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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Fahrerlaubnis, Caanbiskonsum, medizinische Indikation

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2019 - 6 K 4574/18

Leitsatz: Bei einer ärztlichen Verordnung von Medizinalcannabis kommt es auf die Frage, ob der Betroffene den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen trennen kann nicht an.
Stattdessen ist maßgeblich, ob der Betroffene im zu Grunde liegenden Einzelfall Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt; zudem darf nicht zu erwarten sein, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird.


In pp.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2018 verpflichtet, dem Kläger die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis.
Am 00.0. 2015 gegen 00:00 Uhr fuhr der Kläger mit seinem Kraftfahrzeug (amtl. Kennzeichen XX-XX 000) auf der Kreuzung Q.straße /I.straße /M. Straße in E. -I1. auf ein anderes Fahrzeug auf. Die zu dem Verkehrsunfall herbeigerufenen Polizeibeamten führten bei dem Kläger einen freiwilligen Drogenvortest durch, der positiv auf THC verlief. Der Kläger wurde zur Polizeiwache in E. verbracht, wo ihm um 00:00 Uhr vom diensthabenden Blutprobenarzt eine Blutprobe entnommen wurde. Laut des toxikologischen Gutachtens von Prof. Dr. E1., Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums der I2. -I3. -Universität E1, vom 14. Oktober 2015 wies die dem Kläger entnommene Blutprobe folgenden Befund auf (vgl. Bl. 14 der Beiakte):
Tetrahydrocannabinol (THC) 34 ng/mL
11-OH-THC (THC-Metabolit 1) 14 ng/mL
THC-COOH (THC-Metabolit 2) 525 ng/mL
Cannabis Influence Factor (CIF) 9 ng/mL

Am 19. Juli 2016 beantragte der Kläger bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Erlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabis, welche ihm am 5. September 2016 erteilt worden ist.

Der Beklagte entzog dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom 18. Januar 2017 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Zwangsgeldandrohung auf, seinen Führerschein unverzüglich abzugeben (Bl. 153 ff. der Beiakte). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass von einem gelegentlichen Cannabiskonsum des Klägers auszugehen sei und die Blutprobenanalyse das fehlende Trennungsvermögen belege.

Der Kläger stellte am 31. März 2017 einen Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (Bl. 190 der Beiakte).
Mit Schreiben vom 17. Mai 2017 (vgl. Bl. 206 der Beiakte) ordnete der Beklagte die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens bis zum 17. August 2017 an. Bei der Untersuchung solle die Frage geklärt werden, ob davon auszugehen ist, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen ausreichend sicher trennen kann.

Der Kläger erhob am 18. Mai 2017 Klage vor der erkennenden Kammer (6 K 8725/17). Die Klage nahm er in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2017 zurück.

Der Beklagte setzte dem Kläger sodann eine Frist zur Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens bis zum 28. März 2018 (Bl. 252 der Beiakte).

Das auf die Untersuchung vom 16. Januar 2018 erstellte medizinischpsychologische Gutachten der Institut für C GmbH (J. GmbH) übergab der Kläger dem Beklagten am 7. Februar 2018 (vgl. Bl. 254 der Beiakte). Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen könne. Hierzu stellten sie unter anderem Folgendes fest:
"Unter den vorliegenden Bedingungen des zur täglichen Einnahme verordneten Medikamentes Medizinalcannabisblüten muss bei der vorliegenden Fragestellung festgestellt werden, dass Herr T. im Falle einer Fahrerlaubnis die Einnahme von Medizinialcannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht wird trennen können. Als Cannabispatient erfüllt Herr T. aber die geforderten Bedingungen, um bei ihm eine sichere Verkehrsteilnahme trotz Einnahme von Medizinalcannabis annehmen zu können. Die Überprüfung der verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktion ergab ausreichende Ergebnisse für Fahrerlaubnisklassen der Gruppen 1 und 2. Damit bestehen in diesem Bereich keine Bedenken an der Fahreignung."
Der Beklagte teilte dem Kläger am 15. Februar 2018 mit, dass die bestehenden Bedenken an seiner Kraftfahreignung durch das medizinischpsychologische Gutachten nicht ausgeräumt würden. Daher sei beabsichtigt, den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen (Bl. 272 der Beiakte).

Daraufhin führte der Kläger aus, dass die Fragestellung unzutreffend für den vorliegenden Fall sei. Die behördliche Fragestellung lege zugrunde, dass er weiterhin missbräuchlich Cannabis einnehme, was nachweislich nicht mehr der Fall sei. Bei einem Cannabispatienten, der unter ärztlicher Aufsicht gut eingestellt Cannabis als Medikament einnehme, komme es nicht auf die Frage an, ob der Betroffene den Konsum und das Fahren trennen könne, sondern ob eine Fahreignung unter der Medikation bestehe. Nach dem Bundesverkehrsministerium sei zugrunde zu legen, dass die Einnahme von Medikamenten nur dann zum Ausschluss der Fahreignung führe, wenn es zu einer Beeinträchtigung des Leistungsvermögens unter das erforderliche Maß komme. Insoweit unterliege die Beurteilung der Fahreignung bei medizinischer Verwendung von cannabinoidhaltigen Medikamenten den gleichen rechtlichen Regelungen, wie andere Medikamente. Hieran hätte sich die Fragestellung orientieren müssen. Die Gutachter hätten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er die geforderten Bedingungen erfülle, um eine sichere Verkehrsteilnahme trotz der Einnahme von Medizinalcannabis annehmen zu können. Die ärztliche und psychische Begutachtung habe ergeben, dass keine verkehrsrelevanten Auswirkungen und Leistungseinschränkungen vorlägen. Auch hätten die Gutachter festgestellt, dass er über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit verfüge. Er verhalte sich regelkonform und sei achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen.

Der Beklagte lehnte die begehrte Neuerteilung einer Fahrerlaubnis am 18. April 2018, zugestellt am 23. April 2018, ab (vgl. Bl. 295 der Beiakte). Zudem setzte er Kosten in Höhe von 150 Euro fest.

Der Kläger hat am 23. Mai 2018 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2019 überreichte der Kläger einen Arztbericht des Herrn Dr. U. vom 7. Oktober 2019 und des Herrn Dr. H. vom 29. September 2019, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2018 zu verpflichten, ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er ergänzend aus, dass Grund für die Fahrerlaubnisentziehung die Fahrt vom 24. August 2015 unter Einfluss von Cannabis gewesen sei. Daher sei zu klären, ob die Ursachen, die Anlass für den Entzug der Fahrerlaubnis gewesen seien, zwischenzeitlich behoben seien.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 18. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn er hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis (vgl. § 113 Absatz 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Nach § 2 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG), der gemäß § 20 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) auch bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung Anwendung findet, setzt die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die jeweilige Klasse unter anderem voraus, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Dies ist gemäß § 2 Absatz 4 Satz 1 StVG und § 11 Absatz 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn er die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Dem Erteilungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass das medizinischpsychologische Gutachten der amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung der J. GmbH vom 16. Januar 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen kann. Denn mit Blick auf die ärztliche Verordnung von Medizinalcannabis kommt es hierauf gar nicht (mehr) an. Im Einzelnen:

Aus der Nummer 9 der Anlage 4 der FeV folgt, dass bei der Beurteilung der Fahreignung zu unterscheiden ist zwischen der Einnahme von Betäubungsmitteln, zu denen auch Cannabis zählt, anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und Arzneimitteln. Bei der Einnahme von Arzneimitteln, die Stoffe enthalten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, kann die fehlende Fahreignung nicht schon aus der Einnahme von Betäubungsmitteln nach den Nummern 9.1 oder 9.2.1 der Anlage 4 der FeV hergeleitet werden, da insoweit die in den Nummern 9.4 und 9.6.2 der Anlage 4 der FeV definierten Eignungsmängel speziellere Anforderungen normieren. Die Beurteilung der Fahreignung bei bestimmungsgemäßem Konsum von für einen bestimmten Krankheitsfall ärztlich verordnetem Cannabis ist als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) einzuordnen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2019 - 16 B 1544/18 -, juris, Rn. 2; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 29. April 2019 - 11 B 18.2482 -, juris, Rn. 23; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 10 S 1503/16 -, juris, Rn. 6 m.w.N.; VG Trier, Urteil vom 20. September 2018 - 2 K 11388/17.TR -, juris, Rn. 30; Borgmann, Cannabiskonsum und Fahreignung, in: DAR 2018, S. 190, 196; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu Cannabismedizin und Straßenverkehr, Blutalkohol 2017, S. 239; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45 Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 62a und 65.

Danach ist die Fahreignung dann nicht gegeben, wenn eine Vergiftung (Nr. 9.6.1 der Anlage 4 zur FeV) oder eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) besteht. Erläuternd hierzu heißt es in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung:

"Die Beurteilung der Anpassungs- und Leistungsfähigkeit eines Kraftfahrers an die Erfordernisse beim Führen eines Kraftfahrzeuges im Zusammenhang mit einer Arzneimittelbehandlung muss in jedem Falle sehr differenziert gesehen werden. Vor allem ist zu beachten, dass eine ganze Reihe Erkrankungen, die von sich aus die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen können, durch Arzneimittelbehandlung so weit gebessert oder sogar geheilt werden, dass erst durch die Behandlung die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder erreicht werden können. Entscheidend für die Beurteilung ist aber, ob eine Arzneimitteltherapie, insbesondere auch die Dauertherapie, zu schweren und für das Führen von Kraftfahrzeugen wesentlichen Beeinträchtigungen der psychophysischen Leistungssysteme führt. Medikamentöse Behandlungen, in deren Verlauf erhebliche unerwünschte Wirkungen wie Verlangsamung und Konzentrationsstörungen auftreten, schließen die Eignung in jedem Falle aus. Ob solche Intoxikationen vorliegen, wird vor allem dann zu prüfen sein, wenn ein chronisches Grundleiden zu behandeln ist, das mit Schmerzen oder starken "vegetativen" Beschwerden einhergeht (auch chronische Kopfschmerzen, Trigeminusneuralgien, Phantomschmerzen, Schlafstörungen usw.)."

Der eignungsrelevante Unterschied zwischen bestimmungsgemäß eingenommenen Arzneimitteln und Drogen liegt in der unterschiedlichen Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung und bei missbräuchlichem Konsum. Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um berauscht zu sein, nimmt ein Patient eine Substanz zu sich, um sein Leiden zu lindern. Bei bestimmungsgemäßer Einnahme fahren Cannabispatienten gerade nicht in einem berauschten Zustand. Erst durch die Einnahme von Cannabismedizin sind sie überhaupt in der Lage, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass Patienten anders als Drogenkonsumenten in der Regel über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit verfügen. Sie verhalten sich eher regelkonform und sind achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen.
Vgl. Müller/Rebler, Medikamente und Fahreignung, Blutalkohol 2018, S. 204, 207 f. m.w.N.; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu Cannabismedizin und Straßenverkehr, Blutalkohol 2017, S. 239.

Da die Dosis jeweils individuell ist, gibt es auch keine Grenzwerte für die Einnahme von Medikamenten. Stattdessen gilt der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit. Danach muss ein Kraftfahrer ärztliche Anweisungen befolgen und die Gebrauchsanweisung des eingenommenen Medikaments beachten. Er ist insoweit verpflichtet, sich über mögliche Auswirkungen auf seine Fahrtüchtigkeit zu informieren und notfalls, sofern eine eindeutige Beurteilungsgrundlage nicht zu erlangen ist, durch Abstandnahme von der Fahrt sicherzustellen, dass er nicht im fahruntüchtigen Zustand ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt.

Vgl. Müller/Rebler, Medikamente und Fahreignung, Blutalkohol 2018, S. 204, 215 m.w.N.

Hält sich ein Kraftfahrer an diese Vorgaben, begeht er nach § 24a Absatz 2 Satz 2 StVG in Ausnahme zu Satz 1 auch keine Ordnungswidrigkeit, da die Substanz dann aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.
Grundsätzlich wird nach alldem nicht allein durch die Behauptung, einen nicht ärztlich verordneten regelmäßigen Cannabiskonsum durch einen ärztlich verordneten ersetzt zu haben, die Fahreignung wiedererlangt. Ausgehend von der Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation setzt dies vielmehr voraus, dass der Betroffene Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt; zudem darf nicht zu erwarten sein, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. Erforderlich ist eine einzelfallorientierte Beurteilung der Fahreignung.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2019 - 16 B 1544/18 -, juris, Rn. 4 m.w.N.; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 10 S 1503/16 -, juris, Rn. 8; VG Trier, Urteil vom 20. September 2018 - 2 K 11388/17.TR -, juris, Rn. 30; Müller/Rebler, Medikamente und Fahreignung, Blutalkohol 2018, S. 204, 216 f.

Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben hat der Kläger im vorliegenden Einzelfall durch Vorlage des medizinischpsychologischen Gutachtens der J. GmbH nachgewiesen, seine Fahreignung wiedererlangt zu haben.
Im Rahmen der Untersuchung vom 16. Januar 2018 führten die beiden Gutachter, Facharzt für Innere Medizin Dr. C. und Dipl. Psychologe T1. , an deren Sachkunde keine Zweifel bestehen, einen Leistungstest sowie eine medizinische und eine psychologische Untersuchung beim Kläger durch.
Die im Einzelnen nachvollziehbar dargestellte Überprüfung der verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktion des Klägers ergab "ausreichende Ergebnisse für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppen 1 und 2". Dabei ist sichergestellt worden, dass der Kläger zeitnah vor der Durchführung der Leistungstests das ärztlich verordnete Medizinalcannabis eingenommen hatte.

Dies bestätigt das Ergebnis des durchgeführten Drogenscreenings. So wies die Urinprobe des Klägers folgenden Befund auf:
Tetrahydrocannabinol (THC) > 16 ng/mL
11-OH-THC (THC-Metabolit 1) > 6 ng/mL
THC-COOH (THC-Metabolit 2) < 160 ng/mL

Auch die Eignungsuntersuchung der Gesellschaft für B mbH (B. GmbH) vom 12. Dezember 2016 hatte bereits ergeben, dass das Leistungsvermögen des Klägers zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklasse B ausreiche.
Weiter stellten die Gutachter fest, dass die körperliche Untersuchung und die Anamnese keine krankhaften Befunde im Sinne der Fragestellung ergeben hätten. Insbesondere lägen auch keine Hinweise auf eine drogenbedingte Beeinträchtigung der Fahreignung vor. Auch die in dem ärztlichen Attest des Herrn Dr. U. vom 7. Oktober 2019 aufgeführten Diagnosen lassen eine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung nicht erkennen.

Die Auswertung des psychologischen Untersuchungsgesprächs ergab schließlich, dass davon auszugehen ist, dass sich der Kläger an die ärztliche Verordnungen und Ratschläge hält und dazu in der Lage ist, reflektiert und verantwortlich mit der Wirkung der verschriebenen Cannabismedikamente umzugehen. So führten die Gutachter, denen neben den ärztlichen Dosierungsanleitungen vom 16. Januar und 15. August 2017 auch der Arztbericht von Herrn Dr. H. gegenüber der Bundesopiumstelle sowie das ärztliche Attest über die regelmäßige ambulante Behandlung bei Herrn Dr. U. vom 11. Januar 2018 vorlagen, aus, dass beim Kläger keine Drogenproblematik im Sinne der Begutachtungsleitlinien/Beurteilungskriterien vorgelegen habe. Vielmehr sei deutlich geworden, dass der Kläger Medizinalcannabis zur Behandlung der bei ihm vorliegenden Schmerzproblematik einnehme und dass bei ihm die für Cannabispatienten erforderliche Therapietreue sowie ein angemessenes Bewusstsein für die bei der bestehenden Medikation gegebenen Risiken bestehe und er insbesondere ein Bewusstsein dafür habe, dass eine ggf. eintretende Rauschwirkung mit einer Verkehrsteilnehme nicht zu vereinbaren sei. Der Kläger erfülle als Cannabispatient die geforderten Bedingungen, um bei ihm eine sichere Verkehrsteilnahme trotz der Einnahme von Medizinalcannabis annehmen zu können. Die Kammer hat unter Berücksichtigung der dokumentierten Angaben des Klägers im Rahmen des Explorationsgesprächs keinen Anlass diese gutachterlichen Ausführungen in Frage zu stellen, zumal auch der Beklagte deren Nachvollziehbarkeit unbeanstandet ließ.

Da der Kläger nach alledem nachgewiesen hat, seine Fahreignung wiedererlangt zu haben, kommt es auf die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob die Anordnung zur Vorlage eines solchen Gutachtens rechtmäßig ergangen ist, insbesondere ob eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Fragestellung für das Gutachten vorgelegen hat, nicht mehr an. Denn das Ergebnis der durchgeführten Begutachtung hat eine neue Tatsache geschaffen, die selbstständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung bzw. -erteilung zu verwerten, lässt sich weder aus den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes, noch aus den Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung oder aus sonstigem Recht ableiten.

Vgl. zur Verwertbarkeit eines vorgelegten Gutachtens, das auf einer rechtswidrigen Gutachtenanordnung beruht, zum Nachteil des Betroffenen BVerwG, Urteil vom 18. März 1982 - 7 C 69.81 -, BVerwGE 65, 157-167 = juris, Rn. 20 und Beschluss vom 19. März 1996 - 11 B 14/96 -, juris, Rn. 3; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 20. November 2010 - 16 B 1299/10; VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2013 - 14 L 2328/12 -, juris, Rn. 10.

Da ausweislich des Schreibens des Beklagten vom 27. August 2019 (Bl. 109 der Gerichtsakte) auch keine anderweitigen Versagungsgründe vorliegen, hat der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S. Insbesondere beabsichtigt der Beklagte keine Fahrerlaubnisprüfung nach § 20 Absatz 2 FeV anzuordnen.

Dem Kläger ist die Fahrerlaubnis auch nicht unter der Auflage zu regelmäßigen Nachuntersuchungen zu erteilen. Gemäß §§ 2 Absatz 4 Satz 2 StVG, 23 Absatz 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis soweit wie notwendig beschränken oder unter den erforderlichen Auflagen erteilen, wenn der Bewerber nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Diese Regelung verlangt, dass eine bedingte Eignung besteht. Denn sie ist im Zusammenhang zu sehen mit der vollständigen Ungeeignetheit. Letztere zieht die Versagung bzw. bei einem Fahrerlaubnisinhaber den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich (vgl. § 3 Absatz 1 Satz 1 StVG, § 46 Absatz 1 Satz 1 FeV i.V.m. § 20 Absatz 1 FeV). Eine Versagung oder ein Entzug der Fahrerlaubnis, wenn der Betroffene noch bedingt geeignet ist, wäre allerdings unverhältnismäßig, weil er nicht das mildeste Mittel darstellt. Vorrangig ist in einem solchen Fall die Beschränkung der Fahrerlaubnis oder die Anordnung von Auflagen, wenn die Mängel hierdurch kompensierbar sind.

Vgl. zur Parallelregelung in § 46 Absatz 2 FeV Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. April 2017 - 4 LA 4/17 -, juris, Rn. 9; VG München, Beschluss vom 26. September 2007 - M 1 S 07.3224 -, juris, Rn. 19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auf. 2019, § 23 Rn. 11.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen der §§ 2 Absatz 4 Satz 2 StVG, 23 Absatz 2 Satz 1 FeV nicht vor, da der Kläger nicht nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der Kläger uneingeschränkt die geforderten Bedingungen erfüllt, um von einer sicheren Verkehrsteilnahme trotz der Einnahme von Medizinalcannabis ausgehen zu können. Insbesondere ergab auch die Überprüfung der verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktionen keine Bedenken an seiner unbedingten Fahreignung.

Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die dauerhaften Auswirkungen der Einnahme von Medizinalcannabis auf die Leistungsfähigkeit des Klägers noch nicht absehbar sind, es insbesondere noch zu einer fahreignungsrelevanten nachteiligen Veränderung seiner verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktion kommen kann. Indes dienen Auflagen nach § 23 Absatz 2 Satz 1 FeV nicht allein der Vorsorge. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ein gewisses Restrisiko in Kauf zu nehmen ist, da jeder Verkehrsteilnehmer zumindest potentiell das Risiko in sich trägt, plötzlich am Steuer eine gravierende Gesundheitsstörung zu erleiden, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt.

Vgl. zu der Auflage zu Nachuntersuchungen allein aufgrund der Diagnose einer MS-Erkrankung Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. April 2017 - 4 LA 4/17 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 23 FeV, Rn. 61.

Dies entspricht auch dem in § 20 Absatz 2 Satz 1 Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz - OBG NRW) zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach Ordnungsverfügungen nicht lediglich den Zweck haben dürfen, die den Ordnungsbehörden obliegende Aufsicht zu erleichtern.
Vielmehr muss die Fahrerlaubnisbehörde entsprechend der erwartbaren Entwicklung der Leistungsfähigkeit einer Person, die dauerhaft ärztlich verordnetes Medizinalcannabis einnimmt, zu gegebener Zeit wieder in eine Eignungsprüfung eintreten.

Ist die Versagung der begehrten Fahrerlaubnis rechtswidrig, ist auch die dem Grundverwaltungsakt zu Grunde liegende Kostenfestsetzung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).


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