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Entscheidungen

StPO

PKH-Richtlinie 2016/2019, Pflichtverteidigerbestellung, Umsetzung der Richtlinie

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Chemnitz, Beschl. v. 30.07.2019 - 5 Qs 316/19

Leitsatz: Die Regelungen aus Art. 4 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Art. 3 der EU PKH-Richtlinie 2016/2019 sind nach Ablauf der Umsetzungsfrist bei der Entscheidung über eine Pflichtverteidigerbestellung angemessen zu würdigen und haben in die Entscheidung mit einzufließen.


5 Qs 316/19

In dem Strafverfahren
gegen pp.
derzeit in
d. Justizvollzugsanstalt Zeithain, Industriestraße E 2, 01612 Glaubitz
Verteidiger:
Rechtsanwalt Jörg Neuber, Kaufhausgasse 3, 09599 Freiberg

wegen Trunkenheit im Verkehr

ergeht am 30.07.2019
durch das Landgericht Chemnitz - 5. Strafkammer als Beschwerdekammer - nachfolgende Entscheidung:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 27.06.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiberg vorn 20.06.2019 aufgehoben.

2. Dem Angeklagten wird rückwirkend für die erste Instanz, ab Zeitpunkt der Antragstellung, Rechtsanwalt pp. aus Freiberg als Pflichtverteidiger beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten hierfür entstandenen
notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz erhob gegen den Beschwerdeführer am 01.03.2019 Anklage vor dem Amtsgericht Freiberg wegen vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Mit Schriftsatz vom 17.04.2019 zeigte sich Rechtsanwalt pp. als Verteidiger des Angeklagten an. Ab dem 02.05.2019 befand sich der Angeklagte in anderer Sache in Haft in der JVA Dresden. Mit Beschluss vom 22.05.2019 wurde das Verfahren vor dem Strafrichter eröffnet und für den 20.06.2019 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 19.06.2019 beantragte Rechtsanwalt pp. seine Beiordnung als Pflichtverteidiger, für diesen Fall würde er sein Wahlmandat niederlegen. Es lägen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. In der Hauptverhandlung vom 20.06.2019 lehnte der Strafrichter die Pflichtverteidigerbestellung ab, da weder § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO noch § 140 Abs. Il StPO gegeben seien. Gegen diesen Beschluss legte der Angeklagte durch seinen Verteidiger am 20.07.2019 Beschwerde ein. Es lägen jedenfalls die Voraussetzungen des § 140 Abs. 11 StPO vor, da der Angeklagte in Haft sei und somit gemäß Art. 4 IV i,V.m. Art. 3 der EU PKH-Richtlinie 2016/2019 einen Rechtsanspruch auf Beiordnung habe. Das Amtsgericht Freiberg half der Beschwerde nicht ab. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Am 11.07.2019 erging ein - nicht rechtskräftiges - Urteil gegen den Angeklagten.
II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Wie der Verteidiger des Angeklagten in der Beschwerdebegründung einräumt, befand sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der amtsrichterlichen Entscheidung seit ca. sieben Wochen in Strafhaft. Damit lagen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO noch nicht vor.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wäre aber vorliegend gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten gewesen. Der Anspruch des Angeklagten ergibt sich insoweit, wie der Verteidiger des Beschwerdeführers zutreffend ausführt, aus Art. 4 Abs. IV Satz 2 i.V.m. Art. 3 der EU PKH-Richtlinie 2016/2019. Zwar wurde diese EU-Richtlinie bislang nicht in nationales deutsches Rechts umgesetzt. Die Frist zur Umsetzung ist jedoch zwischenzeitlich, am 05.05.2019, abgelaufen. Ein Entwurf vom 12.06.2019 sieht die Umsetzung der Richtlinie vor.

Damit sind Regelungen der Richtlinie bei der Ermessensentscheidung angemessen zu würdigen und haben in die Entscheidung mit einzufließen.

Daher war der Beschluss vom 20.06.2019 aufzuheben und dem Angeklagten rückwirkend für die erste Instanz nachträglich ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Dies ist ausnahmsweise, in vorliegender Konstellation zulässig, obwohl die erste Instanz bereits durch - nicht rechtskräftiges - Urteil beendet wurde, da der Beschwerdeführer noch ein Interesse an der nachträglichen Beiordnung hat.

Auch nach der EU- Richtlinie kann für das weitere Verfahren die Beiordnung wieder aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen einer notwendigen Beiordnung, hier die Haft i.a.S. wieder wegfallen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung der §§ 464, 467 StPO.


Einsender: RA J.Neuber, Freiberg

Anmerkung:


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