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Entscheidungen

StPO

Akteneinsicht, Sachverständiger, Insolvenzverwalter

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Vfg. v. 07.11.0218 - 16 KLs 5/17

Leitsatz: Zum Akteneinsichtsrechts des Sachverständigen eines Insolvenzverfahrens.


16 KLs 5/17
Vfg.

1. Entscheidung des Vorsitzenden

1. Dem Sachverständigen in dem Insolvenzverfahren 273 IN 86/18a des Amtsgerichts Braunschweig, Herrn PP., wird Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte durch Übersendung eines verschlüsselten Datenträgers mit der Verfahrensakte 16 KLs 5/17 des Landgerichts Braunschweig gewährt.
2. Dem Sachverständigen in dem Insolvenzverfahren 273 IN 86/18a des Amtsgerichts Braunschweig, Herrn PP., wird Akteneinsicht in die auf Band IV, Blatt 259 - 273 der Akte bezeichneten Asservate gewährt.

Gründe:

1. Die Gewährung von Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte basiert auf § 475 Abs. 2 StPO.

Da die PP. im vorliegenden Fall nicht verfahrenszentral ist, hat die Kammer keine Kenntnis darüber, ob das Stammkapital bei Eintragung in das Handelsregister vorhanden gewesen ist. Insofern ist die reine Erteilung einer Auskunft aus den Akten unverhältnismäßig, weil der gesamte Verfahrensstoff auf Bezüge zur PP. durchgearbeitet werden müsste.
Gleiches gilt für die Frage, ob sich in den Unterlagen die dazugehörigen Kontoauszüge und Belege betreffend die PP. befinden.

Der Zeuge PP. gab auf Seite 2 seiner Vernehmung vom 03.04.2014 an, dass die PP. GmbH oder die PP. sein Arbeitgeber gewesen sei, dass er bei der PP. GmbH Geschäftsführer gewesen sei und dass die Firma umbenannt worden sei. Ferner befindet sich in der Akte ein Handelsregisterauszug der PP. (Bd. I, BI. 276 d.A.) sowie ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 02.04.2014 (Az.: 7 Gs 830/14) betreffend die PP. Eine Beurteilung der Frage, welche dieser Informationen für den Sachverständigen von Relevanz sind, ist der Kammer ohne unzumutbare weitere Ermittlungen im verfahrensfremden Insolvenzverfahren 273 IN 86/18a nicht möglich. Vielmehr obliegt es dem in diesem Verfahren bestellten Sachverständigen, die für ihn relevanten Tatsachen selbst herauszuarbeiten.

Es bestehen keine Bedenken gegen die Akteneinsicht dem Grunde nach. Nach der h.M. ist der im Insolvenzverfahren bestellte Sachverständige zu einer umfassenden Einsicht in die Strafakten berechtigt, wenn sich daraus Hinweise dazu ergeben können, ob Ansprüche mit Bezug zum Insolvenzschuldner bestehen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.03.2016, Az.: 1 Ws 56/16 = NJW 2016, 1834; OLG Dresden, ZVI 2014, 145). Nach dem Akteninhalt erscheint es möglich, dass im Zusammenhang der PP. Summen bewegt wurden, ohne dass diese Geschäftsvorgänge so dokumentiert wurden, dass sie von einem Dritten innerhalb angemessener Zeit nachvollzogen werden können (§§ 238 Abs. 1 S. 2 u. 3, 6 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG). Wenn der im Insolvenzverfahren bestellte gerichtliche Sachverständige nach dem Inhalt seiner Antragsbegründung schon nicht feststellen kann, ob überhaupt das Stammkapital eingezahlt wurde, so muss davon ausgegangen werden, dass möglicherweise auch Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass Regressansprüche gegen Dritte aus bisher nicht aufgeklärten Vorfällen bestehen könnten. Nach Nr. 2 des Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig vom 05.04.2018 hat der Sachverständige auch Angaben über mögliche Forderungen gegen Dritte und deren Realisierbarkeit zu machen. In diesem Falle ist die Gewährung uneingeschränkter Akteneinsicht rechtmäßig, weil sie der Erfüllung des gerichtlichen Gutachtenauftrages dient (OLG Dresden, ZVI 2014, 145).

Da der Antragsteller im vorliegenden Fall Sachverständiger und nicht Insolvenzverwalter ist, bedarf auch die dogmatische Frage, ob das Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters weiterreichen kann als das der Insolvenzschuldnerin, hier keiner Entscheidung. Als gerichtlich bestellter Sachverständiger ist der Antragsteller „Gehilfe des Gerichts", hier des Amtsgerichts Braunschweig - Insolvenzabteilung -, nicht aber der Masse.

Das erforderliche Interesse an der Akteneinsicht ist durch Vorlage des Beschlusses über die Bestellung zum Sachverständigen (hier: Bd. IV, BI 277 der Akte) hinreichend dargelegt (OLG Dresden, ZVI 2014, 145).

Bei der Entscheidung über die Akteneinsicht und der Auslegung von § 475 StPO ist ferner zu berücksichtigen, dass der durch das Gericht bestellte Sachverständige im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht nur im Interesse einer Privatperson, sondern auch für die Rechtspflege tätig wird und seinem Interesse daher ein vergleichbares Gewicht beizumessen ist wie dem Interesse einer Justizbehörde, die nach § 474 Abs. 1 StPO Akteneinsicht verlangen kann (OLG Braunschweig, aaO). Daher ist auch ein möglicher Rückgriff auf die Rechtsprechung und Kommentierung zum Akteneinsichtsrecht nach § 406e StPO hier nicht angebracht.

2. Die Gewährung von Akteneinsicht in die Asservate beruht auf § 275 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 StPO. Die Entscheidung über die Akteneinsicht in die Asservate wird von den oben genannten Erwägungen getragen.

3. Auch nach einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung ist dem Sachverständigen PP. Akteneinsicht zu gewähren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren nicht nur im Privatinteresse von Gläubigern und Schuldnern durchgeführt wird. Vielmehr besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der ordnungsgemäßen Abwicklung von Insolvenzverfahren (Wozniak, jurisPR-InsR 14/2017, Anm. 5).

Bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch wurde nicht aus dem Blick gelassen, dass sich im hier vorliegenden Fall das Insolvenzverfahren nicht das Vermögen der Angeklagten oder das Vermögen möglicherweise Geschädigter betrifft. Den Angeklagten erscheint eine Einsicht des Sachverständigen in die Verfahrensakten und Asservate zumutbar. Denn dem im öffentlichen Interesse geltend gemachten Akteneinsichtsgesuch des Sachverständigen stehen keine schutzwürdigen Interessen der Angeklagten gegenüber. Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung der ordnungsgemäßen Durchführung von Insolvenzverfahren besteht kein Vorrang des Rechts des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Akteneinsichtsinteresse des Antragstellers (OLG Braunschweig, aaO). Denn dass hier - beispielsweise nach § 475 Abs. 1 S. 2 StPO schutzwürdige - Interessen wie der Schutz der Intimsphäre oder von bestimmten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen betroffen seien könnten, ist nicht ersichtlich.

§§ 474, 475 StPO sind Spezialvorschriften zum allgemeinen Datenschutzrecht und verdrängen dieses im Rahmen ihres Anwendungsbereiches.

4. Der Beschluss des LG Hamburg vom 19.06.2018, Az.: 618 Qs 20/18 = StraFo 2018, 438 ist vorliegend nicht einschlägig. Denn im dortigen Fall ging es darum, dass der Beschwerdeführer ein Altgläubiger war, der im privaten Interesse Forderungen verfolgen wollte. Im dortigen Fall hat das Landgericht Hamburg zutreffend erkannt, dass dies zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, weshalb der Beschwerdeführer im dortigen Fall kein schutzwürdiges Interesse an der Akteneinsicht hatte (LG Hamburg, StraFo 2018, 438 (439)).

So liegt die Sache hier aber gerade nicht. Im hier vorliegenden Fall geht es nicht darum, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige mögliche zivilrechtliche Ansprüche selbst verfolgen möchte. Vielmehr ist er zum Sachverständigen bestellt worden, um herauszufinden, ob solche Ansprüche bestehen. Sein Gutachten soll im gerichtlichen Interesse die Entscheidung vorbereiten, ob ein Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet wird oder nicht.

2. Vermerk:

Vor einer Umsetzung der Entscheidung zu 1. wird den Angeklagten Gelegenheit gegeben, die Einlegung einer Beschwerde zu prüfen.

Braunschweig, den 07.11.2018
Landgericht, 16. Strafkammer
Der Vorsitzende


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