Gericht / Entscheidungsdatum: AG Dortmund, Urt. v. 03.07.2018 - 729 OWi-267 Js 924/18 -145/18
Leitsatz: 1. Es liegt kein die Indizwirkung des Regelfahrverbotstatbe-stands in Wegfall bringender atypischer Rotlichtverstoß vor, wenn der Betroffene einen Rotlichtverstoß mit Unfallverursa-chung begeht, weil er sich von anderen (richtigerweise) anfah-renden Verkehrsteilnehmern mitziehen lässt infolge einer Konzentration auf eine im Radio laufende Fußballbundesliga-berichterstattung.
2. Einem Hoteldirektor ist es für die Dauer eines anstehenden Fahrverbotes zumutbar, sich selbst ein Zimmer in dem von ihm geführten Hotel zu nehmen.
3. Einem Dortmunder Bürger mit Arbeitsplatz in Düsseldorf ist es während eines Fahrverbotslaufs zumutbar, per Zug nach Düsseldorf zur Arbeit zu fahren und die weiteren Wege vom oder zum Zug per Taxi, Fahrrad oder auch zu Fuß zurückzule-gen.
Amtsgericht Dortmund
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Dortmund
aufgrund der Hauptverhandlung vom 03.07.2018,
an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens mit Unfallverursachung zu einer Geldbuße von 240,00 EURO verurteilt.
Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene.
- §§ 37 Abs. II, 1 Abs. II, 49 StVO, 24, 25 StVG -
Gründe:
Der Betroffene ist verheiratet und Vater eines 3 Monate alten Kindes. Von Beruf ist er Hoteldirektor eines Hotels in Düsseldorf. Nach seinen eigenen Angaben bedarf es für den Fall einer Verhängung einer Geldbuße in Höhe des im Tenor genannten Betrages keiner Ratenzahlungsanordnung.
Der Betroffene ist verkehrsrechtlich nicht vorbelastet.
Am 11.03.2018 um 18:35 Uhr befuhr der Betroffene in Dortmund als Führer des PKW Audi mit dem amtl. Kennzeichen A AA AAA die Straße Ostwall in Richtung Kreuzung Ostwall/Südwall/Ruhrallee. Der Süd-/Ostwall besteht unmittelbar vor der genannten Kreuzung aus gesamt acht Fahrstreifen, von denen fünf in der Fahrtrichtung des Betroffenen lagen. Der Betroffene beabsichtigte, von seiner Sicht aus nach links abzubiegen und ordnete sich auf einer der drei linksabbiegenden Spuren ein. Der Betroffene musste verkehrsbedingt an der Lichtzeichenanlage halten.
Wegen der Kreuzungssituation und der Einzelheiten der Führung der einzelnen Fahrspuren wird auf das Luftbild (Bl. 56 d.A.) der fraglichen Kreuzung gemäß § 267 Abs. I Satz 3 StPO Bezug genommen.
Dieses Foto ist so zu verstehen, dass der Betroffene von dem oberen Bildrand aus in den mittleren Kreuzungsbereich fuhr. Seine Fahrt sollte dann weiter führen in Richtung des rechten Bildbereiches in die dort gelegene Straße. An der auf der Fahrbahn des Ostwalls aufgebrachten Haltelinie blieb der Betroffene aufgrund angezeigten Rotlichts stehen. Dabei stand der Betroffene aus seiner Sicht auf der ganz linken Linksabbiegerspur. Auf der mittleren Linksabbiegerspur befand sich ein weiterer Fahrzeugführer und auf der rechten Linksabbiegerspur die Zeugin B mit ihrem PKW. Der Betroffene achtete nach Anhalten an der Kreuzung nicht mehr auf die Lichtzeichenanlage, sondern konzentrierte sich auf ein Fußball-Bundesligaspiel, das gleichzeitig im Radio übertragen wurde, nämlich dasjenige zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt. Der Betroffene bemerkte, dass das Fahrzeug rechts neben ihm, also das Fahrzeug auf der mittleren Linksabbiegerspur, unvermittelt anfuhr. Der Betroffene selbst schaute nicht auf die Lichtzeichenanlage, sondern fuhr einfach los. Trotz entgegenkommenden Verkehrs und trotz angezeigten Rotlichts schaffte es das Fahrzeug neben dem Betroffenen ungehindert nach links über die stark frequentierte Kreuzung abzubiegen. Der Betroffene bog auch ab, stieß jedoch beim Abbiegen mit der bevorrechtigten Fahrzeugführerin C zusammen, die mit ihrem PKW aus der entgegengesetzten Richtung bei Grünlicht die Kreuzung im geradausfahrenden Verkehr durchqueren wollte. Das Betroffenenfahrzeug selbst erlitt hierdurch einen Schaden von 18.000,00 EURO, für den der Betroffene möglicherweise gegenüber seinem Arbeitgeber (es handelt sich bei dem Fahrzeug des Betroffenen um einen Arbeitgeberfahrzeug) schadensersatzpflichtig sein wird. Gegebenenfalls wird er auch den Leasinggeber (das Fahrzeug war ein Leasingfahrzeug) Ersatz leisten müssen. Bislang hat der Betroffene jedoch noch nichts zahlen müssen. Das Fahrzeug der Zeugin C erlitt einen Totalschaden. Es handelte sich um ein älteres Fahrzeug, so dass der Schaden sich auf lediglich 1.750,00 EURO belief. Ferner erlitt die Zeugin C Prellungen im Brustbereich, an der Schulter und an den Knien.
Wegen des Aussehens des Schadensbildes der beiden Fahrzeuge des Schadens an dem Fahrzeug des Betroffenen wird auf das Bild rechts oben (Bl. 7 d.A.) Bezug genommen, dass das Fahrzeug am Tatort zeigt mit einer stark beschädigten rechten Fahrzeugseite. Wegen des Fahrzeugschadens an dem Renault-Twingo der Zeugin C wird auf die beiden Lichtbilder (Bl. 9 d.A. oben) Bezug genommen, die das Fahrzeug von der Front aus zeigen (linksseitig) und von der Fahrerseite aus (rechtsseitig).Die Front ist hierbei als stark deformiert zu sehen. Auch diese Bezugnahme erfolgt gemäß § 267 Abs. I Satz 3 StPO.
Der Betroffene hat den Unfall und seine Mitverursachung als Fahrzeugführer des genannten PKW zugestanden.
Er beschrieb, dass er an der fraglichen Kreuzung gestanden habe. Er habe nicht mehr auf die Ampel geachtet, sondern dem genannten Fußballspiel im Radio gelauscht. Er habe dann mitbekommen, dass das Fahrzeug rechts von ihm losgefahren sei. Ob durch Lichtzeichenanlage Grünlicht oder Rotlicht angezeigt worden sei, könne er nicht sagen. Er sei einfach in den Kreuzungsbereich losgefahren. Er sei dann mit der Zeugin C bzw. mit deren Fahrzeug kollidiert.
Die Zeugin C bestätigte ebenfalls den Vorfall.
Sie erklärte, sie sei bei Grünlicht geradeaus durch die Kreuzung gefahren, als es auf einmal geknallt habe. Woher der Betroffene gekommen sei mit seinem Fahrzeug, könne sie nicht sagen. Dies sei alles zu schnell gegangen. Der Betroffene habe ihr gegenüber nach dem Unfall noch gesagt, er habe gedacht, er würde es noch schaffen. Sie habe diese Äußerung dahingehend verstanden, dass der Betroffene noch beim Umschalten auf Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei.
Angesichts der Schilderungen des Betroffenen und der anderen Zeugen konnte das Gericht diese Äußerung nicht einen solchen Geschehen zuordnen.
Die Zeugin bestätigte im Übrigen ihre Verletzungen und auch die Höhe des Schadens.
Des Weiteren hat das Gericht die Zeugin D gehört.
Diese erklärte, dass sie mit ihrem Fahrzeug unmittelbar hinter der Zeugin C an der Lichtzeichenanlage bei Rotlicht gestanden habe. Das Rotlicht habe dann auf Grün umgeschaltet. Beide Fahrzeuge seien dann losgefahren. Sie habe dann bemerkt, dass von ihr aus linksseitig der Betroffene mit seinem Fahrzeug ebenso wie ein zweites Fahrzeug neben ihm angefahren ihr entgegengekommen sei. Das Fahrzeug neben dem Betroffenen sei noch durch den anfahrenden Fahrzeugverkehr hindurchgekommen. Der Betroffene sei dann mit der Zeugin C zusammengestoßen.
Schließlich hat das Gericht noch die Zeugin B gehört.
Diese erklärte, sie habe zwei Fahrzeuge neben dem Betroffenen bei Rotlicht am Haltebalken der Unfallkreuzung gestanden. Zwischen dem Betroffenen und ihr habe ein weiteres Fahrzeug gestanden. Trotz Rotlichts seien dann der Betroffene und der andere Fahrzeugführer mit ihren Fahrzeugen losgefahren. Der Betroffene sei dann mit dem Fahrzeug der Zeugin C kollidiert, wogegen das weitere Fahrzeug es noch geschafft habe abzubiegen. Die Zeugin B konnte sich noch daran erinnern, dass der Betroffene davon erzählt habe, dass seine Frau schwanger sei. Sie könne jedoch nicht sagen, ob dies als Erklärung für das Unfallgeschehen dienen sollte.
Da sich alle Zeugenaussagen und auch die Aussage des Betroffenen zum Unfall an sich und zu dem Ablauf des Rotlichtverstoßes deckten, konnte das Gericht diesen Sachverhalt seinen Feststellungen zugrunde legen. Die Ursache des Verstoßes sieht das Gericht entsprechend der glaubhaften Einlassung des Betroffenen, die dieser auch gegenüber der Polizei am Tatort bereits abgegeben hatte in einer Ablenkung durch das Fahrzeugradio. Weitere Ursache des Verstoßes war das Anfahren mit dem Fahrzeug, ohne auf die maßgebliche Lichtzeichenanlage zu schauen.
Der Betroffene war damit wegen eines Rotlichtverstoßes mit hierdurch verursachtem Unfall gemäß §§ 37 Abs. II, 1 Abs. II, 49 StVO, 24 StVG zu verurteilen.
Ferner war gegen ihn ein Fahrverbot gemäß § 25 StVG wegen groben Pflichtenverstoßes festzusetzen, da dieses gemäß § 4 Abs. I BKatV i.V.m. Nr. 132.2 des BKat vorgesehen ist. Mangels ausdrücklicher Feststellbarkeit einer bestimmten Rotlichtzeit konnte das Gericht nicht von einer Rotlichtdauer über einer Sekunde zurzeit des Rotlichtverstoßes ausgehen. Die Aufnahme des Regelfahrverbotes für den genannten Rotlichtverstoß indizierte jedoch ebenso das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes, dass Vorliegen der erzieherischen Erforderlichkeit eines Fahrverbotes und auch dessen Angemessenheit.
Betroffene und Verteidiger haben das Vorliegen eines sogenannten atypischen Rotlichtverstoßes geltend gemacht, insbesondere eines Mitzieh-Effektes/eines Augenblicksversagens. Es lag ein Mitzieh-Effekt vor. Das Gericht konnte jedoch keinen derartigen atypischen Rotlichtverstoß feststellen, der es nahegelegt hätte, von einer Fahrverbotsanordnung abzusehen infolge eines Wegfalls der tatbestandlichen Indizwirkung des Regelfahrverbotes. Es lag nämlich bereits vor dem eigentlichen Mitziehen durch den anfahrenden weiteren Verkehrsteilnehmer ein maßgebliches Vorverschulden vor. Der Betroffene hatte sich nämlich an der fraglichen Kreuzung nur auf das im Radio übertragene Fußball-Bundesligaspiel konzentriert. Er hat selbst erklärt, er habe beim Losfahren nicht auf die Lichtzeichenanlage geschaut. Ein derartiges Verhalten stellt nach Ansicht des Gerichts auch trotz eines festzustellenden Mitzieheffektes immer noch einen groben Pflichtenverstoß im Sinne des § 25 StVG dar.
Das Gericht hat dann weiter gefragt zu wirtschaftlichen und persönlichen Härten des Betroffenen durch ein ihm drohendes Fahrverbot.
Der Betroffene erklärte hierzu, er habe mit seinem Arbeitgeber noch nicht über ein ihm drohendes Fahrverbot gesprochen. Der Betroffene erklärte zu seiner beruflichen Situation, dass er Hoteldirektor in Düsseldorf sei und monatlich etwa 3.000,00 EURO netto verdiene. Auch seine Ehefrau arbeite im Hotelbereich. Sie sei aber derzeit mit Kindeserziehung beschäftigt, nachdem vor drei Monaten das gemeinsame Kind geboren sei. Wegen der Kindesgeburt und dem nachfolgenden Umzug zum 01.06.2018 in eine für die Familie geeignetere Wohnung habe er mittlerweile seinen Jahresurlaubsanspruch nahezu gänzlich aufgebraucht. Im Übrigen benötige er für das von ihm geführte 4 Sterne-Hotel und die Hinfahrt zur Arbeit einen Führerschein. Er könne auf seinen Führerschein für die Dauer eines Fahrverbotes nicht verzichten. Morgens habe er um 07:30 Uhr Dienstbeginn in Düsseldorf. Er habe dort 52 Mitarbeiter zu führen. Das Hotel habe zweiundzwanzig Konferenzräume. Er arbeite fünf bis sechs Tage pro Woche 10-12 Stunden täglich. Sein Arbeitgeber könne ihm nicht kostenfrei ein Zimmer in dem Hotel unter der Woche anbieten.
Auf die Frage des Gerichts, ob er denn nicht unter der Woche einfach sich selbst ein Zimmer in seinem Hotel nehmen könne für die Dauer des Fahrverbotes erklärte der Betroffene, dass das eher unüblich sei. Das Gericht hält dies jedoch durchaus angesichts der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen für zumutbar. Der Betroffene hat geltend gemacht, er müsse teilweise für das Hotel auch noch einmal Besorgungen erledigen in Düsseldorf. Er tue dies dann per PKW. Derartige Fahrten innerhalb Düsseldorfs können während des Fahrverbots ggf. Mitarbeiter des Hotels auf Weisung des Betroffenen als Hotelchef oder auch der Betroffene selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln/per Taxi erledigen.
Das Gericht hat dem Betroffenen dann vorgehalten, dass dem Gericht durchaus bekannt sei, dass vom Hauptbahnhof Dortmund aus täglich auch Züge nach Düsseldorf zum dortigen Hauptbahnhof fahren würden.
Der Betroffene erklärte, dass er das für sich für unzumutbar halte. Er müsse ja dann morgens auch noch zum Bahnhof hinkommen. Das Gericht hält es durchaus für die Dauer eines 1-Monats-Fahrverbots zumutbar für einen Dortmunder Bürger, per Bus, per Taxi, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß zum Dortmunder Hauptbahnhof zu kommen, um von dort einen Zug nach Düsseldorf zu nehmen.
Dementsprechend konnte das Gericht keine über das gesetzgeberisch gewünschte Maß hinaus drohenden beruflichen oder persönlichen Härten feststellen, die fahrverbotsrelevant wären.
Angesichts der erheblichen materiellen und auch körperlichen Schäden der Geschädigten hielt das Gericht ein Absehen vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße unter Anwendung des § 4 Abs. IV BKatV nicht für angezeigt. Dem Gericht war die Existenz dieser Vorschrift jedoch bewusst.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 StPO, 46 OWiG.
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