Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.12.2019 - 3 Ws 360/19
Leitsatz: Zur Gewährung von Vollstreckungsaufschub zum Erhalt des Arbeitsplatzes
3 Ws 360/19
Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss
In dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen pp.
wegen schwerer räuberischer Erpressung
hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung von Vollstreckungsaufschub
hat das Oberlandesgericht Karlsruhe am 12. September 2019 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 29. August 2019 und die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 19. August 2019 aufgehoben.
Dem Verurteilten wird hinsichtlich der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. März 2019 - 5 KLs 405 Js 28094 - Aufschub bis zum 15. November 2019 bewilligt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6.3.2019 wurde
wegen schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Aufgrund vollzogener Untersuchungshaft wurden insgesamt 180 Tage angerechnet. Mit Verfügung vom 25.7.2019 wurde der Verurteilte bis spätestens 19.8.2019 zum Haftantritt geladen.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 31.7.2019 wurde beantragt, den Verurteilten in den offenen Vollzug einzuweisen und ihm bis zur Entscheidung über diesen Antrag Vollstreckungsaufschub zu gewähren. Mit weiterem Schriftsatz vom 15.8.2019 beantragte die Verteidigerin, den Verurteilten unmittelbar in den offenen Vollzug zu laden und für die Dauer der Beschreitung des Rechtswegs in diesem Verfahren Vollstreckungsaufschub zu gewähren.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim lehnte mit Verfügung vom 19.8.2019 die Bewilligung von Vollstreckungsaufschub ab. Der Verteidigerin wurde zudem mitgeteilt, dass eine Ladung in den offenen Vollzug gesetzlich nicht vorgesehen sei; die Prüfung erfolge in ausschließlicher Zuständigkeit der JVA aus dem geschlossenen Vollzug heraus.
Der Verurteilte stellte sich am 19.8.2019 zum Strafantritt. Die zuständige Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft Mannheim vermerkte am 22.8.2019, dass der Antrag auf Vollstreckungsaufkchub aufgrund des Strafantritts gegenstandslos geworden sei.
Mit Verteidigerschriftsätzen vom 19.8.2019 und vom 23.8.2019 wurde die gerichtliche Entscheidung beantragt.
Das Landgericht Mannheim wies mit Beschluss vom 29.8.2019 die Einwendungen des Verurteilen zurück. Gegen diesen, ihr am 3.9.2019 zugegangenen Beschluss legte die Verteidigerin mit Schriftsatz vom selben Tag sofortige Beschwerde ein.
II.
Die gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
Der Entscheidung über die Bewilligung von Vollstreckungsaufschub steht nicht entgegen, dass die Strafhaft bereits seit dem 19.8.2019 vollstreckt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., Rdn. 9 zu § 456 m.w.N.). Die mit Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 22.8.2019 erfolg-Je Nichtabhilfe beruhte demgegenüber auf der unzutreffenden Rechtsauffassung, der Antrag sei mit dem Beginn der Strafvollstreckung gegenstandslos geworden,
Die Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub gemäß § 456 Abs. 1 StPO liegen vor. Nach dieser Bestimmung soll dem Verurteilten die Möglichkeit gegeben werden, Vorsorge für die durch die Strafvollstreckung entstehende Lage zu treffen und seine persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten entsprechend zu ordnen (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2000, 213; OLG Stuttgart, StV 2012, 736). Vorliegend ist davon auszugehen, dass dem Verurteilten durch die (weitere) sofortige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden.
Der Antrag des Verurteilten auf Gewährung von Vollstreckungsaufschub hat vorliegend allein den Zweck, einen Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden, solange die Entscheidung über eine Ladung zum offenen Vollzug noch nicht ergangen ist. Dabei kann es - wie auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung vom 22.8.2019 (AS 74 ff.) zutreffend erkannt hat - aus Gründen der Resozialisierung verfassungsrechtlich geboten sein, gemäß § 26 Abs. 1 und Abs. 2 StVollstrO bei einer Einweisung in eine Vollzugsanstalt von den Bestimmungen des Vollstreckungsplans abzuweichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.9.2007 - 2 BvR 725/07), Anders als die Staatsanwaltschaft und die Strafvollstreckungskammer meinen, ist der Verlust des Arbeitsplatzes in der vorliegenden Konstellation somit gerade keine zwingende Folge der Strafvollstreckung, da bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag, den Verurteilten unmittelbar in den offenen Vollzug zu laden, die Möglichkeit besteht, dass das Arbeitsverhältnis aufrechterhalten werden kann. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom 19.8.2019 war mithin bereits deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie von falschen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausging: Weder ist die Ladung in den geschlossenen Vollzug rechtlich zwingend, noch ist der Verlust des Arbeitsplatzes in der vorliegenden Konstellation eine notwendige Folge der Haftverbüßung.
Die Strafvollstreckungskammer hat ihrer Entscheidung darüber hinaus zu Unrecht zugrunde gelegt, dass das Arbeitsverhältnis des Verurteilten bereits gekündigt worden sei. Die Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass das von der Verteidigerin dargelegte Arbeitsverhältnis tatsächlich noch fortbesteht; der Verurteilte hat somit die Möglichkeit, seine Arbeitstätigkeit nach Gewährung des Strafaufschubs unmittelbar wieder aufzunehmen. Hingegen wäre ohne die Bewilligung eines Aufschubs mit der baldigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen. Bei dieser Sachlage drohen dem Verurteilten ohne den beantragten Vollstreckungsaufschub erhebliche Nachteile i, S. d. § 456 Abs. 1 StPO.
Da das Ermessen der Vollstreckungsbehörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 456 Abs. 1 StPO regelmäßig auf Null reduziert ist (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.), kann der Senat -lachdem entgegenstehende Gesichtspunkte nicht ersichtlich sind - den beantragten Strafaufschub selbst bewilligen.
Der Aufschub wird zunächst nur bis zum 15.11.2019 gewährt, da davon auszugehen ist, dass die ptaatsanwaltschaft Mannheim bzw. die gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO für eine Beschwerde zuständige Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe bis zu diesem Zeitpunkt über die beantragte Ladung in den offenen Vollzug entschieden haben werden. Sollte dies nicht der Fall sein, wird die [Strafvollstreckungsbehörde zu prüfen haben, ob in den Grenzen des § 456 Abs. 2 StPO weiterer Strafaufschub gewährt werden kann.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RÄin C. Hierstetter, Mannheim
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