Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 29.04.2019 - 1 Ws 9/19
Leitsatz: Zum Akteneinsichtsrecht des im Insolvenzverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der drohenden Zahlungsunfähigkeit beauftragten Rechtsanwalts in die Strafakten.
Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ws 9/19
In der Strafsache
gegen pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 29. April 2019 beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der 16. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 07.11.2018 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: Angeklagten) sowie zwei weitere Personen wurde vor der 16. großen Strafkammer Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig Anklage erhoben, mit der dem Angeklagten Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwölf Fällen, wobei er in elf Fällen gemeinschaftlich gehandelt haben soll, zur Last gelegt wurde. Über von ihm faktisch geführte Unternehmen soll er günstig an Immobilien und Grundstücke gelangt sein, die kurz darauf ohne werterhöhende Maßnahmen mit beträchtlichen Preisaufschlägen an nicht kreditwürdige Erwerber veräußert worden sein sollen. Um den Erwerbern den Abschluss von Finanzierungsdarlehen bei einer Bank zu ermöglichen, seien für die Darlehensgewährung benötigte Unterlagen zum Nachweis von Eigenkapital und/oder monatlichen Gehaltszahlungen verfälscht sowie geschönte Exposes der zu finanzierenden Immobilien vorgelegt worden. Die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten soll er über die pp. und pp. abgewickelt haben. Der vorsätzlich handelnde Angeklagte war dabei vom 12.08.2010 bis zum 09.05.2011 Geschäftsführer pp. und danach Vertretungsbevollmächtigter. Zudem besaß er Vertretungsvollmacht für die pp. (am 24.09.2013 umfirmiert in pp.). Für die pp. besaß er Einzelprokura. Mindestens seit Sommer 2010 sei er faktischer Geschäftsführer sämtlicher Unternehmen, die alle in der pp. ansässig waren. gewesen. Die Aufgabe der formellen Geschäftsführer soll sich, sofern eine Tätigkeit entfaltet worden sein soll, darauf beschränkt haben, Kundenakquise zu betreiben. Im Rahmen der Durchsuchung bei den pp. und pp. wurden auch Unterlagen betreffend die pp. sichergestellt, ohne dass seitens der Unternehmen eine Trennung der Geschäftsunterlagen vorgenommen worden wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 30.12.2016 (BI. 5 ff. SH Beschwerde) Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 05.04.2018 (Az. 273 IN 86/18 a) hat das Amtsgericht Braun-schweig - Insolvenzgericht - Rechtsanwalt pp. in dem Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der pp., vertreten durch den formellen Geschäftsführer, pp. mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der drohenden Zahlungsunfähigkeit beauftragt. Der Verteidiger des Angeklagten widersprach dem Akteneinsichtsgesuch von Rechtsanwalt pp.
Mit Entscheidung vom 07.11.2018 hat der Vorsitzende der 16. großen Strafkammer die begehrte Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte bewilligt, soweit es die pp. betrifft. Mit Verteidigerschriftsatz vom 12.11.2018 hat der Angeklagte gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. der der Vorsitzende mit Beschluss vom 21.12.2018 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
II.
Die nach §§ 304 Abs. 1, 305 S. 2 StPO statthafte und zulässige, insbesondere form-gerecht eingelegte (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Gewährung der beantragten Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte nebst der in der angefochtenen Entscheidung bezeichneten Asservate ist rechtmäßig, da Rechtsanwalt pp. als Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der pp. zur Erfüllung des ihm durch das Insolvenzgericht erteilten Auftrags Einsicht in diese Unterlagen benötigt (§§ 475 Abs. 1 S. 1. Abs. 2 StPO).
Dem durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig Insolvenzgericht vom der pp. bestellten Rechtsanwalt pp. steht das gemäß § 475 Abs. 1 S. 1 StPO erforderliche berechtigte Interesse zu, das er durch Übersendung des Beschlusses nachgewiesen hat. Mehr als den durch Übersendung des Bestellungsbeschlusses erbrachten Nachweis seiner Bestellung sowie die Angabe, auf die beschlagnahmten Unterlagen zur Erfüllung seiner Pflicht gegenüber dem Insolvenzgericht angewiesen zu sein, kann dem zum Sachverständigen bestellten Rechtsanwalt pp. zur Darlegung des berechtigten Interesses nicht abverlangt werden. Hierbei ist nämlich zu beachten, dass dem Sachverständigen in diesem Verfahren eine konkretisierende Darstellung regelmäßig ohne die Kenntnis der Akten, in die er Ein-sicht begehrt, nicht möglich ist (OLG Köln, Beschl. v. 16.10.2014, 2 Ws 396/14, juris, Rn. 10).
Als gemäß § 5 Abs. 1 InsO gerichtlich bestellter Gutachter im Insolvenzverfahren hat er das Vorliegen von Tatsachen zu prüfen, die den Schluss auf (drohende) Zahlungs-unfähigkeit der Insolvenzschuldnenn, hier: pp. rechtfertigen und - falls dies der Fall sein sollte -, ob eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist und ob vorläufige Anordnungen zur Massesicherung erforderlich sind. Hierzu ist eine Auswertung der beschlagnahmten Geschäftsunterlagen der vonnöten.
Die weiteren Voraussetzungen von § 475 Abs. 2 StPO, der eine Ausnahme zu der Regel in § 475 Abs. 1 StPO beinhaltet, sind ebenfalls erfüllt. Danach kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Akteneinsicht gewährt werden, wenn die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern oder nach Darlegung desjenigen, der Akteneinsicht begehrt, zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht ausreichen würde. Aufgrund des Umfangs der beschlagnahmten Unterlagen wäre eine Beschränkung auf die Erteilung lediglich von Auskünften mit einem für die Justizorgane nicht hinnehmbaren Aufwand verbunden. § 475 Abs. 2 Alt. 1 StPO trägt diesem Umstand Rechnung. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift vor. Die Erteilung einzelner Auskünfte würde zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses nicht genügen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war der Angeklagte faktischer Geschäftsführer nicht nur der «Ob sondern darüber hinaus auch noch anderer Gesellschaften. Die Aufgabe der die Aufgabe der Kundenakquise beschränkt haben. Dem Asservatenverzeichnis lässt sich entnehmen, dass Unterlagen nicht nur betreffend die pp., sondern auch bezüglich weiterer Gesellschaften, bei denen der Angeklagte faktischer Geschäftsführer gewesen sein soll. sichergestellt worden sind. Teilweise befanden sich Unterlagen, die verschiedene Gesellschaften betreffen, in einem Ordner. Soweit der Sachverständige drei Sparbücher gesondert erwähnt, ist unklar, welcher der Gesellschaften sie zuzuordnen sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der durch das Gericht bestellte Sachverständige im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht nur im Interesse einer Privatperson, sondern auch für die Rechtspflege tätig wird und seinem Interesse daher ein vergleichbares Gewicht beizumessen ist wie dem Interesse einer Justizbehörde, die nach § 474 Abs. 1 StPO Akteneinsicht verlangen kann (OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.03.2016, 1 Ws 56/16, juris, Rn. 12; OLG Dresden, Beschl. v. 04.07.2013, 1 Ws 53/13, juris, Rn. 8).
Dem berechtigten Interesse des Sachverständigen auf Einsicht in die gesamte Verfahrensakte nebst der in der angefochtenen Entscheidung bezeichneten Asservate steht bei der gebotenen Abwägung kein schutzwürdiges Interesse des Angeklagten an der Versagung der Akteneinsicht gemäß § 475 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen. Soweit sich der Angeklagte auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 19.06.2018 (Az. 618 Qs 20/18) beruft. verhält sich diese nicht zu der Frage der Akteneinsicht für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung der ordnungsgemäßen Durchführung von Insolvenzverfahren besteht im Ergebnis kein Vorrang des Rechts des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Akteneinsichtsinteresse des Sachverständigen, zumal auch Letzterer im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO
Mir
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