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Entscheidungen

OWi

Vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß, Urteilsgründe

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 19.11.2018 – 3 Ws (B) 258/18

Leitsatz: 1. Bei der Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes bedarf es Feststellungen dazu, dass ein Verkehrsteilnehmer ein die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkendes Verkehrsschild (Zeichen 274) bemerkt hat, im Regelfall nicht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftszeichen auch tatsächlich wahrnehmen.
2. Das Tatgericht muss die Möglichkeit, dass der beschuldigte Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Vorschriftszeichen übersehen hat, nur dann in Rechnung stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet (Fortführung von BGHSt 43, 241, 250).


KAMMERGERICHT

Beschluss
Geschäftsnummer:
3 Ws (B) 258/18 - 162 Ss 118/18

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 19. November 2018 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. August 2018 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).


Der Senat merkt lediglich an:

1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe einen Antrag der Betroffenen auf Einholung eines Sachverständigengutachten zu Unrecht abgelehnt, ist bereits unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen von §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Danach ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn der Beschwerdeführer die den Mangel enthaltenden Tatsachen angibt. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so genau und vollständig (ohne Bezugnahmen und Verweisungen) zu erfolgen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift ohne Rückgriff auf die Akte erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen, ihre Erweisbarkeit vorausgesetzt, zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 - 2 StR 34/13 –, juris; Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 302/17 -; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 79 Rn. 27d).

Diesen Anforderungen genügt das Rügevorbringen nicht. Die Generalstaatsanwalt-schaft hat in ihrer Stellungnahme vom 15. Oktober 2018 zu Recht darauf hingewiesen, dass dazu die Wiedergabe des konkreten Inhalts sowohl des Beweisantrags als auch des daraufhin ergangenen gerichtlichen Beschlusses geboten gewesen wäre. Daran fehlt es hier; die Rechtsbeschwerde teilt weder den Wortlaut des Antrags noch des ablehnenden Gerichtsbeschlusses mit.

2. Auch die Sachrüge deckt keine den Betroffenen beschwerenden Mängel auf.

a) Zu Unrecht rügt die Betroffene, die schriftlichen Urteilsgründe erwiesen sich als lückenhaft, weil die Voraussetzungen für eine Messung in einem standardisierten Messverfahren nicht vorlägen.

Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei einer Messung mit dem im vorliegenden Fall verwendeten Messgerät LEIVTEC XV 3 um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. statt aller nur Senat, Beschlüsse vom 20. März 2018 - 3 Ws (B) 86/18 - juris, 4. Juli 2017 - 3 Ws (B) 134/17 -, 1. Februar 2017 - 3 Ws (B) 7/17 - und 25. Januar 2017 - 3 Ws (B) 680/16 -; OLG Celle VRS 125, 178). Ist ein Messgerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen und im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes, enthoben. Die Zulassung ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2017, 104). Die Überprüfung und Zulassung des Messgerätes durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt bietet grundsätzlich eine ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2017 - 3 Ws (B) 134/17 -; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13. Juli 2015 - IV-1 RBs 200/14 - und 14. Juli 2014 - IV-1 RBs 50/14 -; beide juris; OLG Frankfurt DAR 2015, 149). Die Einstufung als standardisiertes Messverfahren hat zur Folge, dass sich das Tatgericht auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, welches Gegenstand der Verurteilung ist, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz, beschränken kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten worden ist oder wenn Messfehler konkret behauptet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Januar 2017 - 3 Ws (B) 680/16 -, 30. November 2016 - 3 Ws (B) 592/16 -, 28. September 2015 - 3 Ws (B) 450/15 -, 16. April 2015 - 3 Ws (B) 182/15 - und 29. Mai 2012 - 3 Ws (B) 282/12 -).

Diesen Maßstab hat das Amtsgericht beachtet. Es hat das eingesetzte Messverfahren und die gefahrene Geschwindigkeit abzüglich der Toleranz von 3 km/h - hier: 92 km/h statt der zulässigen Geschwindigkeit von 60 km/h - mitgeteilt (UA S. 5). Soweit die Betroffene in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung und in dem Schriftsatz der Verteidigung vom 6. November 2018 das Vorliegen einer Messung mit einem standardisierten Messverfahren in Frage stellt, ersetzt sie im Rahmen ihrer Sachrüge lediglich - unter Heranziehung urteilsfremder Tatsachen - in unzulässiger Weise (vgl. BGHSt 26, 56, 62) die Beweiswürdigung des Amtsgerichts durch ihre eigene. Sie verkennt, dass die Beweiswürdigung allein dem Tatrichter obliegt und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Widersprüche, Unklarheiten und Verstöße gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze überprüft werden kann. Derartige Mängel deckt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

b) Ebenso wenig dringt die Betroffene mit ihrer Auffassung durch, das angefochtene Urteil sei hinsichtlich der festgestellten Tatsachen zur Begründung einer vorsätzlichen Tatbegehung lückenhaft. Die Annahme des Amtsgerichts, die Betroffene habe die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handelt vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und bewusst dagegen verstoßen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 25. März 2015 - 3 Ws (B) 19/15 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 26. April 2013 - 2 Ss OWi 349/13 -, Rn. 20, juris). Ausdrücklicher Feststellungen dazu, dass die Rechtsbeschwerdeführerin das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzende Zeichen 274 bemerkt hat, bedurfte es nicht. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Verkehrsteilnehmer geschwindigkeitsbeschränkende Vorschriftszeichen, welche ordnungsgemäß aufgestellt sind, auch wahrnehmen (vgl. BGHSt 43, 241, 250 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Juli 2018 - 1 OWi 6 SsBs 19/18 - juris m.w.N.). Von dem Regelfall, dass der Betroffene die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung wahrgenommen hat, dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte grundsätzlich ausgehen. Die Möglichkeit, dass der beschuldigte Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Vorschriftszeichen übersehen hat, brauchen sie nur dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet (vgl. BGH a.a.O; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 325/17 -). Dass derartiges von der Betroffenen geltend gemacht worden ist, teilen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht mit. Soweit die Betroffene in ihrer Begründung der Rechtsbeschwerde vorträgt, sie sei ihres Erachtens nicht auf der Autobahn gefahren, handelt es sich dabei um eine für das Rechtsbeschwerdegericht unbeachtliche urteilsfremde Tatsache.


Einsender: RiKG K.-P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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