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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Telefonerlaubnis, Beschränkung, Anforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.09.2019 - 2 Ws 365/18

Leitsatz: Bei Beschränkung einer Telefonerlaubnis für einen Untersuchungshaftgefangenen durch die Justizvollzugsanstalt bedarf es einer besonders eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft und die persönliche Situation des jeweiligen Untersuchungsgefangenen berücksichtigenden Abwägung dessen, was einerseits dem Untersuchungsgefangenen gemessen an seinen grundrechtlichen Freiheiten an Beschränkungen und andererseits der Anstalt und dem für ihre angemessene Ausstattung verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist.


2 Ws 365/18
Oberlandesgericht Karlsruhe
2. STRAFSENAT

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. hier: Beschwerde des Angeklagten nach § 119a StPO

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 2. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 8. Januar 2019 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 14. November 2018 aufgehoben.
2. Die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt pp. dem Angeklagten Telefonate nicht wöchentlich zu gestatten, wird aufgehoben und die Justizvollzugsanstalt wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu verbescheiden.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Antragsteller hieraus erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
Der 31-jährige Antragsteller pp. Staatsangehörigkeit befindet sich in einem von der Staatsanwaltschaft pp. gegen ihn wegen bandenmäßiger Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und weiterer Straftaten nach dem BtMG geführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Freiburg vom 10.07.2018 bzw. - diesen Haftbefehl ersetzend - vom 06.08.2018 seit dem 10.07.2018 in Vollzug der Untersuchungshaft in der Vollzugsanstalt pp.

Die Staatsanwaltschaft pp. hatte mit Verfügungen vom 10.08.2018 und vom 16.08.2018 dem Antragsteller unter Angabe der jeweiligen Telefonnummern gestattet, „wöchentlich unter akustischer Überwachung auf seine Kosten für die Dauer von max. 15 Minuten" mit insgesamt fünf benannten Personen (zwei Schwestern, seine Mutter, sein Sohn und die Kindesmutter) zu telefonieren.

Mit Schreiben vom 28.08.2018 teilte die Vollzugsanstalt dem Verteidiger des Antragstellers unter Bezugnahme auf dessen vorangegangene Schreiben mit, dass aufgrund der hohen Anzahl der Untersuchungsgefangenen, für die in einer Großzahl die Überwachung der Telefonate angeordnet sei, aus Kapazitäts- und Gleichbehandlungsgründen überwachte Telefonate in einem wöchentlichen Rhythmus für die Anstalt nicht leistbar seien, sondern lediglich 14-tägig stattfinden könnten. Für den Antragsteller seien mittlerweile zahlreiche Personen für Telefongespräche zugelassen worden, so dass bereits 14-tägige Telefongespräche einen erheblichen Aufwand mit sich brächten und als ausreichend erachtet würden.

Hiergegen stellte der Antragsteller am 27.09.2018 einen an das Amtsgericht Freiburg gerichteten Antrag nach § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO, mit dem er begehrt, ihm entsprechend der staatsanwaltschaftlichen Verfügung Telefonate in wöchentlichem Turnus zu gestatten. Diesen Antrag hat er mit Schreiben vom 06.11.2018 gegenüber dem - nach Anklageerhebung vom 28.09.2018 nunmehr zuständig gewordenen - Landgericht Freiburg aufrechterhalten.

Das Landgericht Freibuug hat mit Beschluss vom 14.11.2018 den Antrag des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen, da die Staatsanwaltschaft, soweit sie die Anzahl und Dauer der Telefongespräche auf wöchentlich 15 Minuten beschränkt habe, hierfür originär nicht zuständig gewesen sei, sondern die Befugnis hierfür beim Anstaltsleiter gelegen habe und dessen Ermessensentscheidung, die Telefonate nicht wöchentlich, sondern nur vier-zehntätig zuzulassen, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden sei. Bei der Abwägung der dem Antragsteller zumutbaren Einschränkungen mit dem für die Vollzugsanstalt zumutbaren Aufwand habe der Anstaltsleiter den Umfang des Personenkreises, mit dem Telefonate gestattet wurden und die Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle berücksichtigen und die Gesprächshäufigkeit wie geschehen aus Gründen der Ordnung der Vollzugsanstalt beschränken dürfen.

Dagegen richtet sich die am 21.11.2018 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, der das Landgericht Freiburg mit Beschluss vom 26.11.2018 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Mit Stellungnahme vom 07.12.2018 hat die General-staatsanwaltschaft Karlsruhe die Verwerfung der Beschwerde beantragt. Hierauf hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20.12.2018 erwidert.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 119a Abs. 1, 304 Abs. 1 StPO) und hat jedenfalls vorläufig auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt, dem Antragsteller lediglich im 14-tätigen Rhytmus die Telefonate zu gestatten, ist nicht frei von Ermessensfehlern und verletzt daher den Antragsteller in seinen Rechten.

1. Nach § 20 Abs. 1 JVollzGB II Baden-Württemberg (im Folgenden JVoIIzGB II BW) kann Untersuchungsgefangenen gestattet werden, zu telefonieren. Über den Verweis in § 20 Abs. 2 Satz 1 JVoIIzGB II BW gelten dabei die für den Besuch geltenden Vor-schriften (§§ 12 ff. JVoIIzGB II BW) mit Ausnahme von § 12 Abs. 2 JVollzGB II BW entsprechend. Dementsprechend ist nach §§ 13, 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 JVoIIzG II BW der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin befugt, Telefongespräche zu untersagen (bzw. als mildere Maßnahme zu beschränken), wenn die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ansonsten gefährdet ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.08.2012 3 Ws 314/12, juris).

Die Gestattung von Telefonaten steht im (pflichtgemäßen) Ermessen der Anstalt und ist dementsprechend nur eingeschränkt auf die Einhaltung von Ermessensgrenzen gerichtlich überprüfbar (vgl. allgemein KK-StPO/Schultheis, 7. Aufl. 2013, StPO § 119a Rn. 9). Es liegt daher grundsätzlich im Ermessen der Vollzugsanstalt, welche Maßnahmen im Einzelnen angezeigt sind, um Telefonate der Untersuchungsgefangenen organisatorisch zu bewältigen und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt aufrecht erhalten zu können. Die Vollzugsanstalt hat hierbei im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung — wie stets bei der Auslegung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts — allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deswegen allein unvermeidbaren Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. zur Bedeutung der sog. Unschuldsvermutung im Untersuchungshaftvollzug nur BVerfG NStZ 1994, 52). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss daher den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße prägen (BVerfG, Beschluss vom 17.10.2012 - 2 BvR 736/11, juris Rn. 24). Ebenso ist dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf den Schutz seiner Privatsphäre und seiner Familie Rechnung zu tragen (KG, Beschluss vom 27.06.2011 - 3 Ws 136/11, BeckRS 2011, 20094). § 12 Abs.1 Satz 2 JVollzG II BW sieht insoweit vor, dass der Kontakt zu Angehörigen gefördert wird. Diese Regelung ist Ausfluss des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten besonderen Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie (zu § 33 Abs. 2 UVoIIzG Berlin vgl. BGH, Beschluss vom 21.07.2014 — 2 BGs 255/14 -, juris; vgl. auch BeckOK Strafvollzug BW/Dorsch, 10. Ed. 1.10.2018, JVoIIzGB II BW § 12 Rn. 7 f.). Es bedarf daher einer besonders eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft und die persönliche Situation des jeweiligen Untersuchungsgefangenen berücksichtigenden Abwägung dessen, was einerseits dem Untersuchungsgefangenen gemessen an seinen grundrechtlichen Freiheiten an Beschränkungen und andererseits der Anstalt und dem für ihre angemessene Ausstattung verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist.

2. Nach diesen Maßstäben erweist sich die von der Justizvollzugsanstalt getroffene Entscheidung schon deshalb als ermessensfehlerhaft, weil eine auf den Einzelfall bezogene Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Untersuchungsgefangenen nicht getroffen wurde. Die Justizvollzugsanstalt hat, indem sie ihre ablehnende Entscheidung auf Kapazitäts- und Gleichbehandlungsgründe und die Anzahl der bei dem Antragsteller insgesamt genehmigten Telefonate gestützt hat, den Umstand, dass Telefonate mit Angehörigen (zur Reichweite des Begriffs des Angehörigen vgl. Dorsch aaO JVoIIzGB II BW § 12 Rn. 7 - 8.1) in Rede standen, nicht in den Blick genommen. Die erforderliche Prüfung, ob aus diesem Grunde im Einzelfall die Gestattung häufigerer Telefonate geboten war, ist daher unterblieben. Der pauschale und nicht durch Zahlenwerk untermauerte Hinweis auf die hohe Anzahl von Untersuchungsgefangenen, für die in einer Großzahl der Fälle" die Überwachung angeordnet ist, genügt den Anforderungen jedenfalls nicht. Demgegenüber könnte in die Ermessenserwägung eingestellt werden, ob die Angehörigen neben den Telefonaten auch die Möglichkeit von Besuchen haben, was zumindest bei der Mutter und der Schwester der Fall sein dürfte (Telefonvorwahl von pp.).

3. Wegen dieses auch vom Landgericht übersehenen Rechtsfehlers sind der angefochtene Beschluss und die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt aufzuheben. Mangels Spruchreife wird die Justizvollzugsanstalt pp. verpflichtet, über den Antrag auf Gestattung wöchentlicher Telefonate unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich in entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RA P. Rinklin, Freiburg

Anmerkung:


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