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Entscheidungen

OWi

Mitzieheffekt, qualifizierter Rotlichtverstoß, Sogwirkung, Absehen vom Fahrverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 22.11.2018 - 3 Ws (B) 274/18

Leitsatz: 1.Ein Mitzieheffekt kann den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z. B. veranlasst durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt („Sog-Wirkung“).
2. Ein Betroffener kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist, wenn er das verwirkte Regelfahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin leichtfertig riskiert hat.


Kammergericht

Beschluss
Geschäftsnummer: 3 Ws (B) 274/18162 Ss 123/18

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 22. November 2018 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. August 2018 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen.
Gegen das am 21. September 2018 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 31. Oktober 2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die am 14. November 2018 eingegangene Gegenerklärung des Verteidigers lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1) Die mit der Gegenerklärung als Verletzung des rechtlichen Gehörs bezeichnete, als Inbegriffsrüge auszulegende, erstmalig erhobene Einwendung, das Amtsgericht habe die Teilnahme des Betroffenen an einer Verkehrsschulung nicht in seinem Urteil berücksichtigt, ist unzulässig.
Unschädlich ist zwar die falsche Begriffswahl, da die Begründung deutlich erkennen lässt, welche Beanstandung erhoben werden soll (vgl. BGH NStZ 2017, 52 mwN; Senat VRS 130, 251). Allerdings ist die Verfahrensrüge als verspätet zurückzuweisen, da sie nicht innerhalb der Frist der § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO erhoben worden ist.
2) Soweit sich der Rechtsmittelführer mit der Sachrüge insbesondere gegen die Anordnung des Fahrverbotes wendet, deckt die Überprüfung des angefochtenen Urteils keinen ihn belastenden Rechtsfehler auf.
Bei einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase hat der Verordnungsgeber regelmäßig eine zumindest abstrakte Gefährdung unterstellt, weil sich Querverkehr und/oder Fußgänger nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können. Die Missachtung des schon mehr als eine Sekunde andauernden Rotlichts gehört daher zu den Ordnungswidrigkeiten, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 31. Juli 2015 – 3 Ws (B) 356/15 –, juris ). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).
Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, 26a StVG iVm § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV iVm lfdNr. 132.3) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.
Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt oder wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, oder wenn durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härten oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1996 – 3 Ws (B) 445/96 –). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2014 – 3 Ws (B) 285/14 –; VRS 108, 286 m.w.N.).
a) Von einem Fahrverbot könnte also zunächst allenfalls dann abgesehen werden, wenn kein besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß gegeben ist, weil eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer völlig ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2018 – 3 Ws (B) 329/17 –).
Für einen solchen Ausnahmefall gibt es nach den Feststellungen des Amtsgerichts keinerlei Anhaltspunkte. Der Umstand, dass möglicherweise andere Verkehrsteilnehmer nicht konkret gefährdet wurden, ist jedenfalls keine atypische Fallkonstellation, die die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelahndung unberechtigt erscheinen ließe (Senat, NZV 2016, 594). Die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bei Kreuzungsampeln eine abstrakte Gefahr zu unterstellen, kann nicht dahingehend eingeschränkt werden, Handlungen von Nr. 132.3 BKat auszunehmen, die keine konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts bewirken. Aus Gründen der Verkehrssicherheit kann es erst recht nicht darauf ankommen, ob nach der Einschätzung des einzelnen Verkehrsteilnehmers eine konkrete Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (BayObLG VRS 104, 437).
b) Auch der so genannte Mitzieheffekt, den die Rechtsbeschwerdebegründung anführt, schließt vorliegend die Annahme eines groben Verkehrsverstoßes nicht aus.
Die vom Betroffenen geltend gemachte Fallgestaltung ist nicht mit den Fällen vergleichbar, die die Regelahndung unberechtigt erscheinen lassen könnte (vgl. auch OLG Hamm MDR 2000, 519). Hiermit sind grundsätzlich nur die Fälle gemeint, in denen der Betroffene zunächst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer veranlasst und unter Nichtbeachtung des Rotlichts („Sog-Wirkung“) wieder losfährt.
Der Betroffene ist nach seiner im Urteil wiedergegebenen, für die Überprüfung im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen Einlassung, hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren. Auch wer sich unter solchen Umständen – ob ortskundig oder nicht – einer Ampel nähert, muss sich selbstverständlich selbst vergewissern, ob diese für ihn Grün zeigt. Tut er dies nicht, sondern verlässt er sich auf das Verhalten bzw. die Einschätzung seines Vormanns, ist nicht von einem Augenblicksversagen auszugehen. Denn dann handelt es sich nicht um einen bloßen Wahrnehmungsfehler, sondern um eine gravierende Pflichtverletzung; dem Betroffenen entgeht das Rotlicht, weil er von vornherein keine hinreichenden Anstrengungen unternimmt, sich selbst von der Ampelschaltung zu überzeugen.
c) In gleicher Weise kann der Einwand der Regennässe den Betroffenen nicht entlasten. Fahrzeugführer müssen ihr Fahrverhalten den äußeren Bedingungen so anpassen, dass sie bei Aufleuchten des Gelblichts nicht nur rechtzeitig abbremsen können, sondern auch auf etwaige witterungsbedingte Sichteinschränkungen reagieren können (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1998 – 3 Ws (B) 645/98 –).
d) Dass eine solch massive Missachtung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers mit einem Fahrverbot geahndet wird, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Sämtliche vorstehenden Umstände, mit denen der Betroffene das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots trotz Vorliegens eines Regelfalles begründen will, stellen weder alleine noch zusammen genommen besondere Umstände dar, die die Nichtverhängung eines Fahrverbotes begründen könnten. Der festgestellte Sachverhalt weist keine so erheblichen Abweichungen vom Normalfall auf, dass das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auch nur vertretbar erscheint.
e) Soweit der Betroffene behauptet, eine Verkehrsteilnehmerschulung absolviert zu haben, ist dieses Vorbringen urteilsfremd und bleibt – ebenso wie die vom Betroffenen hieraus erstrebten abweichenden Rechtsfolgen – im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlich.
f) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Anordnung des Fahrverbots für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde, die er nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. etwa Senat NJW 2016, 1110; Beschlüsse vom 31. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 487/14 – und vom 19. Juni 2013 – 3 Ws 127/13 – mwN). Soweit die Rechtsbeschwerdeschrift ausführt, der Betroffene sei auf das Fahrzeug angewiesen, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen und sei daher aus beruflichen Gründen auf den Führerschein angewiesen, ist anzumerken, dass der Betroffene sich hierauf grundsätzlich nicht berufen kann, wenn er den Führerschein in Kenntnis der Bedeutung, die dieser für ihn hat, infolge mangelnder Verkehrsdisziplin leichtfertig riskiert (std. Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –, vom 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 – und vom 13. Mai 2015 – 3 Ws (B) 42/15 –). Ein Ausnamefall liegt nur dann vor, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Arbeitsplatzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. etwa Senat VRS 127, 74; VRS 117, 197) – was vorliegend weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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