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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Anspruch Dritter, gewerberechtliches Einschreiten, VW-Skandal

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.08.2018 - 7 ME 51/18

Leitsatz: 1. Soweit § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO dem Schutz der Allgemeinheit dient, ist die Norm nicht drittschützend. Dritte haben daher keinen Anspruch auf Erlass einer Untersagungsverfügung, selbst wenn die Voraussetzungen für eine Untersagung nachgewiesen wurden.
2. Aus Grundrechten kann unter bestimmten Umständen ein staatliches Tätigwerden mit dem Ziel der Sicherung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter geboten sein (hier verneint).


In pp.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 25. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 25. Juni 2018 hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Mit dieser sollte die Antragsgegnerin verpflichtet werden, den Gewerbebetrieb der beigeladenen C. gemäß § 35 GewO in der Weise zu untersagen, dass der C. untersagt wird, Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in den Verkehr zu bringen.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag bereits unzulässig sei. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf ein gewerberechtliches Einschreiten der Antragsgegnerin gegen die Beigeladene glaubhaft gemacht. Ein solcher bestehe nur, wenn die fragliche Rechtsnorm, auf die der Erlass des Verwaltungsaktes gestützt werden könne, dem Antragsteller ein subjektiv-öffentliches Recht vermittele. Der Antragsteller könne nicht geltend machen, durch die Unterlassung der Gewerbeuntersagung in einem Recht aus § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO verletzt zu sein, weil diese Norm ihm kein subjektiv-öffentliches Recht vermittele. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO schütze ausweislich seines Wortlauts die Allgemeinheit und die im Betrieb beschäftigten Personen, nicht jedoch Vertragsparteien und andere Dritte. Eine Klage auf Verpflichtung zur Gewerbeuntersagung sei deshalb, ebenso wie der entsprechende Antrag gemäß § 123 VwGO, mangels Klage- bzw. Antragsbefugnis unzulässig. Der Antragsteller könne darüber hinaus auch nicht geltend machen, durch die Unterlassung der Gewerbeuntersagung in seinen Grundrechten, hier dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, verletzt zu sein. Würden zwei grundrechtlich geschützte Rechtspositionen aufeinandertreffen, sei es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, einen sachgerechten Ausgleich des Konfliktes herzustellen. Hier berufe sich der Antragsteller zudem auf die Schutzpflichtdimensionen seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, d. h. er verlange vom Staat ein Tätigwerden zugunsten des Schutzes seines Rechts vor Beeinträchtigungen durch Dritte. Bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten komme sowohl dem Gesetzgeber als auch der vollziehenden Gewalt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Aus grundrechtlichen Schutzpflichten ließen sich nur ganz ausnahmsweise unmittelbare Ansprüche ableiten, weil sie sich nur selten zu einem konkreten Handlungsanspruch verdichteten. Dass die körperliche Unversehrtheit des Antragstellers konkret bedroht wäre, sei bereits nicht dargetan. Die Gefahren durch z. B. Stickoxide begründeten keine konkrete Gefährdung der Gesundheit Einzelner, sondern erhöhten allenfalls das Risiko von Erkrankungen in der Bevölkerung. Die Bewertung dieser Risiken und ihre Begrenzung sei unter Abwägung der widerstreitenden Interessen Sache des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber sei den möglichen Gesundheitsgefahren durch den Ausstoß von Schadstoffen bereits auf vielfältige Weise begegnet. Gleiches gelte für die vielfältigen staatlichen Aktivitäten auch des Kraftfahrt-Bundesamtes im Zuge der sog. „Diesel-Affäre“. Dass diese Vorkehrungen evident gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, sie nicht ersichtlich. Aus dem vom Antragsteller in Bezug genommenen Art. 19 Abs. 4 GG folge nichts anderes, weil diese Norm keine materiellen subjektiv-öffentlichen Rechte begründe, sondern ihre Existenz voraussetze.

Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht - hinsichtlich der gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechenden Gründe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2004 - 8 S 1870/04 -, NVwZ-RR 2006, 75) - nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern.

Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Beschwerde vor, dass er entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts antragsbefugt sei. Er mache eine Verletzung eigener Rechte geltend, die nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Er sei nicht nur in einer unbestimmten Masse der Allgemeinheit zu suchen, sondern konkret selbst betroffen. Er habe ein Recht auf willkürfreie Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Belange aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Gesundheit). Durch die fehlerhaften unrechtmäßigen Abschaltvorrichtungen seien erhöhte Abgasimmissionen freigesetzt worden, so unter anderem Stickoxide. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass die Gefahren durch Stickoxide keine konkrete Gefährdung der Gesundheit Einzelner begründen würden, sondern allenfalls das Risiko von Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt erhöhten, sei zynisch. Die erhöhten Belastungswerte beträfen ihn in Person. Er sei sowohl in seiner privaten als auch in seiner beruflichen Sphäre im Straßenverkehr aktiv. Er komme mit verschiedensten Stickoxiden in Berührung, welche daraus resultierten, dass die Beigeladene in großem Umfang Fahrzeuge mit erhöhten Immissionen in den Verkehr gebracht habe. An seinem Wohnort in A-Stadt seien in den letzten Jahren immer wieder die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid in der Luft überschritten worden. Im Rahmen eines Maßnahmenpakets sei in der Potsdamer Zeppelinstraße eine Einengung der Fahrspuren vorgenommen worden. Bundesweit führten die konkreten Gefahren durch Stickoxide dazu, dass die Luftreinhaltepläne überarbeitet würden. Das Bundesverwaltungsgericht habe geurteilt, dass aufgrund der schnellstmöglichen Einhaltung der Stickstoffdioxidgrenzwerte hierfür Verkehrsverbote ausgesprochen werden könnten. Er sei mithin nicht nur durch reflexartige Wirkungen betroffen. Der zugrundeliegende Sachverhalt sei von der Besonderheit geprägt, dass der abstrakte Begriff der Allgemeinheit und die große Zahl der betroffenen Personen in hohem Maße deckungsgleich seien. Dies könne nicht dazu führen, dass der individuell Betroffene von der Geltendmachung seiner Ansprüche ausgeschlossen wäre. Er sei direkt durch das Inverkehrbringen der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren beeinträchtigt und damit als konkret betroffener Teil der Allgemeinheit antragsbefugt. Soweit sich das Verwaltungsgericht auf den Standpunkt stelle, die staatlichen Vorkehrungen seien jedenfalls nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich, könne es hierum im Verfahren auf Gewerbeuntersagung nicht gehen. Es gehe um die Verantwortung des Gewerbebetriebes und nicht darum, ob die staatlichen Aktivitäten ausreichend oder zu beanstanden seien. Es lägen hinsichtlich des beigeladenen Gewerbebetriebes nunmehr zahlreiche Urteile vor, die von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ausgingen. Im Rahmen eines sog. Plea Agreements hätten sich die Beigeladene und das U. S. Department of Justice auf die Zahlung eines Strafgeldes geeinigt. Die Beigeladene habe sich schuldig bekannt, Dieselfahrzeuge mit unzulässigen Abgaskontrollvorrichtungen in den USA verkauft zu haben. Die Vorgänge bei der Beigeladenen seien auch dem Vorstand zuzurechnen, so dass dieser als unzuverlässig zu beurteilen sei. Im Hinblick auf die eingeräumte Schuld verdichte sich das der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen zu einem zwingenden Handlungsgebot. Die Durchführung einer Abwägung zwischen den kommerziellen Interessen der Beigeladenen und dem Interesse auf körperliche Unversehrtheit könne nur zu dem Ergebnis kommen, dass ein gewerberechtliches Einschreiten erfolgen müsse.

Dieses Vorbringen des Antragstellers führt nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Antrag des Antragstellers bereits unzulässig ist, da ihm keine Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO zusteht. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf ein gewerberechtliches Einschreiten der Antragsgegnerin gegen die Beigeladene nicht glaubhaft gemacht. Ihm steht kein subjektiv-öffentliches Recht zur Seite, welches durch die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts verletzt sein könnte.

Ob es ein subjektives Recht auf Erlass eines Verwaltungsaktes gibt, ist in erster Linie nach den Normen des einfachen Rechts unter Anwendung der Schutznormtheorie zu entscheiden (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 42 Rn. 92). Das materielle öffentliche Recht setzt Normen zuvörderst im öffentlichen Interesse. Dem Einzelnen kommt dieser Schutz vielfach nur als Teil der Allgemeinheit zugute. Nach der Schutznormtheorie wird ein die Verwaltung bindendes subjektives Recht erst dann begründet, wenn die Vorschrift, auf die der Erlass des Verwaltungsaktes gestützt werden soll, nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern - zumindest auch - dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Die Antrags- bzw. Klagebefugnis ist danach nur zu bejahen, wenn die Norm ein Privatinteresse derart schützt, dass der Rechtsträger, im Regelfall der Bürger, die Einhaltung des Rechtssatzes von der Verwaltung verlangen kann. Maßgeblich ist der gesetzlich bezweckte Interessenschutz. Bei Rechtsnormen, die einen von der Allgemeinheit hinreichend deutlich abgegrenzten Personenkreis umschreiben, ist dies gegeben. Der Rechtsreflex einer Norm begründet hingegen keine Klagebefugnis (vgl. v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Auflage 2018, § 42 Rn. 79 f.; Wahl/Schütz in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 42 Abs. 2 Rn. 45; Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 42 Rn. 86 ff.; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 42 Rn. 388; Sennekamp in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 42 Rn. 46, 50).

Die vom Antragsteller begehrte Gewerbeuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage in § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Nach dieser Vorschrift ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die Vorschrift dient ihrem Wortlaut nach dem Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten. Hinsichtlich der drittschützenden Wirkung des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist zu unterscheiden, welchem Zweck eine Untersagungsverfügung dient. Der Personenkreis der im Betrieb Beschäftigten ist hinreichend individualisierbar, so dass den Betroffenen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einschreiten gegen den unzuverlässigen Gewerbetreibenden zusteht, freilich nur dann, wenn die Pflichten, deren Verletzung zur Unzuverlässigkeit führen, ihrerseits dem Schutz der Beschäftigten dienen. Insoweit ist ein drittschützender Charakter des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zu bejahen (vgl. Ennuschat in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 135). Zu dem Personenkreis der im Betrieb Beschäftigten zählt der Antragsteller jedoch nicht. Soweit § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO dem Schutz der Allgemeinheit dient, ist diese Norm nicht drittschützend. Dritte - wie der Antragsteller - haben daher keinen Anspruch auf Erlass einer Untersagungsverfügung, selbst wenn die Voraussetzungen für eine Untersagung nachgewiesen wurden (vgl. Ennuschat in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 134). § 35 Abs. 1 GewO ist keine Schutznorm für Vertragsparteien des Gewerbetreibenden und andere Dritte. Mittelbar und reflektierend dient das Gewerbeuntersagungsverfahren zwar auch Dritten, denen bei einer Weiterführung des Betriebs durch einen unzuverlässigen Gewerbetreibenden Schäden drohen. Diese sind in den Schutzbereich der Vorschrift über den Begriff der Allgemeinheit einbezogen. Eigene Rechte gegenüber der zuständigen Behörde können sie daraus jedoch nicht ableiten. Eine Klage bzw. ein Antrag auf Verpflichtung zur Gewerbeuntersagung ist daher mangels Klage- bzw. Antragsbefugnis unzulässig (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 11.12.1984 - 9 A 274/82 -, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 28.09.1990 - 8 TH 2071/90 -, juris; Marcks in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 77. EL Oktober 2017, § 35 Rn. 102).

Der Einwand des Antragstellers, im vorliegenden Fall seien der abstrakte Begriff der Allgemeinheit und die große Zahl der betroffenen Personen in hohem Maße deckungsgleich, so dass er als konkret betroffener Teil der Allgemeinheit antragsgefugt sei, vermag nicht zu überzeugen. Die von dem Antragsteller vorgenommene Auslegung verwischt die Grenzen zwischen den öffentlichen Interessen und den Individualinteressen, indem beide im vorliegenden Fall gleichgesetzt werden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers handelt es sich vorliegend um den oben beschriebenen klassischen Fall, in dem eine Norm - § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO - dem Einzelnen nur als Teil der Allgemeinheit Schutz zugutekommen lassen will mit der Folge, dass der Einzelne nicht klage- bzw. antragsgefugt ist. Der Antragsteller zählt auch - unabhängig von der Normstruktur des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO - nicht zu einem von der Allgemeinheit hinreichend deutlich abgegrenzten Personenkreis. Vielmehr trifft die Belastung durch Stickoxide die gesamte Bevölkerung. Der Antragsteller trägt insoweit lediglich vor, dass er sowohl in seiner privaten als auch in seiner beruflichen Sphäre im Straßenverkehr aktiv sei und deshalb mit verschiedensten Stickoxiden in Berührung komme. Dies hebt ihn von der Allgemeinheit nicht ab. Da der Antragsteller als Teil der Allgemeinheit keinen Anspruch auf Erlass einer Untersagungsverfügung hat, selbst wenn die Voraussetzungen für eine Untersagung nachgewiesen würden, kommt es auf die vom Antragsteller thematisierte Verantwortung des beigeladenen Gewerbebetriebes im vorliegenden Fall nicht an. Die Ausführungen des Antragstellers zu den Urteilen, die von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ausgingen, dem Plea Agreement zwischen der Beigeladenen und dem U. S. Department of Justice und der Verantwortlichkeit des Vorstandes der Beigeladenen führen insoweit nicht weiter.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus Grundrechten - hier Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - nicht nur Abwehransprüche gegen den Staat ergeben, sondern unter bestimmten Umständen auch staatliches Tätigwerden mit dem Ziel der Sicherung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter geboten sein kann. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebietet jedoch nicht, alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Bei der Anordnung der zu diesem Zweck gebotenen Maßnahmen sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips insbesondere Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren zu berücksichtigen. Bei der Erfüllung derartiger grundrechtlicher Schutzpflichten kommt sowohl dem Gesetzgeber als auch der vollziehenden Gewalt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der auch Raum lässt, konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen und der gerichtlich nur in begrenztem Umfang überprüfbar ist. Der mit einer staatlichen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist daher im Hinblick auf diese Gestaltungsfreiheit regelmäßig nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt mögliche Vorkehrungen zum Schutz der betroffenen Grundrechte trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Nur unter ganz besonderen Umständen kann sich diese Gestaltungsfreiheit bei wesentlichen Eingriffen in Grundrechtsgüter in der Weise verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 19.01.1996 - 11 B 90.95 -, juris; Sennekamp in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 42 Rn. 83).

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass die Bewertung der durch Stickoxide begründeten Risiken und ihre Begrenzung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen Sache des Gesetzgebers ist. Der Gesetzgeber sei möglichen Gesundheitsgefahren durch den Ausstoß von Schadstoffen bereits auf vielfältige Weise begegnet. Gleiches gelte für die staatlichen Aktivitäten des Kraftfahrtbundesamtes. Das Verwaltungsgericht stellt rechtsfehlerfrei fest, dass die vom Staat getroffenen Vorkehrungen nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, um die Bevölkerung - und damit auch den Antragsteller - vor Gefahren zum Beispiel durch Stickoxide zu schützen. Soweit der Kläger meint, es gehe vorliegend nicht darum, ob die staatlichen Aktivitäten ausreichend oder zu beanstanden seien, sondern um die Verantwortung des Gewerbebetriebes, kann dem nicht gefolgt werden. Denn ein die Antragsbefugnis vermittelndes subjektiv-öffentliches Recht aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit steht dem Antragsteller nicht bereits bei einer - wie auch immer gearteten - Verantwortlichkeit der Beigeladenen zu. Vielmehr wäre das vom Antragsteller geforderte staatliche Tätigwerden in der Form des Erlasses einer Gewerbeuntersagungsverfügung auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht erst dann geboten, wenn der Staat seiner Schutzpflicht bislang gar nicht oder durch Maßnahmen nachgekommen wäre, die gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Dafür ist - wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat - nichts ersichtlich. Der Antragsteller weist in seiner Beschwerdebegründung selbst darauf hin, dass an seinem Wohnort in A-Stadt in den letzten Jahren immer wieder die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid in der Luft überschritten worden seien und daher im Rahmen eines Maßnahmenpakets in der Potsdamer Zeppelinstraße eine Einengung der Fahrspuren vorgenommen worden sei. Bundesweit führten die konkreten Gefahren durch Stickoxide dazu, dass die Luftreinhaltepläne überarbeitet würden. Das Bundesverwaltungsgericht habe geurteilt, dass aufgrund der schnellstmöglichen Einhaltung der Stickstoffdioxidgrenzwerte hierfür Verkehrsverbote ausgesprochen werden könnten. Dieses eigene Vorbringen des Antragstellers zeigt, dass bereits vielfältige Maßnahmen zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht ergriffen werden. Eine Verengung der staatlichen Gestaltungsfreiheit dahingehend, dass gegenüber der Beigeladenen eine Gewerbeuntersagung zu verfügen wäre, ist deshalb nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, die von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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