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Entscheidungen

Haftfragen

Akteneinsicht, nicht vollstreckter Haftbefehl

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Beschl. v. 22.01.2019 - 2 Ws 51/19

Leitsatz: 1. Der Begriff "Verhaftung“ im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO (weitere Beschwerde) umfasst auch Entscheidungen über die Anordnung oder Aufrechterhaltung eines Freiheitsentzugs, auch wenn die angefochtene Entscheidung aktuell nicht vollzogen wird.
2. Solange in einem laufenden Ermittlungsverfahren ein bestehender Ergreifungshaftbefehl gegen den untergetauchten Beschuldigten noch nicht vollstreckt ist, hat der Verteidiger weder einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht noch auf Mitteilung des Haftbefehls. Darin liegt weder eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG noch des Anspruchs auf Gewährleistung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG.


In pp.

I. Die weitere Beschwerde des Beschuldigten E. T. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 14.12.2018 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft München I führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Den Verteidigern wurde bislang keine Akteneinsicht erteilt.

Gegen den Beschuldigten erließ das Amtsgericht München am 19.01.2018 einen Haftbefehl. Der Beschuldigte hat sich dem Verfahren durch Flucht entzogen und ist derzeit unbekannten Aufenthalts.

Mit Schriftsatz vom 21.11.2018 - präzisiert durch Schriftsatz vom 14.12.2018 - legte der Verteidiger des Beschuldigten gegen den Haftbefehl Beschwerde ein. Daneben beantragt er Akteneinsicht.

Mit Schreiben vom 06.12.2018 teilte die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger (erneut) mit, dass Akteneinsicht derzeit nicht gewährt werde.

Mit Beschluss vom 14.12.2018 verwarf das Landgericht München I die Beschwerde als unbegründet.

Mit Schriftsatz vom 21.12.2018 hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger gegen den Beschluss vom 14.12.2018 weitere Beschwerde eingelegt und insbesondere ausgeführt, dass durch die Verweigerung von Akteneinsicht der Beschuldigte in seinen Rechten verletzt werde.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 03.01.2019 nicht abgeholfen.

Mit Vorlage der Akten hat die Generalstaatsanwaltschaft München am 09.01.2019 beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1, 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Der Begriff „Verhaftung“ im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO umfasst auch Entscheidungen über die Anordnung oder Aufrechterhaltung eines Freiheitsentzugs, auch wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - aktuell nicht vollzogen wird (BVerfG NStZ-RR 2017, 379; BeckOK StPO/Cirener, 31. Ed 15.10.2018, § 310 Rn 6; OLG Karlsruhe BeckRS 2016, 110810).

2. Die weitere Beschwerde des Beschuldigten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

2.1 Die bei den Akten befindlichen bisherigen Ermittlungsergebnisse wurden umfassend geprüft und rechtfertigen nach dem derzeitigen Stand auch nach Auffassung des Senats den in dem Haftbefehl vom 19.01.2018 angenommenen dringenden Tatverdacht.

Auch die Haftgründe der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie der Verdunkelungsgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO hat das Amtsgericht zu Recht angenommen.

Nähere Detailausführungen zur Beweisführung sowie zu den Haftgründen verbieten sich in der vorliegenden Entscheidung, da sonst die von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf § 147 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 StPO zu Recht uneingeschränkt verweigerte Akteneinsicht unterlaufen und der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

2.2 Die aus der verweigerten Akteneinsicht abgeleiteten verfahrensrechtlichen Einwände der Verteidigung stehen dem Fortbestand des Haftbefehls nicht entgegen. Der Senat hält an seiner hierzu ergangenen Rechtsprechung fest. Solange in einem laufenden Ermittlungsverfahren ein bestehender Ergreifungshaftbefehl gegen den untergetauchten Beschuldigten noch nicht vollstreckt ist, hat der Verteidiger weder einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht noch auf Mitteilung des Haftbefehls (OLG München, B. v. 27.08.2008, BeckRS 2008, 21804; OLG München, B. v. 26.04.2012, BeckRS 2012, 14142; vgl. a. BeckOK StPO/Wessing, 31. Ed. 15.10.2018, § 147, Rn 6; KG Berlin B. v. 06.07.2011, BeckRS 2011, 26211). Die Verweigerung der Akteneinsicht verletzt den Beschuldigten auch nicht in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG oder seinem Anspruch auf Gewährleistung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27.10.1997 (NStZ-RR 1998, 108) hierzu ausgeführt, ein vorläufig gegenüber dem Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden sei wegen des Auftrags des Strafverfahrens, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden, verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar beschwere auch der bloße Erlass eines Haftbefehls gegen einen flüchtigen Beschuldigten. Seinem Informationsinteresse werde jedoch durch die Regelung der Strafprozessordnung -insbesondere zur richterlichen Vernehmung - ausreichend Rechnung getragen. § 115 Abs. 3 StPO bestimme, dass der Beschuldigte im Rahmen der Vorführung vor den zuständigen Richter nach Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen sei, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Weiterhin sei ihm Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen. Diese Informationspflicht gehe über die Mitteilung des Inhalts des Haftbefehls hinaus und umfasse auch das die Haft veranlassende Belastungsmaterial in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Erst im Rahmen der nach der richterlichen Vernehmung gebotenen Prüfung des Haftbefehls werde das Strafgericht unter Berücksichtigung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.1994 (NStZ 1994, 551) zu beurteilen haben, welche Rechtsfolgen sich an eine etwaige Verweigerung der Akteneinsicht knüpfen.

3. Die weitere Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.


Einsender: entnommen Bayern.Recht

Anmerkung:


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