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Entscheidungen

OWi

Einsicht, Messunterlagen, Verletzung des rechtlichen Gehörs

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 05.11.2018 - 1 Ss (OWi) 108/18

Leitsatz: Ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe von Messunterlagen verletzet nicht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Denn eine solche „materiell-rechtliche Aufladung" des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.


Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss
Geschäftsnummer: 1 Ss (OWi) 108/18

In der Bußgeldsache
gegen pp.
- Verteidiger:

Rechtsanwalt

hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Einzelrichterin am 5. November 2018 beschlossen:

Der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 20. März 2018 wird als unbegründet verworfen; die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 22 km/h zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie rügt zum einen die Verletzung rechtlichen Gehörs und ist ferner der Ansicht, die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs stützt sie in erster Linie darauf, dass ihr die am Ende der Messreihe angefertigte Statistikdatei ebenso wenig zur Verfügung gestellt worden sei wie der beim Eichamt hinterlegte öffentliche Schlüssel des Messgeräts.

In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger für die Betroffene den Antrag gestellt, die am Ende der Messreihe angefertigte Statistikdatei sowie den geheimen und den beim Eichamt hinterlegten öffentlichen Schlüssel des Messgeräts für eine Überprüfung zum Verfahren beizuziehen und ihm zur Verfügung zu stellen.

Diesen Antrag hatte das Amtsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Beiziehung der Statistikdatei und des Messschlüssels nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht notwendig sei.

In den Urteilsgründen heißt es nach näheren Ausführungen zur Ordnungsgemäßheit der Messung, dass die Beiziehung der Statistikdatei zur Erforschung der Wahrheit nicht notwendig war, da der Verteidiger seinen Antrag auf eine Mitteilung des Landkreises bezogen habe, wonach die Messreihe 151 Bilder umfasst habe. Das Messprotokoll spreche jedoch von 161 Bildern. Nach Auffassung des Gerichts habe die Abweichung zwischen den Angaben im Protokoll und der Mitteilung des Landkreises jedoch keine Auswirkung auf das Messergebnis. Unabhängig davon habe der Zeuge Soboll in seiner einvernehmlich in der Hauptverhandlung verlesenen Stellungnahme dargelegt, dass es sich um 161 Dateien handele. Bei der Mitteilung des Landkreises habe es sich um einen Schreib-bzw. Flüchtigkeitsfehler gehandelt. Der Antrag auf Beiziehung des Messschlüssels sei zu Erforschung der Wahrheit nicht notwendig gewesen, da es sich bei dem Vortrag des Verteidigers, dass das genutzte Messgerät nicht geeicht worden sei bzw. eine Doppelverwendung vorläge, um eine reine Vermutung gehandelt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2018 hat der Verteidiger weiter vorgetragen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Amtsgerichts auf einem Verfahrensmangel beruhen würde, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei- der Betroffenen — gehabt hätte (BVerfG NJW 1992/2811).

Das Prozessgrundrecht des rechtlichen Gehörs soll- gewährleisten, dass ein Betroffener bzw. eine Betroffene die Gelegenheit hat, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Das Gericht muss diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2018, 2Rb 8 Ss 839/17).

Das hat das Amtsgericht getan: Es hat sich mit dem Vorbringen der Betroffenen auseinandergesetzt und darüber befunden. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, aus den entsprechenden Ausführungen die seitens der Betroffenen gewünschten Schlussfolgerungen zu ziehen und den gestellten Anträgen zu entsprechen (KG, Beschluss vom 07.April 1999, 2 Ss 15/09).

Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares, die im Übrigen auch nicht Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind, ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.

Denn wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Juni 2016 (1 Ss (OVVI) 59/16 nicht veröffentlicht) ausgeführt hat und auch weitere Oberlandesgerichte entsprechend entschieden haben, verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Messdatei sowie der Messschlüssel den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.August 2017, 3 Ss (0W1) 1162/17, OLG Hamm, Beschluss vom 19.Juni 2018, 4 RBs 163/18).

Auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Denn eine solche „materiell-rechtliche Aufladung" des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.Januar 1983- 2 BvR 864/81). Danach wird der Schutzbereich des Artikels 103 GG nicht mehr berührt, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen hat. Denn es ist nicht Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem bzw. der Betroffenen Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen.

Soweit darüber hinaus ein Anspruch auf Erweiterung des gerichtlichen Aktenbestandes geltend gemacht wird, lässt sich dieser nicht aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG herleiten (BVerfG a.a.0).
2. Auch zur Fortbildung des Rechts gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts kommt bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig, also noch offen, zweifelhaft oder bestritten und die — kumulativ-abstraktionsfähig, also durch Aufstellen abstrakt-genereller Regelungen von praktischer Bedeutung sind (Seitz-Göhler, OWiG, 17.Aufl. 2017, § 80 Rn.3), das heißt, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder rechtsschöpferisch zu schließen. Denn Sinn der Regelung ist nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall. (BGH St 24/15; OLG Hamm, Beschluss vom 09.März 2017 5 Rbs 29/17). Zulassungsbedürftige Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache hier nicht auf. Insbesondere gibt der Fall keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch aufzufüllen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 473 Abs.1 StPO, 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 S.2 und Abs. 4, 46Abs. 1 OWiG.


Einsender: RA F. Schneider, Bad Harzburg

Anmerkung:


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