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Entscheidungen

Sonstiges

Sicherungshaftbefehl, Haftdauer, Entschädigung nach dem StrEG

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Görlitz, Beschl. v. 25.10.2018 - 13 Qs 124/18

Leitsatz: 1. Ein zu Unrecht ergangener Sitzungshaftbefehl nach § 230 StPO und die dadurch verursachte Haft des Angeklagten sind grundsätzlich entschädigungspflichtig nach dem StrEG
2. Die Inhaftierung nach § 230 Abs. 2 StPO darf ihrem Sinn nach nur auf eine zeitlich eng begrenzte Dauer angeordnet werden. Bei länger andauernden Unterbrechungen der Hauptverhandlung muss gegebenenfalls ein Haftbefehl nach § 112 ff. StPO erlassen werden.


Landgericht Görlitz
Außenkammern Bautzen
13 Qs 124/18

Beschluss vom 25. Oktober 2018

In dem Strafverfahren
gegen pp.
Rechtsanwalt
wegen Nötigung in vier tateinheitlichen Fällen
hier: sofortige Beschwerde nach § 8 StrEG

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 26. September 2018 aufgehoben, soweit dort festgestellt wurde, dass der Angeklagte keinen Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Sitzungshaft nach dem Strafentschädigungsgesetz hat
2. Der Angeklagte ist nach § 2 Abs. 1 StrEG für den Zeitraum vom 29. April 2017 bis 5. Oktober 2017 wegen der in diesem Zeitraum erlittenen Haft (§ 230 Abs. 2 StPO) bestimmungsgemäß zu entschädigen.
3. Der Staatskasse werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Gründe:

I.
Mit Verfügung vom 17. Januar 2017 bestimmte der zuständige Strafrichter Termin zur Hauptverhandlung auf den 1. März 2017. Der Angeklagte und die notwendigen Zeugen wurden geladen. Der Angeklagte ist dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben. Die zunächst angeordnete Vorführung des Angeklagten scheiterte, so dass auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestimmungsgemäß ein Sitzungshaftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen wurde.

Aufgrund des erlassenen Sitzungshaftbefehls wurde der Angeklagte dem zuständigen Richter am 7. April 2017 vorgeführt. Der Haftbefehl wurde in Vollzug gesetzt. Dem Angeklagten wurde eine Rechtsmittelbelehrung übergeben. Gleichzeitig wurde nach Anhörung des Angeklagten diesem eine Pflichtverteidigerin gemäß § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet.

Mit Verfügung vom 10. April 2017 wurden die Ermittlungsakten der Pflichtverteidigerin zur Akteneinsicht für drei Tage übersandt und die Wiedervorlage nach einer Woche angeordnet. Diese Verfügung wurde am 13. April 2017 ausgeführt. Die Akten gelangten aus der Akteneinsicht am 25. April 2017 wieder zurück zum Amtsgericht. Mit Verfügung vom 26. April 2017 verfügte der zuständige Richter „zur Terminierung".

Mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei Gericht am 8. Mai 2017, stellte der Angeklagte den Antrag auf Zuweisung eines Pflichtverteidigers für seinen Fall. Des Weiteren bat er darum, dieses Schreiben so schnell wie möglich zu bearbeiten und ihn zu informieren.

Mit Verfügung vom 8. Mai 2017 schrieb der zuständige Richter an den Angeklagten zurück, dass er bereits eine Pflichtverteidigerin habe, des Weiteren verfügte er „z. T.".

Mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2017 schrieb der Angeklagte wieder an das Gericht unter Hinweis auf die ihn zugegangene Mitteilung vom 8. Mai 2017 und teilte mit, dass er weder einen Namen noch eine E-Mail-Adresse, noch eine Telefonnummer seiner Pflichtverteidigerin habe. Er habe keine Möglichkeit mit ihr die weitere Vorgehensweise abzustimmen.

Auf diesem Schreiben findet sich eine Verfügung vom 23. Mai 2017 „Durchschrift an Verteidigerin''. Wer diese Verfügung veranlasste, ist aus der Akte nicht nachvollziehbar.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2017 stellte die Staatsanwaltschaft Görlitz, Zweigstelle Bautzen, eine Sachstandsanfrage in dieser Sache. Mit Schreiben vom 28. Juli 2017 teilte die zuständige Strafgeschäftsstelle mit, dass der Termin für Mittwoch, 30. August 2017 abgestimmt gewesen sei, dieser aber aufgehoben werden müsse, da der zuständige Richter in der Woche vorn 28. August 2017 bis 1. September 2017 kurzfristig aus privaten Gründen Urlaub geplant habe.

Mit Schreiben vom 25. September 2017 beantragte Rechtsanwalt H. die Erteilung eines Einzelsprechscheins für die Justizvollzugsanstalt Görlitz, um mit dem Angeklagten in Kontakt treten zu können. Am 29. September 2017 beantragte, Rechtsanwalt H. Akteneinsicht und legte gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bautzen vom 1. März 2017 Beschwerde ein mit dem Antrag den Haftbefehl vom 01.03.2017 aufzuheben.

Mit Verfügung vom 5. Oktober 2017 hob der zuständige Richter den Haftbefehl des Amtsgerichts Bautzen vom 1. März 2017 auf.

Nach erfolgreicher Ablehnung des zunächst zuständig gewesenen Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit, bestimmte der sodann zuständig gewordene Richter Hauptverhandlungstermin auf den 26. September 2018. In diesem Termin erging ein freisprechendes Urteil. Dem Angeklagten wurde jedoch ein Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Sitzungshaft nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz verwehrt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.

Das freisprechende Urteil ist mit Ausnahme der Strafrechtsentschädigungentscheidung seit dem 4. Oktober 2018 rechtskräftig.

Aufgrund der sofortigen Beschwerde wurde durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Görlitz, Zweigstelle Bautzen, die Rechtssache zur Entscheidung der Beschwerdekammer vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Eine Entscheidung durch die Beschwerdekammer steht § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO nicht entgegen.

Dem Angeklagten ist nach § 2 Abs. 1 StrEG Entschädigung für die erlittene Haft zuzusprechen. Diese Entschädigung hat bestimmungsgemäß zu erfolgen. Die Entschädigung war für den Zeitraum vom 29. April 2017 bis zum 5. Oktober 2017 auszusprechen.

Im Einzelnen:

Ansatzpunkt ist das Freiheitsrecht, welches in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz garantiert ist. Ein Eingriff in dieses persönliche Freiheitsrecht kann nur hingenommen werden, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und auf eine rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann. Dieser Grundsatz gilt auch für den Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO.

Die Anordnung der sogenannten „Sitzungshaft" dient der Sicherung der Weiterführung und Beendigung eines begonnenen Strafverfahrens. Anders als beim Untersuchungshaftbefehl und den dort in § 112 StPO aufgeführten Haftgründe setzt der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO nur voraus, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt wurde. Die Anordnung dient somit der Sicherstellung der Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen oder fortzusetzenden Verhandlungstermin. Diese Sicherstellung ist somit ein Unterfall des Haftgrundes der Fluchtgefahr oder der Flucht wie er in § 112 Abs. 2 Nr. 1 und Nr, 2 StPO normiert wurde. Die sogenannte „Sitzungshaft" gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist somit folgerichtig eine Strafverfolgungsmaßnahme im Sinne des § 2 StrEG. Die Untersuchungshaft im Sinne von § 2 StrEG ist auch die Haft nach § 230 Abs. 2 StPO (vgl. NStZ-RR 2005, 96; Meyer-Goßner/Schmidt, 61. Aufl., § 2 StrEG, Rnr. 2). Die Sitzungshaft ist somit ein Spezialfall der Untersuchungshaft (vgl. Meyer, Komm. zum StrEG, 10. Aufl., 2017, Rnr. 38 zu § 2 StrEG). Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 230 Abs. 2 StPO, in dem dort der Begriff „Haftbefehl" verwendet wird. Die Haft nach § 230 Abs. 2 StPO wird zudem gemäß § 51 StGB auf eine eventuell zu verhängende Freiheitsstrafe angerechnet. Bereits oben wurde ausgeführt, dass die Haft nach § 230 Abs. 2 StPO ebenso wie die Verhängung der Untersuchungshaft wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr oder gar der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO der Sicherung der Durchführung des Verfahrens dient.

Die Ausschlussregelung des § 5 Abs. 3 StrEG wäre ohne Belang, wenn schon per se die Haft nach § 230 Abs. 2 StPO dem Strafrechtsentschädigungsgesetz nicht unterfiele. Es bestünde zudem eine nicht hinnehmbare Regelungslücke - wie im Übrigen dieser Fall - gerade zeigt.

Somit steht fest, dass ein zu Unrecht ergangener Sitzungshaftbefehl und die dadurch verursachte Haft des Angeklagten grundsätzlich entschädigungspflichtig ist.

Dieser Entschädigungspflicht steht § 5 Abs. 3 StrEG nach Ablauf von drei Wochen nicht mehr entgegen.

Danach ist eine Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch schuldhaft verursacht hat, dass er einer ordnungsgemäßen Ladung vor dem Richter nicht Folge geleistet oder einer Anweisung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 3 StPO zuwider gehandelt hat.

Zwar ist festzustellen, dass die am 1. März 2017 durch den zuständigen Richter angeordnete Sitzungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO ordnungsgemäß angeordnet wurde. Der Angeklagte war trotz Ladung unentschuldigt dem Termin ferngeblieben und eine zunächst angeordnete Vorführung blieb erfolglos.

Aufgrund des bestehenden Sitzungshaftbefehls wurde der Angeklagte am 7. April 2017 dem zuständigen Richter vorgeführt und der Haftbefehl wurde in Vollzug gesetzt. An dieser Stelle ist wieder auf den Ansatz der Betrachtung, nämlich das grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht zu schauen. Ein Eingriff in dieses Freiheitsrecht bedarf zwingender Gründe und in allen Fällen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Inhaftierung nach § 230 Abs. 2 StPO darf ihrem Sinn nach nur auf eine zeitlich eng begrenzte Dauer angeordnet werden. Bei länger andauernden Unterbrechungen der Hauptverhandlung muss gegebenenfalls ein Haftbefehl nach § 112 ff. StPO erlassen werden. Dient der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO jedoch nur dem Zweck der Gewährleistung der Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen oder einem Fortsetzungstermin, so ist der zuständige Richter gehalten, einen solchen Termin unverzüglich anzuberaumen, um der Verhältnismäßigkeit der Mittel gerecht werden zu können. Nur dann, wenn ihm dies in der gebotenen Eile nicht möglich sein sollte, wird der zunächst angeordnete Sitzungshaftbefehl gegebenenfalls in einen Haftbefehl nach §112 ff. StPO umzuwandeln oder aufzuheben sein.

In Rechtsprechung und Literatur sind bisher keine gesetzlichen Höchstfristen für die Dauer der sogenannten „Sitzungshaft" gemäß § 230 Abs. 2 StPO, noch Grenzen im Spannungsfeld zwischen der Anordnung eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO und eines Haftbefehls nach § 112 ff. StPO bestimmt worden. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um ein einfach gelagertes Strafverfahren, welches zudem bereits durch Verfügung vom 17. Januar 2017 vorbereitet war. Außer dem Angeklagten sind fünf weitere Zeugen geladen worden. Aufgrund der Haftsituation und des einfachen und überschaubaren Strafverfahrens erscheint eine Neuterminierung nach Inhaftnahme des Angeklagten innerhalb von drei Wochen zwingend angezeigt. Tatsächlich hat der zuständige Richter jedoch keinerlei Anstalten einer zügigen Terminierung erkennen lassen. Vielmehr hat er lediglich nach Inhaftnahme des Angeklagten am 7. April 2017 zwar eine Pflichtverteidigerin bestellt und dieser Akteneinsicht für drei Tage gewährt, jedoch keinerlei Terminierungen vorgenommen. Lediglich am 26. April 2017 lässt sich eine Verfügung den Akten entnehmen, nach Rücklauf der Akten aus der Akteneinsicht bei der Pflichtverteidigerin, dass nunmehr die Geschäftsstelle terminieren soll. Auch auf ein Schreiben des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt Anfang Mai 2017, mit dem Antrag ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, ergeht lediglich eine Verfügung, dass er bereits eine Pflichtverteidigerin habe und die Wiedervorlage zum Termin erfolgen solle. Der Richter hat in Kenntnis der Haftsituation keinerlei Bemühen erkennen lassen, zügig zu terminieren, noch hat er seine Geschäftsstelle dazu angehalten, was aus dem Umstand hervorgeht, dass ein Termin für den 30. August 2017 abgesprochen war, dieser jedoch wegen eines privaten Kurzurlaubes des Richters wieder aufgehoben werden musste. Die Terminierung selbst lässt sich aus den Akten jedoch nicht nachvollziehen und war in Anbetracht der Inhaftierung am 07. April 2017 deutlich zu spät.

Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsstelle die Haftsituation zu erfassen und entsprechend zu reagieren, sondern originäre richterliche Aufgabe.

Allein aus dieser Verfahrensweise heraus, unter Berücksichtigung des aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, entbehrt die weitere Inhaftierung des Ange-klagten über drei Wochen hinaus einer rechtlichen Grundlage und ist damit rechtswidrig.

Da der Angeklagte erst ab dem 29. April 2017 bis zum 05.10.2017 Entschädigung begehrt, war seine sofortige Beschwerde in vollem Umfang begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA U. Israel, Dresden

Anmerkung:


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