Verhalten gefährdet oder zumindest nachhaltig überrascht und verwirrt werden (vgl. BGHSt 43, 285 = NZV 1998, 119 [Rotlichtverstoß durch Spurwechsler]; BayObLG NZV 1997, 484). In gleicher Richtung fließender Verkehr kann daneben auch durch den Mitzieheffekt gefährdet werden. In der Rechtsprechung wird sogar die Auffassung vertreten, dass das rote Ampellicht auch Verkehrsteilnehmer schützt, die sich zu Unrecht im Kreuzungsbereich aufhalten (so BayObLG zfs 2002, 202 unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 2 StVO).

c) Der Senat schließt sich mit seiner Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung im Ergebnis dem BayObLG an, dessen beiden Bußgeldsenate wiederholt entschieden haben, dass es gerade das Anliegen des Verordnungsgebers war, die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen und entsprechend zu ahnden, weshalb im Falle eines Rotlichtverstoßes nach Nr. 132.3 BKat „eine abstrakte Gefährdung zu unterstellen“ und es „nicht zulässig“ sei, „diesen Grundsatz dahingehend einzuschränken, dass Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut in Gefahr zu bringen“, vom Bußgeldtatbestand ausgenommen werden (vgl. BayObLG NZV 1997, 484; DAR 2002, 173 = VRS 103, 307; NZV 2003, 346 = VRS 105, 24 = DAR 2003, 280; NZV 2003, 350 = DAR 2003, 233 = VRS 104, 437; vgl. auch Thüringer OLG VRS 110, 54).

Die Aufgabe bisheriger Rechtsprechung und der Anschluss an das BayObLG berührt das Rechtsfolgeermessen des Tatrichters nicht. Er ist (weiter) befugt und veranlasst, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre (vgl. BVerfG NStZ 1996, 391; BGHSt 23, 257; Senat NZV 2017, 340). Das Maß der Gefährdung ist als Erfolgsunrecht regelmäßig ein wichtiger Bestandteil des Tatbildes. Ein in der konkreten Situation objektiv wenig gefährliches Verhalten kann Anlass geben, das Regelfahrverbot auf seine Erforderlichkeit zu prüfen. Dies gilt umso mehr, wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen ist, etwa weil die Lichtzeichenanlage ausschließlich der Regelung des Verkehrsflusses dient (vgl. OLG Bamberg NZV 2009, 616). Der Senat hält es aber im Grundsatz für unzulässig, allein aus dem Umstand, dass im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes auch der Querverkehr noch wartepflichtig war, die „abstrakte Gefährlichkeit“ der Tat in Frage zu stellen und auf dieser Grundlage vom Fahrverbot abzusehen. Denn die „abstrakte Gefährlichkeit“ ist kein ungeschriebenes Merkmal des (hier: Rechtsfolgen-) Tatbestands Nr. 132.3 BKat, so dass es im Regelfall weder der Aufklärung noch der Mitteilung der Ampelschaltung bedarf.

III. Auch die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf. Die Urteilsfeststellung, der Betroffene sei in den Kreuzungsbereich eingefahren, „obgleich die Lichtzeichenanlage …bereits … 1,62 Sekunden rotes Licht abgestrahlt hatte“ (UA S. 3), ist irreführend, gefährdet den Bestand des Urteils aber nicht. Aus den Urteilsgründen ergibt sich deutlich, dass dem Betroffenen nur die Missachtung einer Rotlichtdauer von 1,1 Sekunden vorgeworfen wird.

C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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