Gericht / Entscheidungsdatum: LG Verden, Beschl. v. 29.11.2018 - 1 Qs 172/18
Leitsatz: Die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Verteidigers voraus. Insbesondere muss die Einziehung nicht im Verfahren beantragt worden sein. Ausreichend ist es, wenn sie in Betracht kommt oder nach Aktenlage als geboten erscheint.
Landgericht Verden
Beschluss
1 Qs 172/18
In der Strafsache gegen
Verteidiger:
wegen Verletzung der Unterhaltspflicht
hat das Landgericht - 1. große Strafkammer als Beschwerdekammer - Verden durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 29.11.2018 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 02.10.2018 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nienburg vom 26.09.2018 wird der angefochtene Beschluss wie folgt abgeändert:
Die aufgrund des rechtskräftigen und somit vollstreckbaren Urteils des Amtsgerichts Nienburg vom 15.08.2017 (4 Ds 529 Js 43392/16 (262/16)) von der Landeskasse dem Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen werden festgesetzt auf 873, 46 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2017.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die diesbezüglichen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse (§ 467 Abs. 1 StPO analog).
Die Entscheidung unterliegt keiner weiteren Anfechtung (§ 310 Abs. 2 StPO).
Gründe:
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 02.10.2018 (BI. 119ff. Bd. I d.A.), eingegangen beim Amtsgericht Nienburg am selben Tage (ebda.), gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nienburg vom 26.09.2018 (BI. 115f. Bd. I d.A.), zugestellt am 02.10.2018 (BI. 124 Bd. I d.A.) ist statthaft (§ 464b S. 4 StPO i.V.m. §§ 103 Abs. 2, 104 ZPO, 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPfIG) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere fristgerecht und unter Erreichen des Beschwerdewertes eingelegt worden. Sie hat außerdem in der Sache Erfolg, da die Festsetzung der Gebühr Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 405 EUR zu Unrecht abgelehnt wurde.
1. Die Gebühr (Verfahrensgebühr) entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehenden Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Abgegolten wird das Betreiben des Geschäfts" im Hinblick auf die. Einziehung oder einer ihr - verwandten Maßnahme. Erfasst werden von der Gebühr sämtliche Tätigkeiten, die der Verteidiger im Hinblick auf die Einziehung erbringt, etwa das Fertigen von Schriftsätzen, Stellungnahmen, Besprechungen, Beschwerden o.ä., die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung bzw. einer der verwandten Maßnahmen haben. Da es sich um eine reine Wertgebühr handelt, ist der Umfang der vom Verteidiger erbrachten Tätigkeiten für das Entstehen und die Höhe der Gebühr nicht relevant. Die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG setzt auch keine gerichtliche Tätigkeit des Verteidigers voraus. Insbesondere muss die Einziehung nicht im Verfahren beantragt worden sein (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 23. Aufl., VV 4142, Rn. 12, beck-online; BeckOK RVG, v. Seltmann, 41. Ed., W 4142, Rn. 10). Ausreichend ist es, wenn sie in Betracht kommt oder nach Aktenlage als geboten erscheint (vgl. Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., VV 4142, Rn. 6). Davon wird man ausgehen können, wenn die Frage der Einziehung naheliegt, weil aufgrund der Aktenlage z.B. mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen sein wird. Die Gebühr wird auch für eine außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Verteidigers verdient (vgl. BeckOK RVG, v. Seltmann, 41. Ed., W 4142, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Burhoff, aaO., VV 4142, Rn. 12 m.w.Nachw., beck-online).
2. Vorliegend hat der Verteidiger erklärt, dass er mit seinem Mandanten über eine mögliche Einziehung gemäß §§ 73ff. StGB gesprochen und ihn dahingehend beraten hat. Eine solche Einziehung hat zwar weder die Staatsanwaltschaft beantragt, noch das Amtsgericht angeordnet, doch war dies nach den oben ausgeführten maßgeblichen Grundsätzen nicht erforderlich. Die Einziehung von Wertersatz kam bei den Anklagevorwürfen der Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB (jeweils 163 EUR für März und April 2016, 52 EUR für Mai 2016, 168 EUR für September 2016 und 263 EUR für Oktober 2016; vgl. BI. 39f. Bd. I d.A.) sowie der Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB (konkret: 5.885,57 EUR; vgl. BI. 106 ff. Bd. II d.A.)) ernsthaft in Betracht zumal nach der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2017. Sie wurde nicht beantragt, weil das Verfahren (auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft) mit einem Freispruch endete. Dies kann dem Angeklagten nunmehr nicht zum Nachteil gereichen. Der Umstand, dass der Verteidiger seinen Pflichtverteidigervergütungsantrag hinsichtlich der Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG zurückgenommen hat, ist für die Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten ohne Bedeutung.
Dem Angeklagten ist mithin auch die Gebühr nach Nr. 4142 VVRVG in Höhe von 405 EUR zu erstatten, was zuzüglich der Mehrwertsteuer von 19 % eine Summe von 481,95 EUR ergibt. Hinzuzurechnen ist überdies die bereits durch Beschluss des Amtsgerichts Nienburg vom 26.09.2018 zutreffend zugestandene (und nicht mittels der sofortigen Beschwerde angegriffene) Summe der zu erstattenden Auslagen von 391,51 EUR, sodass dem Angeklagten von der Landeskasse im Ergebnis insgesamt 873,46 EUR zu erstatten sind.
Einsender: RA R. Funk, Stolzenau
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