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Entscheidungen

StPO

Strafaufschub, Prüfungspflicht Staatsanwaltschaft

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 12.09.2018 - 5-28 Kls 1/15

Leitsatz: Zur Frage, welche Einzelheiten die Staatsanwaltschaft bei einem Antrag auf Haftaufschub bei der eigenen Ermessensentscheidung berücksichtigen muss, damit die Entscheidung überhaupt für das Gericht überprüfbar ist.


Landgericht Frankfurt am Main
5-28 KLs 1/15

Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges pp.

wird auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 18.07.2018 die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 20.07.2018 aufgehoben.

Gründe:

Der Verurteilte wurde durch Urteil der Kammer vom 14.06.2017, rechtskräftig seit dem 23.08.2017, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt (vgl. Bl. 1 ff. Vh Duplo). Durch Beschluss der Kammer vom 16.01.2018 wurde aus der genannten
Verurteilung und der Verurteilung durch das Amtsgericht pp. vom 07.04.2014, rechtskräftig seit dem 23.08.2017, eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten festgesetzt (vgl. Bl. 95 f. Vh Duplo). Seit dem 26.04.2018 ist dieser Beschluss rechtskräftig.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat den Verurteilten in der Folgezeit mit Verfügung vom 19.06.2018 zum Strafantritt geladen (vgl. Bl. 166 Vh Duplo). Danach hatte sich der Verurteilte bis spätestens 2 Wochen nach Zustellung der Ladung in der JVA Pp. zum Strafantritt zu stellen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 17.07.2018 hat der Verurteilte einen Antrag auf Haftaufschub gestellt und dabei verschiedene ärztliche Stellungnahmen vorgelegt, darunter auch eine amtsärztliche Stellungnahme, die dem Verurteilten im Hinblick auf ein beim Landgericht pp anhängiges Wirtschaftsstrafverfahren aktuell Prozessunfähigkeit attestiert (vgl. Bl. 172 ff. Vh Duplo).

Mit Schreiben vom 20.07.2018 hat die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Strafaufschub abgelehnt und dabei im Wesentlichen auf die Behandlungsmöglichkeiten in der JVA Pp. abgestellt und auf die, im Ergebnis durchaus zutreffende, Nichtvergleichbarkeit von Haft- und Prozessfähigkeit verwiesen (vgl. Bl. 220 Vh Duplo). Eine weitergehende Abwägung bzw. gutachterliche Abklärung und/oder Anhörung der JVA Pp. erfolgte indes nicht.

Dagegen wendet sich der Verurteilte mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18.07.2018, der bei der Kammer am 23.07.2018 eingegangen ist (vgl. Bl. 224 ff. Vh Duplo).

Durch Beschluss vom 25.07.2018 hatte die Kammer den Aufschub der Vollstreckung bis zur Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung angeordnet (§ 458 Abs. 3 S. 1 StPO).

Die Kammer hat die Antragsschrift und die vorgelegten ärztlichen Gutachten der JVA pp. zur Stellungnahme übersandt. Diese teilte durch ärztliche Stellungnahme vom 16.08.2018 mit, dass sie nach Aktenlage von der Haftfähigkeit des Verurteilten ausgehe (vgl. Bl. 235 Vh Dupla). Eine Fachärztin für Psychiatrie komme wöchentlich zu Sprechstunden in die Anstalt. Ferner sei eine leitliniengerechte Medikation problemlos gewährleistet.

Dieser Einschätzung der JVA Pp. ist der Verurteilte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.09.2018 entgegengetreten und hat gleichzeitig die Absicht mitgeteilt, noch eine fachärztliche Stellungnahme zur Stellungnahme der JVA Pp. vorzulegen, die aber hier letztlich nicht abgewartet werden musste.

Der nach §§ 458 Abs. 2, 455 StPO zulässige Antrag hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Nach dem Vorbringen des Verurteilten dürfte sich ein Strafaufschub vorliegend allenfalls auf § 455 Abs. 3 StPO stützen lassen. Danach kann die Strafvollstreckung aufgehoben werden, wenn sich der Verurteilte in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist. Gemeint ist ein Zustand, der einen Strafaufschub sowohl im Interesse der Strafanstalt, der Schwierigkeiten beim Vollzug erspart werden sollen, als auch im Interesse des Verurteilten geboten erscheinen lässt, etwa wenn die nötige ärztliche Behandlung im Vollzug nicht möglich wäre (MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 455 Rn. 6). Strafaufschub nach § 455 Abs. 3 StPO weiter setzt voraus, dass die sofortige Vollstreckung unverhältnismäßig ist.

Die Entscheidung über die Gewährung von Vollstreckungsaufschub steht im Ermessen der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde und kann gerichtlich folglich nur auf Ermessensfehler überprüft werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.02.2014, Az. 2 Ws 22/14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a,O. Rn. 3), also darauf, ob sie insbesondere auf einer nachvollziehbaren Abwägung der entscheidungserheblichen Umstände beruht. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde muss deshalb eine für das Gericht nachvollziehbare Darlegung und Abwägung dieser Umstände enthalten. Wird demzufolge ein Antrag auf Aufschub der Strafvollstreckung gestellt, muss die Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde in der Regel Ausführungen enthalten über die Schwere der Erkrankung, die Dauer und die Art und Weise einer erforderlichen Behandlung, die Möglichkeit der Behandlung in einer Strafanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus sowie über die Erwartung des Fortbestands der Erkrankung für eine erhebliche Zeit. Zu berücksichtigen ist auch, welche konkreten Maßnahmen und Rücksichtnahmen im Vollzug aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Verurteilten unerlässlich und ob die damit verbundenen Belastungen für alle Beteiligten in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer baldigen Strafvollstreckung zumutbar sind. Fehlt es daran, unterliegt die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde bereits deshalb der Aufhebung. So liegt der Fall hier. Als wesentliche Umstände wären hier unter anderem die vom Verurteilten vorgelegten medizinischen Stellungnahmen und 'Gutachten, einschließlich der amtsärztlichen Stellungnahme zur aktuellen Prozessunfähigkeit, näher zu berücksichtigen und mit der anstaltsinternen medizinischen Betreuung abzugleichen gewesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob neben einer Anhörung der Justizvollzugsanstalt auch die ergänzende und/oder gesonderte Begutachtung durch die Vollstreckungsbehörde in Betracht gezogen werden sollte. Der Verurteilte hat eine entsprechende Schweigepflichtsentbindungserklärung abgegeben. Überdies wären die fier alle Beteiligten entstehenden Belastungen gegeneinander abzuwägen gewesen. Die genannten Aspekte hat die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde in ihre Entscheidung miteinzubeziehen, die Kammer hat, wie ausgeführt, hierbei nur einen eingeschränkten Prüfungsumfang. Denn wenn die gerichtliche Prüfung zur Feststellung führt, dass das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde, steht es dem Gericht grundsätzlich nicht zu, anstelle der Vollstreckungsbehörde Vollstreckungsaufschub zu gewähren oder zu versagen (OLG Koblenz, Beschluss vom 25.06.2003, Az. 1 Ws 387/03; StraFo 2003, 434). Dem gleichzusetzen ist der Fall, dass der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde - wie hier keine ausreichende Abwägung der entscheidungserheblichen Umstände entnommen und deshalb schon nicht geprüft werden kann, ob das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wurde.

Frankfurt am Main, 12.09.2018 Landgericht, 28. Strafkammer


Einsender: RA T. Hein, Bad Vilbel

Anmerkung:


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