Gericht / Entscheidungsdatum: LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.06.2019 - 6 Sa 994/18
Leitsatz: Der Verdacht der Unterschlagung einer einem Pförtner einer Polizeidienststelle anvertrauten Fundsache ist geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in dessen Redlichkeit dauerhaft zu zerstören.
6 Sa 994/18
In pp.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.09.2018 - AZ: 12 Ca 5121/18 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der am 06.06.1983 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 19.01.1987 bei dem beklagten Land beschäftigt. Sein monatliches Entgelt betrug zuletzt ca. 2.600,- brutto. Auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Verweisung der TV-L Anwendung.
Der Kläger war zunächst im Werkstattbereich tätig. Seit November 2015 wurde er aus gesundheitlichen Gründen auf der Stelle des Pförtners einer Polizeidienststelle der Liegenschaft "L.-S.-Str. 180" in E. eingesetzt. Dieses Gebäude wird von verschiedenen Organisationseinheiten des Polizeipräsidiums genutzt. Es handelt sich nicht um eine Polizeiwache.
Am Vormittag des 22.12.2017 suchte die Zeugin B. M. das obige Gebäude auf. Sie wandte sich an den Kläger, der an der Pforte seinen Dienst ausübte, und teilte ihm mit, sie wolle einen 100,- -Schein abgeben, den sie gefunden habe. Ob der Kläger sodann den Schein entgegengenommen hat, steht zwischen den Parteien im Streit. Der Geldschein ist weder bei der dafür zuständigen Stelle in der ersten Etage des Dienstgebäudes "L.-S.-Str. 180" noch anderweitig bei der Polizeidienststelle hinterlegt worden.
Noch am selben Tag wandte sich die Zeugin M. um 12.52 Uhr mit folgender E-Mail an eine Poststelle der Düsseldorfer Polizei:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe heute Vormittag auf dem Vorplatz der ehemaligen WestLB Friedrichstraße/Ecke Herzogstraße einen 100 - Schein gefunden.
Den habe ich dann an der Pforte der Polizeistelle in der I. straße abgegeben. Der Herr an der Pforte sagte mir dann, dass er diesen Schein nach oben bringen würde. Auf meine Nachfrage, ob ich Angaben zum Fundort oder meinen Personalien machen sollte, meinte er, das wäre nicht nötig.
Nachdem ich diesen Vorgang meinem Mann erzählte, der vor geraumer Zeit eine Uhr gefunden und bei der Polizei abgegeben hatte, kam uns das Verhalten komisch vor. Er sagte, dass er bei der Uhr (die wohl nicht wertvoll war) genaue Angaben zum Fundort und seiner Person machen musste.
Was passiert jetzt mit dem 100 -Schein. Es ist schon seltsam, dass keinerlei Frage nach dem Wo und Wann gestellt wurden. Ich würde schon gerne wissen, was nun mit dem Geld passiert, da ja nun mit Sicherheit kein Besitzer mehr ausfindig gemacht werden kann.
"
Der Sachverhalt wurde durch das Beschwerdemanagement des Polizeipräsidiums Düsseldorf an das zuständige Kriminalkommissariat weitergegeben. Dieses leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des strafrechtlichen Verdachts der Unterschlagung ein. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde die Zeugin M. am 08.05.2018 polizeilich vernommen. Im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage mit acht Fotos identifizierte sie die Fotografie des Klägers und erklärte, sie sei sich zu 80% sicher, dass es sich um die Person handle, die den 100 - Schein entgegengenommen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage B 2, Bl. 252 - 253 d.A., Bezug genommen. Nach der Vernehmung der Zeugin übersandte das Kriminalkommissariat den Vorgang zur Einsichtnahme an die Personalabteilung des Polizeipräsidiums. Mit Schreiben vom 11.05.2018 (Bl. 37 f. d.A.) hörte das beklagte Land den Kläger unter Fristsetzung bis zum 18.05.2018 zu dem Verdacht an, er habe den 100 - Schein an sich genommen und nicht als Fundsache weitergeleitet. Der Kläger äußerte sich mit anwaltlichem Schreiben vom 14.05.2018, beim beklagten Land eingegangen am 16.05.2018, dahingehend, dass er eine derartige Tat mit aller Entschiedenheit bestreite. Weitere Angaben zur Sache machte er nicht.
Mit einem laut Eingangsstempel am 22.05.2018 eingegangenen Schreiben vom 18.05.2018 wurde der Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung angehört (Bl. 43 - 48 d.A.). Der Personalrat bat zunächst mit Schreiben vom 23.05.2018 darum, die Kündigung nicht auszusprechen, bevor der Rechtsbeistand des Klägers die Möglichkeit einer Akteneinsicht gehabt habe. Nach einer ergänzenden Stellungnahme des beklagten Landes vom 25.05.2018 stimmte der Personalrat der Kündigung dann auf seiner Sitzung vom 29.05.2018 zu. Mit einem dem Kläger am 30.05.2018 persönlich ausgehändigten - versehentlich auf den 29.05.2017 datierten - Schreiben kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist zum 31.12.2018.
Mit seiner dem beklagten Land am 20.06.2018 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und dabei das Fehlen eines wichtigen Grundes sowie die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB sowie die Ordnungsmäßigkeit der Personalratsanhörung mit Nichtwissen bestritten.
Der Kläger hat behauptet, er habe den Geldschein am 22.12.2017 nicht entgegengenommen, sondern der Finderin mitgeteilt, dass er nicht befugt sei, die Fundsache anzunehmen. Er habe sie darauf hingewiesen, dass sie die Fundsache in einem Fundbüro oder in der Wache abgeben solle. Sie sei daraufhin wieder fortgegangen. Was sie anschließend mit dem 100 - Schein gemacht habe, entziehe sich seiner Kenntnis. Der Kläger hat zudem die Auffassung vertreten, die ihm eingeräumte Stellungnahmefrist von einer Woche sei zu kurz bemessen gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 29.05.2017 (vermutlich 2018 gemeint) nicht beendet worden ist.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat vorgetragen, es bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger am 22.12.2017 in Ausübung seines Dienstes einen 100 - Schein unterschlagen habe. Die vorgenommene Interessenabwägung sei zu Lasten des Klägers ausgefallen. Kein Arbeitgeber müsse dulden, dass seine Räume für strafbare Handlungen von Mitarbeitern genutzt würden. Dies gelte hier erst recht, da ein konkreter Bezug zum beklagten Land - im speziellen zum Polizeipräsidium Düsseldorf - bestehe. Es sei eine nachhaltige Schädigung des Rufs und der Integrität der Polizei zu befürchten. Die Öffentlichkeit vertraue darauf, dass die Polizei ihren gesetzlichen Aufträgen nachkomme. Dieses Vertrauen werde dadurch zerstört, wenn Angehörige der Polizei selbst strafrechtlich in Erscheinung träten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.09.2018 abgewiesen. Gegen dieses Urteil, welches dem Kläger am 05.10.2018 zugestellt worden ist, hat er am 15.10.2018 Berufung eingelegt und diese mit einem am Montag, dem 07.01.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger bestreitet weiterhin, dass er die 100,- entgegengenommen habe. Es bestehe auch kein dringender Verdacht. Vielmehr stünde Aussage gegen Aussage. Er rügt, dass das Arbeitsgericht seine Entscheidung ohne Vernehmung der Finderin getroffen habe. Zudem hätte vor dem Hintergrund der über 30-jährigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Abmahnung ausgereicht. Die Interessenabwägung sei fehlerhaft zu seinen Lasten vorgenommen worden. Es hätte insoweit berücksichtigt werden müssen, dass der Vorgang dem beklagten Land schon seit Anfang Januar 2018 bekannt gewesen sei. Auch wenn es nach der Rechtsprechung des BAG den Fortgang des Ermittlungsverfahrens habe abwarten dürfen, so müsse bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden, dass es ihn trotz der E-Mail vom 22.12.2017 in Kenntnis der Tatsache, dass er an diesem Tag Dienst an der Pforte gehabt habe, noch viele Monate weiterbeschäftigt habe. Warum dies dann nicht zumindest bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres möglich gewesen sein soll, leuchte nicht ein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.09.2018, AZ: 12 Ca 5121/18, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 29.05.2018 beendet worden ist.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvorbringens.
Der Kläger ist rechtskräftig wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40,00 verurteilt worden.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B. M.. Zudem hat sie den Kläger informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28.06.2019 Bezug genommen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, die Sitzungsniederschriften beider Instanzen sowie ergänzend auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
A.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
I. Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung.
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG statthafte Berufung ist unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 30.05.2018 beendet worden.
1. Die Kündigung ist nicht gemäß § 626 BGB unwirksam.
a) Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung sind erfüllt.
aa) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG v. 19.01.2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 28, NZA 2016, 1144; BAG v. 22.10.2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 20, juris; BAG v. 13.05.2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 27, 28).
Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann selbst dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG v. 10.06.2010 Rn.26 aaO; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06 - Rn.16,17, AP Nr. 210 zu § 626 BGB; BAG v. 12.08.1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Diese Grundsätze gelten auch für die Entwendung von im Eigentum eines Dritten stehenden Sachen, sofern eine solche Handlung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erfolgt (vgl. LAG Düsseldorf vom 29.04.2016 - 6 Sa 489/15 - n.v.; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.11.2006 - 5 Sa 464/06 - Rn. 26, juris; LAG Köln v. 11.08.1998 - 3 Sa 100/98 - NZA-RR 1999, 415; Niemann in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Auflage 2019, BGB § 626 Rn. 94). Durch ein solches Verhalten kann ebenfalls das Vertrauensverhältnis zum Mitarbeiter beeinträchtigt werden.
Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund darstellen (sog. Verdachtskündigung). Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr, vgl. etwa BAG v. 02.03.2017 - 2 AZR 698/15 -; BAG v. 17.03.2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 39). Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und gegebenenfalls zu beweisenden Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG v. 02.03.2017 - 2 AZR 698/15 -; BAG v. 17.03.2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 39 (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 39.
Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG v. 26.03.2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 21, AP Nr. 253 zu § 626 BGB; BAG v. 09.06.2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 22, juris). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11 - juris; BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - juris).
bb) Der im Streitfall zu beurteilende Sachverhalt ist "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der Vorwurf der Unterschlagung einer dem Kläger anvertrauten Fundsache aufgrund der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung und der Aussage der Zeugin M. im vorliegenden Verfahren erwiesen ist und damit die Voraussetzungen einer Tatkündigung vorliegen. Jedenfalls sind die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung erfüllt.
aaa) Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger einen 100 - Schein, den er als Fundsache von der Zeugin M. erhalten hat, für sich behalten und damit unterschlagen hat.
Die Zeugin M. hat ihre bereits vor Ausspruch der Kündigung bei der Polizei getätigte Aussage, sie habe am 22.12.2017 einen 100 - Schein an den Kläger gegeben, in ihrer Vernehmung vor der Kammer am 28.06.2019 bestätigt.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin sind weder vom Kläger vorgetragen worden noch in sonstiger Weise ersichtlich. Die Aussage der Zeugin ist auch glaubhaft. Sie hat das Geschehen anschaulich geschildert und dabei Details wiedergegeben, die auf eine echte Erinnerung schließen lassen. So hat sie nachvollziehbar erläutert, warum sie gerade das konkrete Gebäude aufgesucht hat, und was sie anschließend gemacht hat. In sich schlüssig war auch die Schilderung, warum sie die Sache nicht auf sich hat beruhen lassen (Hinweis des Ehemannes auf den Fund einer Uhr vor einiger Zeit). Den vermeintlichen Widerspruch, dass sie in ihrer E-Mail vom 22.12.2017 ausgeführt hat, ihr Ehemann habe selbst eine Uhr gefunden, in der Zeugenaussage aber bekundet hat, es sei ihr Sohn gewesen, vermochte sie ohne Zögern dahingehend aufzuklären, dass die Darstellung in der E-Mail vereinfacht gewesen sei. Da der Sohn damals noch im Grundschulalter war und die Fundsache nicht allein, sondern in Begleitung des Ehemannes abgegeben hat, der dementsprechend auch die Angaben zu Fund und Personalien gemacht haben dürfte, ist die vereinfachte Darstellung verständlich.
Die Zeugin hat zudem eine Äußerung des Klägers aus dem Gespräch vom 22.12.2017 wiedergegeben, welche sie sich nicht ausgedacht haben kann. Er soll nämlich zweimal gesagt haben, er werde den Geldschein "nach oben geben". Tatsächlich befand sich die für Fundsachen zuständige Stelle in der ersten Etage, also "oben". Woher hätte die Zeugin dies wissen sollen, wenn die Äußerung nicht tatsächlich getätigt worden ist?
Weiter ist zu bedenken, dass die Zeugin kein Motiv hat, den Kläger zu Unrecht zu belasten. Sie kannte den Kläger bis zu dem Vorfall am 22.12.2017 gar nicht. Dass am 22.12.2017 irgendetwas vorgefallen wäre, was die Zeugin in einer Weise gegen den Kläger hätte aufbringen können, dass sie veranlasst hätte, ihn zu Unrecht anzuschwärzen, hat der Kläger selbst nicht vorgetragen. Die Zeugin hat auch in ihrer Aussage vor der Kammer keinerlei Belastungstendenzen gegen den Kläger erkennen lassen; vielmehr hat sie den gesamten Vorgang sehr sachlich geschildert. Auf Nachfrage der Kammer hat sie zudem erklärt, der Kläger sei nicht unfreundlich gewesen.
Hinzu kommt Folgendes: Sofern der Geldschein nicht vom Kläger in Empfang genommen worden wäre, hätte die Zeugin ihn selbst behalten und sich damit ihrerseits gemäß § 246 StGB wegen einer Unterschlagung strafbar gemacht. Warum hätte sie sich dann überhaupt bei der Polizei melden und sich hierdurch der Gefahr polizeilicher Ermittlungen aussetzen sollen? Ohne die E-Mail hätte bei der Polizei niemand Kenntnis vom Fund des 100 - Scheins gehabt. Selbst wenn der Kläger jemandem davon erzählt hätte, dass eine Frau versucht habe, einen gefundenen Geldschein bei ihm abzugeben, so waren auch ihm nicht die Personaldaten der Zeugin bekannt. Dass ein unredlicher Finder sich in einer solchen Situation selbst bei der Polizei meldet, widerspricht jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit.
Soweit sich der Kläger schließlich darauf beruft, es stünde "Aussage gegen Aussage", ist dem entgegen zu halten, dass er - im Gegensatz zur Zeugin - sehr wohl ein Motiv hat, die Unwahrheit zu sagen, da er sich im Falle der Entgegennahme und Nichtweitergabe des Geldscheins strafbar gemacht hat. Er hat dementsprechend ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits.
bbb) Der Verdacht der Unterschlagung einer dem Kläger anvertrauten Fundsache ist geeignet, das Vertrauen des beklagten Landes in dessen Redlichkeit dauerhaft zu zerstören.
Zwar stand die Fundsache nicht im Eigentum des beklagten Landes. Es hat aber die Aufgabe, derartige Fundsachen entgegen zu nehmen und solange sicher zu verwahren, bis sich entweder der Eigentümer meldet oder die Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist mit der Folge, dass die Sache dem Finder übergeben werden kann. Die Unterschlagung einer solchen Fundsache durch einen Arbeitnehmer des beklagten Landes ist daher nicht nur als Straftat zu werten, sondern zugleich eine erhebliche Pflichtverletzung gegenüber dem beklagten Land, welches hierdurch an der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe gehindert wird.
ccc) Das beklagte Land hat alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen.
Es hat zum einen die polizeiliche Vernehmung der Zeugin einschließlich der dabei erfolgten Wahllichtbildvorlage abgewartet. Zum anderen hat sie dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihn hierfür über sämtliche Tatsachen, auf die sich der gegen ihn gerichtete Verdacht stützt, vollständig in Kenntnis gesetzt. Die ihm dabei gewährte Stellungnahmefrist von einer Woche ist angemessen (vgl. BAG v. 16.07.2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54).
cc) Die Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Die Kündigung entspricht dem Ultima-Ratio-Prinzip.
Zwar fielen zugunsten des Klägers sein Lebensalter und die lange Beschäftigungszugehörigkeit ins Gewicht. Demgegenüber lag jedoch ein erhebliches Interesse des beklagten Landes an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Insoweit ist zu bedenken, dass der Kläger in einer Polizeidienststelle beschäftigt war. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei würde durch den dringenden Verdacht, Mitarbeiter der Polizei würden sich selbst durch Straftaten selbst bereichern, erheblich erschüttert. Es könnte zudem die Gefahr bestehen, dass weniger Finder sich bereit finden würden, Fundsachen abzugeben, wenn sie den Eindruck bekämen, dass diese nicht ordnungsgemäß verwahrt würden. Es bestand insoweit auch deshalb Handlungsbedarf, weil zu befürchten stand, dass die Angelegenheit zum einen durch die keiner Schweigepflicht unterliegende Frau M., zum anderen durch das Strafverfahren öffentlich bekannt würde. Diese Gefahr hat sich übrigens - wie der weitere Verlauf und die ausführliche Presseberichterstattung zeigen - tatsächlich verwirklicht.
Eine Abmahnung wäre als milderes Mittel schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil der Vertrauensverlust hierdurch nicht hätte wiederhergestellt werden können. Auch eine Beschäftigung bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist war nicht zumutbar. Entgegen der Ansicht des Klägers ist es unerheblich, dass das beklagte Land den Kläger nach erster Kenntnis des Sachverhalts im Zusammenhang mit der E-Mail vom 22.12.2017 noch für mehrere Monate weiter beschäftigt hat. Allein die E-Mail begründete keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger eine Fundunterschlagung begangen hat. Erst nachdem die Zeugin ihre Aussage im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen getätigt und den Kläger mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% auf einem Foto wiedererkannt hat, war ein dringender Verdacht gegen den Kläger gegeben. Vor diesem Zeitpunkt hätte eine Verdachtskündigung nicht mit Aussicht auf Erfolg ausgesprochen werden können, so dass aus dem Unterbleiben einer solchen keine Rückschlüsse auf die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers für die Zukunft gezogen werden können.
Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar ist, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der "fiktiven" Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiter zu beschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (vgl. BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48).
b) Das beklagte Land hat die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
aa) Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15; BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 m.w.N.). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (BAG v. 17.03.2005 - 2 AZR 245/04 -). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15; BAG v. 02.03.2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24). Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16; BAG v. 05.06.2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (BAG v. 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15; 05.06.2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20).
bb) Danach bestehen hier keine Bedenken gegen die Einhaltung der 2-Wochen-Frist.
Das beklagte Land durfte zunächst das Ermittlungsverfahren abwarten. Der sodann gewählte Zeitpunkt des Eingangs der Ermittlungsakte mit dem Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Zeugin M. ist nicht willkürlich gewählt. Erst ab diesem Zeitpunkt bestand ein dringender Verdacht dahingehend, dass der Kläger den 100 - Schein unterschlagen haben könnte. Vor allem die Wahllichtbildvorlage, bei der die Zeugin den Kläger mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% identifizieren konnte, hat den Verdacht gegen den Kläger deutlich erhöht, weil daraus geschlossen werden konnte, dass es auf jeden Fall einen Kontakt zwischen der Zeugin und dem Kläger gegeben haben muss. Soweit der Kläger diesen Kontakt eingeräumt, den Vorfall vom 22.12.2017 aber anders geschildert hat, war dies dem beklagten Land vor Ausspruch der Kündigung nicht bekannt.
Im Anschluss an den Erhalt der Ermittlungsakte hat das beklagte Land den Kläger angehört. Erst nachdem dieser sich innerhalb der gesetzten Wochenfrist geäußert hat, begann die 2-Wochen-Frist zu Laufen. Da die Stellungnahme der damaligen Rechtsanwälte des Klägers am 16.05.2018 eingegangen ist, war die Frist bei Zugang der Kündigung am 30.05.2018 noch nicht abgelaufen. Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 1.e) der Entscheidungsgründe verwiesen, die vom Kläger mit der Berufung auch nicht angegriffen worden sind.
2. Die Kündigung ist nicht gemäß § 74 Abs. 3 LPVG NW unwirksam.
Der Personalrat ist gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 LPVG NW mit dem laut Eingangsstempel am 22.05.2018 eingegangenen Schreiben unter ausführlicher Darstellung des Kündigungsgrundes und unter Nennung der Daten des Klägers angehört worden. Etwaige Einwendungen waren vom Personalrat gemäß § 74 Abs. 6 LPVG NW binnen drei Arbeitstagen vorzubringen. Diese Frist war jedenfalls bei Ausspruch der Kündigung am 30.05.2018 abgelaufen.
B.
I. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
II. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor.
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