Gericht / Entscheidungsdatum: AG Köln, Beschl. v. 24.01.2020 - 537 Ds 819/19
Leitsatz: 1. Rechtsanwälte in der Rolle des Prozessbevollmächtigten oder des Verteidigers unterliegen nicht der gerichtlichen Sitzungspolizei und Ordnungsstrafgewalt.
2. Droht der Richter auch nach einem intensiven und lautstärkeren Disput zwischen dem Verteidiger und dem Richter über die Art und Weise der Vernehmung des Angeklagten sowie die Unterbrechung der Verhandlung gegeben hat, dem Verteidiger - während der nicht unterbrochenen Hauptverhandlung - an, ihn bei weiterem störenden Verhalten aus dem Saal entfernen zu lassen, rechtfertigt das i.d.R. die Annahme der Besorgnis der Befangenheit.
537 Ds 819/19
AMTSGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In pp.
ist der Antrag des Angeklagten vom 14.01.2020, die Richterin am Amtsgericht pp. wegen Besorgnis der Befangenheit in dieser Sache von der Ausübung des Richteramts auszuschließen, begründet.
Gründe:
Der zulässige Ablehnungsantrag ist gemäß § 24 Abs. 2 StPO begründet.
Nach § 24 Abs. 2 StPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiges Misstrauen ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es zwar auf den Standpunkt des Ablehnenden an, nicht aber auf seinen subjektiven Eindruck und ggf. unzutreffende Vorstellungen vom Sachverhalt. Maßgebend sind vielmehr die Sichtweise eines vernünftigen Ablehnenden und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Der Ablehnende muss daher Gründe für sein Befangenheitsgesuch vorbringen, die jedem besonnenen unbeteiligten Dritten unmittelbar einleuchten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rn. 8 m.w.Nachw.). Die Gründe sind grundsätzlich glaubhaft zu machen (§ 26 Abs. 2 StPO).
Vorliegend steht nach dem Sitzungsprotokoll und dem insoweit im Kern übereinstimmenden Vorbringen des Angeklagten und der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin fest, dass es in der Hauptverhandlung vom 14.01.2020 einen intensiven und lautstärkeren Disput zwischen dem Verteidiger und der Richterin über die Art und Weise der Vernehmung des Angeklagten sowie die Unterbrechung der Verhandlung gegeben hat, der die Richterin schließlich dazu veranlasste, einen Wachtmeister zu holen und dem Verteidiger - während der nicht unterbrochenen Hauptverhandlung - anzudrohen, ihn bei weiterem störenden Verhalten aus dem Saal entfernen zu lassen.
Jedenfalls Letzteres stellt ein offensichtlich rechtswidriges Verhalten dar, das aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.
§ 177 GVG erlaubt während einer laufenden Verhandlung keine Zwangsmittel gegen störende" Verteidiger, weil sie nicht zu dem in der Vorschrift aufgezählten Personenkreis gehören (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 177 GVG Rn. 3a). Selbst wenn man aus einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1976 (NJW 1977, 437 f.) für Extremfälle Ausnahmen in Betracht ziehen wollte, lag ein solcher Extremfall vorliegend offensichtlich nicht vor. Hierzu kann wiederum auf die vorgenannte Entscheidung verwiesen werden, da ihr ein im Kern vergleichbarer Fall zugrunde lag. Dort hatte ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter einer Zivilpartei den Vorsitzenden Richter in der mündlichen Verhandlung durch ständiges Unterbrechen am Protokolldiktat gehindert und dies auch nach förmlichem Entziehen des Wortes fortgesetzt. Daraufhin war er auf Anordnung des Richters der durch einen nachfolgenden Beschluss der Kammer (für Handelssachen) bestätigt worden war, durch zwei Gerichtswachtmeister aus dem Sitzungssaal geführt worden. Der Bundesgerichtshof (Dienstgericht des Bundes) hat diese sitzungspolizeiliche Maßnahme als offensichtlich rechtswidrig bewertet. Zur Begründung heißt es u.a. (unter Weglassung von Klammerzusätzen; Unterstreichungen durch den BGH):
Nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 177, 178 GVG unterliegen Rechtsanwälte in der Rolle des Prozeßbevollmächtigten oder des Verteidigers nicht der gerichtlichen Sitzungspolizei und Ordnungsstrafgewalt. Das ergibt sich auch aus der Funktion des Rechtsanwalts als eines unabhängigen Organs der Rechtspflege und als des berufen unabhängigen Beraters in allen Rechtsangelegenheiten. Der unzweideutige Wortlaut der §§ 177, 178 GVG läßt es nicht zu, die zwangsweise Entfernung eines Anwalts in Situationen anzuordnen und vollziehen zu lassen, die nicht so außergewöhnlich sind, daß angenommen werden könnte, der Gesetzgeber habe sie nicht in seine Überlegungeh einbezogen. Der Disput zwischen dem Antragsteller und dem ihn immer wieder unterbrechenden Prozeßbevollmächtigten aus Anlaß und im Hinblick auf die Abfassung des Protokolls war von einem Extremfall - dessen unaufschiebbare Bewältigung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die zwangsweise Entfernung eines Störers in Anwaltsrobe als nicht ausgeschlossen erscheinen läßt - weit entfernt.
Auch das war offensichtlich."
Diesen sehr deutlichen Ausführungen ist letztlich nichts hinzuzufügen. Dass die vorliegend angedrohte zwangsweise Entfernung des Verteidigers auch in gravierender Weise die Stellung des Angeklagten selbst betrifft, bedarf ebenfalls keiner weiteren Begründung.
Köln, 24. Januar 2020
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