Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 12.03.2019 - (4) 151 AuslA 28/19 (29/19)
Leitsatz: Die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls für eine Tat, die nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats mit einer Höchststrafe von weniger als zwölf Monaten bedroht ist, ist nach § 81 Nr. 1 IRG unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn die Auslieferung im Hinblick auf die in Deutschland angedrohte Höchststrafe nach § 3 Abs. 2 IRG zulässig wäre. Für eine akzessorische Auslieferung ist gleichfalls kein Raum.
(4) 151 AuslA 28/19 (29/19)
In der Auslieferungssache
betreffend den algerischen Staatsangehörigen pp.
alias pp.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. März 2019 beschlossen:
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Österreich zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft K. vom 13. Februar 2019 3 ST 37/17t bezeichneten Straftaten wird für zulässig erklärt mit Ausnahme der Tat vom 6. März 2017 [Tat A)1) des Europäischen Haftbefehls]; insoweit ist die Auslieferung unzulässig.
2. Die Auslieferungshaft dauert fort.
Gründe:
Die österreichischen Behörden haben durch Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls und Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) um die Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung ersucht. Der Verfolgte ist am 14. Februar 2019 in Berlin gemäß § 19 IRG vorläufig festgenommen worden. Bei seiner am folgenden Tag durchgeführten richterlichen Vernehmung nach den §§ 22, 28 IRG hat er die Begehung der ihm zur Last gelegten Straftaten pauschal bestritten, sich mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes (Art. 27 RbEuHb) nicht verzichtet. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Februar 2019 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin erklärt er die Auslieferung des Verfolgten für (überwiegend) zulässig (§ 29 Abs. 1 IRG).
1. Der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft K. vom 13. Februar 2019 3 ST 37/17t entspricht den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Er weist aus, dass gegen den Verfolgten zum selben Aktenzeichen eine gerichtlich bewilligte Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft K. vom 6. April 2017 besteht, mit welcher dem Verfolgten Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise, des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, des versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, des schweren Betruges und der Urkundenunterdrückung zur Last gelegt werden. Ihm wird folgendes vorgeworfen:
a) Am 6. März 2017 soll er in W.einen fremden Ausweis, nämlich den auf die Personalie V R lautenden belgischen Personalausweis mit der Nummer xx, dadurch im Rechtsverkehr gebraucht haben, als wäre er für ihn ausgestellt, dass er ihn anlässlich des Eincheckens in das Hotel E und der Eintragung in das Gästebuchblatt dem Hotelpersonal vorwies.
b) Am 7. März 2017 soll er
aa) in S. gemeinschaftlich mit B dem D eine schwarze Ledertasche mit ca. 9.000 Euro Bargeld, Mobiltelefonen und Schlüsseln [sowie persönlichen Dokumenten des Geschädigten, siehe unten d)]
und
bb) in W. verfügungsberechtigten Personen der Volksbank dreimal (um 12.17 Uhr, um 12.19 Uhr und um 12.20 Uhr) je 400 Euro in Zueignungsabsicht weggenommen
und
cc) in W. gemeinschaftlich mit M versucht haben, Gästen des Hotels H vermögenswerte Sachen zu entwenden,
wobei er jeweils gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung gehandelt haben soll.
c) Ebenfalls am 7. März 2017 soll der Verfolgte in W. gemeinschaftlich mit M mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, versucht haben, Bedienstete der Firma Uhren M durch die Vorspiegelung, sie wären berechtigte Inhaber einer zuvor entwendeten Kreditkarte, zum Verkauf und der Übergabe von drei Uhren im Gesamtwert von 2.497 Euro zu verleiten, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Kreditkarte mittlerweile gesperrt worden war.
d) Zudem soll der Verfolgte gemeinschaftlich mit B am 7. März 2017 in S. Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich die Pilotenlizenz, das Pilotenlogbuch und den ukrainischen Reisepass mit der Nummer xx des D, dadurch unterdrückt haben, dass er und B diese anlässlich der zu b) aa) beschriebenen Tat eigenmächtig an sich brachten und einbehielten, wobei sie mit dem Vorsatz gehandelt haben sollen zu verhindern, dass die Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis der darin beurkundeten Rechte, Rechtsverhältnisse und Tatsachen gebraucht werden.
2. Die Auslieferung des Verfolgten ist im Wesentlichen zulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
a) Bei den ihm zur Last gelegten Taten handelt es sich mit Ausnahme der Tat zu a) um auslieferungsfähige strafbare Handlungen (§§ 3, 81 IRG). Hinsichtlich der Taten zu b) und c) ist die beiderseitige Strafbarkeit gemäß § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen, da es sich nach dem Recht des ersuchenden Staates um Katalogtaten im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb handelt, die mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten zu a) und d) sind sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates (§§ 229, 231 österreichisches Strafgesetzbuch) als auch nach deutschem Recht (§§ 274, 281 StGB) strafbar; die Urkundenunterdrückung [oben d)] ist nach dem Recht des ersuchenden Staates (§ 229 öStGB) zudem mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG).
b) Hingegen ist der Gebrauch fremder Ausweise [oben a)] nach § 231 öStGB nur mit einer Höchststrafe von sechs Monaten bedroht, sodass insoweit die Voraussetzungen des § 81 Nr. 1 IRG nicht vorliegen, der die Regelung des Art. 2 Abs.1 RbEuHb übernehmend die Auslieferung an die Androhung einer Höchststrafe von mindestens zwölf Monaten im ersuchenden Staat knüpft. § 3 Abs. 2 IRG, dessen Voraussetzungen gegeben wären, da § 281 Abs. 1 StGB eine Höchststrafe von einem Jahr vorsieht, wird insoweit durch § 81 Nr. 1 IRG eingeschränkt, da zur Bestimmung der Strafhöhe nunmehr einzig auf das Recht des ersuchenden Staates abgestellt wird (vgl. BT-Drucksache 15/1718, S. 16).
Für eine akzessorische Auslieferung (§ 4 IRG) ist entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin kein Raum, da dessen tatbestandliche Voraussetzungen bei einer § 81 Nr. 1 IRG nicht genügenden Strafandrohung im ersuchenden Staat nicht gegeben sind. Anders als Art. 2 Abs. 2 EuAlÜbk sieht auch der RbEuHb keine diesbezügliche Regelung für die akzessorische Auslieferung vor. Einer weiteren Anwendung des Art. 2 Abs. 2 EuAlÜbk auch im Verfahren der Auslieferung nach dem RbEuHb (erwogen in BT-Drucksache 16/7654, S. 5) steht Art. 31 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 RbEuHb in Verbindung mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 9. November 2010 (BGBl. II 2011, S. 66) entgegen, wonach das EuAlÜbk im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten nur anwendbar ist, wenn der RbEuHb nicht anwendbar ist. Der Umstand, dass die Auslieferung wegen der Tat vom 6. März 2017 vorliegend nach den Regelungen des RbEuHb nicht zulässig ist, eröffnet nach Auffassung des Senats nicht den nach dieser Erklärung noch verbleibenden Anwendungsbereich des EuAlÜbk, da anderenfalls der RbEuHb umgangen würde. Eine abweichende Verfahrensweise bedürfte eines (europäischen) gesetzgeberischen Aktes und seiner nationalen Umsetzung.
c) Hindernisse, die der Auslieferung des Verfolgten entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
Die Bindungen des Verfolgten an seine zwei Kinder und deren Mutter, mit denen er nicht in häuslicher Gemeinschaft lebt, stellen auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 MRK kein Auslieferungshindernis im Sinne von § 73 IRG dar (vgl. hierzu OLG Karlsruhe GA 1987, 30; OLG Hamm NStZ-RR 2000, 158; Vogel in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 73 IRG Rn. 109 mwN). Dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung von diesen Personen getrennt würde, reicht zur Annahme eines außergewöhnlichen Härtefalls nicht aus und stellt keinen Verstoß gegen den Kernbestand der sich aus Art. 8 Abs. 1 MRK ergebenden Garantie der Achtung seines Privat- und Familienlebens dar. Trotz der räumlichen Trennung besteht für die Kinder und deren Mutter grundsätzlich die Möglichkeit, den Verfolgten während seiner Inhaftierung zu besuchen; bei finanziellen Problemen hinsichtlich der Reise nach Österreich kann der Kontakt mit Telefonaten und Briefen aufrechterhalten werden.
3. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 21. Februar 2019, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend und die Auslieferung nicht von einem Rücküberstellungsvorbehalt abhängig zu machen, ist nach den Grundsätzen, die für die Überprüfung dieser Entscheidung gemäß § 79 Abs. 2 Sätze 1 und 2 IRG zu beachten sind (vgl. Senat OLGSt IRG § 83b Nr. 5 mwN), nicht zu beanstanden. Der Schriftsatz des Beistands des Verfolgten vom 7. März 2019 gibt zu einem Eingreifen des Senats in das Bewilligungsermessen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin keine Veranlassung.
4. Die Auslieferungshaft dauert aus den Gründen ihrer Anordnung fort. Entscheidungserhebliche Änderungen haben sich insoweit nicht ergeben. Auch unter Berücksichtigung der von dem Verfolgten vorgetragenen Beziehung zu seinen Kindern vermag der Senat nicht das Vertrauen zu gewinnen, dass der mit den Kindern nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebende Verfolgte sich dem weiteren Verfahren freiwillig stellen wird. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist auch nicht unverhältnismäßig, da zeitnah mit einer Übergabe des Verfolgten an die österreichischen Behörden zu rechnen ist.
Einsender: RiKG K. P. Hanschke, Berlin
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