Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

Gebühren

Pflichtverteidigervergütung, nachträgliche Gesamtstrafenbildung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 11.06.2019 - 1 Ws 265/19

Leitsatz: Einem Verteidiger steht für seine Tätigkeit im Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach §§ 460, 462 StPO eine Vergütung nach Nrn. 4204, 4205 VV-RVG zu (Anschluss an OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2018 - 2 Ws 106/18 = JurBüro 2019, 23 = AGS 2018, 494). Etwas anderes folgt insbesondere nicht daraus, dass sich die schon frühere Beiordnung als Pflichtverteidiger regelmäßig auf das Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung erstreckt.


In pp.

Auf die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers wird der Beschluss des Landgerichts vom 08.04.2019 aufgehoben. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.02.2019 wird verworfen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde dem früheren Angeklagten mit Beschluss vom 18.07.2017 im vorliegenden Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt. Durch Urteil des Amtsgerichts vom 06.02.2018, rechtskräftig seit 06.03.2018, wurde der Angeklagte zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Am 07.06.2018 erlangte ein weiteres Urteil des Amtsgerichts vom 24.07.2017 gegen den Angeklagten Rechtskraft. Mit Beschluss vom 25.10.2018, rechtskräftig seit 25.12.2018, hat das Amtsgericht unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil vom 24.07.2017 aus einer der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen eine neue nachträgliche Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO gebildet. Im Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung war der Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger beteiligt. Er fertigte u.a. verschiedene Schriftsätze.
Der Beschwerdeführer hat für seine Tätigkeit im Rahmen des Verfahrens der nachträglichen Gesamtstrafenbildung eine Vergütung nach Nrn. 4204, 4205 RVG-VV in Höhe von 216,58 Euro (Verfahrensgebühr nach Nrn. 4204, 4205 VV-RVG in Höhe von 162,00 Euro + Auslagenpauschale nach Nr. 7002 RVG-VV in Höhe von 20 Euro nebst Umsatzsteuer in Höhe von 19 % nach Nr. 7008 RVG-VV in Höhe von 34,58 Euro) beantragt. Diese Vergütung wurde dem Beschwerdeführer mit Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts vom 07.12.2018 zugesprochen. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21.02.2019 zurückgewiesen. Gegen den ihr am 06.03.2019 zugestellten Beschluss hat die Bezirksrevisorin mit Schreiben vom 06.03.2019 Beschwerde eingelegt, welcher das Amtsgericht mit Beschluss vom 07.03.2019 nicht abgeholfen hat.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 08.04.2019 die Sache gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Kammer zur Entscheidung übertragen und mit weiterem Beschluss vom gleichen Tag den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts vom 07.12.2018 aufgehoben, den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers zurückgewiesen und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung für zukünftige Fälle zugelassen.
Gegen den ihm am 10.04.2019 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.04.2019, eingegangen am 11.04.2019, weitere Beschwerde eingelegt, welcher das Landgericht mit Beschluss vom 16.04.2019 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 13.05.2019 beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Sowohl der Beschwerdeführer, als auch die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1, Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 4 RVG statthafte und im Übrigen form- und fristgerecht erhobene weitere (befristete) Beschwerde ist zulässig. Da sich die Beschwerde gegen die Versagung der beantragten Vergütung insgesamt richtet, überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 200 Euro (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern.
Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Dem Beschwerdeführer steht das geltend gemachte Pflichtverteidigerhonorar in voller Höhe zu.
1. Ob einem Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§§ 460, 462 StPO) ein Honorar nach Nrn. 4204, 4205 RVG-VV zusteht, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt (bejahend: OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2018 - 2 Ws 106/18 = JurBüro 2019, 23 = AGS 2018, 494; Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. Rn. 4 zu RVG-VV 4204; Schneider/Volpert/Fölsch Gesamtes Kostenrecht 2. Aufl. Rn. 11 zu RVG-VV 4200 - 4207; Burhoff in: Gerold/Schmidt RVG 23. Aufl. Rn. 4 zu RVG-VV 4200 - 4207; verneinend: LG Bonn, Beschl. v. 23.03.2017 - 29 Qs 5/17 bei juris).
2. Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an:
a) Die von der Generalstaatsanwaltschaft und der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht zur Untermauerung ihrer Ansicht zitierten Entscheidungen (OLG Bamberg StV 1985, 140; OLG Jena StV 2007, 96; OLG Köln, Beschl. v. 22.03.2010 - 2 Ws 168/10 und KG, Beschl. v. 12.10.2010 - 2 Ws 521/10, jeweils bei juris) sind nicht geeignet, ihre Rechtsauffassung zu stützen. In keiner der genannten Entscheidungen ist jemals die Ansicht vertreten worden, dass einem im Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung tätigen Verteidiger hierfür keine Vergütung zustünde. Sämtliche Entscheidungen beschäftigen sich ausschließlich mit der (zu bejahenden) Frage, ob die einmal erfolgte Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 StPO auch im Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung fortwirkt.
Hiervon strikt zu trennen ist die Frage, ob dem Verteidiger für diese Tätigkeit ein zusätzliches Honorar zusteht. Nachdem sich die einmal erfolgte Pflichtverteidigung auf das gesamte weitere Erkenntnisverfahren mit Ausnahme der Revisionshauptverhandlung bezieht (vgl. nur KK/Willnow StPO 8. Aufl. § 141 Rn. 10 m.w.N.), das Gesetz aber ausdrücklich anordnet, dass diesem sowohl im Vorverfahren, als auch im Verfahren 1. Instanz, als auch im Berufungsverfahren, als auch im Revisionsverfahren gesonderte Vergütungen zustehen (Nrn. 4104 f., 4106 ff., 4124 ff., 4130 ff. RVG-VV), bringt bereits die Gesetzessystematik eindeutig zum Ausdruck, dass die Frage der Vergütung des Pflichtverteidigers für einzelne Verfahrensabschnitte unabhängig von der Frage der Fortwirkung seiner Bestellung zu beurteilen ist.
b) Für die Ansicht des Landgerichts Bonn (a.a.O.) spricht allerdings der Wortlaut der Überschrift des 4. Teils Abschnitt 2 der RVG-VV [‚Gebühren in der Strafvollstreckung‘] und der Wortlaut in Nr. 4204 RVG-VV, wo von „Gebühren in der Strafvollstreckung“ bzw. „Verfahren in der Strafvollstreckung“ die Rede ist. Von Strafvollstreckung im engeren Sinn kann bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach §§ 460, 462 StPO schon deshalb nicht die Rede sein, da diese darauf gerichtet ist, überhaupt erst ein der Strafvollstreckung zugängliches Erkenntnis zu schaffen.
c) Für die honorarrechtliche Relevanz des Tätigwerdens des Beschwerdeführers sprechen hingegen systematische Überlegungen (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.). Der Gesetzgeber hat das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§§ 460, 462 StPO) im 7. Buch, 1. Abschnitt der StPO (§§ 449 ff. StPO) geregelt, welcher mit „Strafvollstreckung“ überschrieben ist. Insoweit spricht die Gesetzessystematik dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff der Strafvollstreckung i.S.d. RVG mit den §§ 449 ff. StPO gleichgesetzt hat.
d) Dass der Gesetzgeber den Begriff der „Strafvollstreckung“ i.S.d. Teils 4, Abschnitt 2 der RVG-VV nicht im streng strafrechtsdogmatischen Sinn, sondern als Verweis auf die §§ 449 ff. StPO verstanden hat, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass er in Nr. 4200 Ziff. 1 RVG-VV unter der Überschrift „Gebühren in der Strafvollstreckung“ Vergütungen des Verteidigers in Verfahren regelt, die sich gerade nicht als Strafvollstreckung, sondern vielmehr als solche der Vollstreckung einer Maßregel darstellen.
e) Schließlich kann es - schon im Hinblick auf Art. 3 GG - nicht Sinn und Zweck einer gesetzgeberischen Regelung sein, die Vergütung oder Nichtvergütung eines Verteidigers für im wesentlichen gleiche Tätigkeiten von Zufälligkeiten abhängig zu machen, welche er selbst nicht steuern kann. Genau dies wäre jedoch in bestimmten Konstellationen der Fall, wollte man der Rechtsansicht des Landgerichts Bonn (a.a.O.) folgen. Hebt das Revisionsgericht nämlich ein Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei der Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 StGB) auf, kann dies nach § 354 Abs. 1b StPO mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. Ob das Revisionsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, oder das Verfahren gemäß § 354 Abs. 2 StPO in eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichts, dessen Urteil im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben wurde, zurückverweist, liegt allein in dessen pflichtgemäßen Ermessen. Im letzteren Fall steht dem Pflichtverteidiger für sein Tätigwerden vor dem Gericht des 1. Rechtszugs erneut die Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106, 4107 RVG-VV (i.Ü. ggf. neben Terminsgebühren nach Nr. 4108 RVG-VV zu [vgl. Burhoff Rn. 3 zu RVG-VV 4106, 4107]). Eine sachliche Rechtfertigung dafür, einem Verteidiger für sein Tätigwerden im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung entweder gar keine Vergütung oder mindestens eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106, 4107 RVG-VV zuzugestehen, je nachdem, von welcher Möglichkeit der Entscheidung das Revisionsgericht Gebrauch gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Die Notwendigkeit einer ähnlichen Honorierung des Verteidigers für ähnliche von ihm erbrachte Leistungen spricht also dafür, dass seine Tätigkeit im Verfahren über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung von den Nrn. 4204, 4205 RVG-VV erfasst ist.
III.
Der Beschwerdeführer ist somit wie folgt (und entsprechend seinem Antrag) zu honorieren:
Verfahrensgebühr Nrn. 4204, 4205 RVG-VV 162,00 Euro
Pauschale für Post- und Telekommunikation Nr. 7002 RVG-VV 20,00 Euro
19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 RVG-VV 34,58 Euro
Gesamtbetrag (wie beantragt) 216,58 Euro

IV.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).


Einsender: RiOLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".