Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 22.08.2018 - 2 Ws 313/18
Leitsatz: 1. Acht Monate nach der letzten Anhörung und Entscheidung über die Frage der Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB ist auf Antrag des Verurteilten eine erneute Anhörung und Entscheidung in der Sache zwingend geboten.
2. Sofern eine noch vollständig zu vollstreckende Freiheitsstrafe, im Anschluss an ein Restdrittel einer anderen Freiheitsstrafe vollstreckt wird, hat die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die Vollstreckungsreihenfolge zu ändern ist.
OLG Celle
Beschluss
2 Ws 313/18
In der Strafvollstreckungssache
gegen pp.
wegen Betruges
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX sowie den Richter am Landgericht XXX am 22. August 2018 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 3. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 19.07.2018 (79 StVK 36/18) aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittels an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Gegen den Verurteilten wird derzeit nach vorangegangener Unterbrechung gemäß § 454b Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Vollstreckung anderer, zwischenzeitlich vollständig vollzogener Freiheitsstrafen, das Restdrittel einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Hameln vom 03.02.2014 (9 Ls 1543 Js 69030/10 2/11) wegen Betrugstaten in insgesamt fünfzehn Fällen noch bis zum Ablauf vom 28.01.2019 vollstreckt. Im Anschluss daran ist die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen veruntreuender Unterschlagung aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 21.06.2018 (45 Ns 2142 Js 1105541/16 145/17) vorgesehen. Zwei Drittel jener Strafe werden mit Ablauf des 28.05.2019 vollstreckt sein; die Vollverbüßung tritt mit Ablauf des 28.07.2019 ein.
Die 3. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover hat mit dem Beschluss vom 19.07.2018 (Az.: 79 StVK 36/18) die Anträge des Verurteilten vom 01.05.2018 und 13.06.2018 auf Aussetzung der Reststrafe als unzulässig zurückgewiesen, ohne den Verurteilten zuvor erneut persönlich anzuhören. Der Beschluss ist dem Verurteilten sowie seiner Verteidigerin jeweils am 25.07.2018 zugestellt worden.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seinem persönlich sowie durch seine Verteidigerin am 30.07.2018 bzw. 31.07.2018 beim Landgericht Hannover eingelegten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vom 26.07.2018 bzw. 31.07.2018, das mit Schriftsatz vom 01.08.2018 durch die Verteidigerin weiter begründet worden ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat beantragt, die sofortigen Beschwerden mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass die Anträge des Verurteilten vom 01.05. und 13.06.2018 als unbegründet zurückgewiesen werden.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat zumindest vorläufig Erfolg.
Der angefochtene Beschluss ist in einem Verfahren ergangen, das nicht frei von Rechtsfehlern ist. Die Strafvollstreckungskammer war nach Auffassung des Senats im derzeitigen Verfahrensstadium bereits gehindert, abschließend über die beantragte Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung zu befinden. Insbesondere durften die entsprechenden Anträge des Verurteilten ohne dessen persönliche Anhörung nicht als unzulässig zurückgewiesen werden.
Im Einzelnen:
1. Die erneuten Anträge des Verurteilten, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, waren entgegen der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer nicht unzulässig.
Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer erkannt, dass ihre mit Beschluss vom 14.11.2017 gesetzte Sperrfrist nach § 57 Abs. 7 StGB von sechs Monaten Dauer bei Einreichung des Antrages durch die Verteidigerin am 13.06.2018 bereits abgelaufen war. Auch der Antrag des Verurteilten vom 01.05.2018 erforderte mit dem Ablauf der Sperrfrist am Tagesende des 13.05.2018 eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in der Sache (vgl. zum Ganzen: Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 57 Rn. 35 m.w.N.).
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verfahrensrecht. Die Vorschrift des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO verpflichtet grundsätzlich zur mündlichen Anhörung des Verurteilten. Ein gesetzlich enumerierter Fall des § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 1-3 StPO, in dem der von der Anhörung abgesehen werden kann, liegt nicht vor. Der Verurteilte hat mit seinem Antrag auf neue Umstände hingewiesen. Solche ergeben sich zudem aus der aktuellen Stellungnahme der JVA
vom 24.05.2018. Soweit die Strafvollstreckungskammer auf einen Standardkommentar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 454 Rn. 52) Bezug nimmt, ergibt sich aus der Fundstelle gerade kein Fall der Unzulässigkeit der Antragstellung. Vielmehr ist rund acht Monate nach der letzten Anhörung und Entscheidung durch die Strafvollstreckungskammer auf Antrag des Verurteilten eine Entscheidung in der Sache zwingend geboten.
Das Landgericht hätte daher eine mündliche Anhörung des Verurteilten durchführen und grundsätzlich in der Sache über die Begründetheit des Antrages entscheiden müssen.
2. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass zum Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung nicht mehr isoliert über die Reststrafenaussetzung im vorliegenden Vollstreckungsverfahren entschieden werden konnte. Denn zwischenzeitlich war das aktuelle Vollstreckungsblatt der JVA
vom 17.07.2018 zu den Akten gelangt, aus dem sich die Einleitung der Anschlussvollstreckung aus der Verurteilung des Landgerichts Hannover vom 21.06.2018 ergab. Die Vollstreckungsakten jenes Verfahrens lagen der Strafvollstreckungskammer zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung jedoch nicht vor. Grundsätzlich kann die Strafvollstreckungskammer jedoch eine Entscheidung erst treffen, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen entschieden werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 454b Rn. 18; Appl, in: KK-StPO, 7. Auflage 2013, StPO § 454b Rn. 24).
Jene Anschlussvollstreckung ist derzeit nicht aussetzungsfähig, weil die Vollstreckung noch nicht einmal begonnen hat. Es liegt erkennbar keine Aussetzungsreife vor, weil die möglichen Aussetzungszeitpunkte des § 57 StGB noch nicht anstehen. Nach telefonischer Mitteilung der JVA
vom 21.08.2018 ist bislang keine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge durch die Vollstreckungsbehörde verfügt worden.
Dies führt zu einer Konstellation, wie sie im Strafvollstreckungsrecht regelmäßig im Falle einer Nachverurteilung durch die Vorwegvollstreckung widerrufener Strafreste eintritt (vgl. Wittmann, in: BeckOK StVollstrO, 2. Ed. 15.6.2018, StVollstrO § 43 Rn. 8). Grundsätzlich ist der Strafrest hier das Restdrittel von ursprünglich drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe aussetzungsfähig (OLG Frankfurt, Beschluß vom 12.10.1982 - 3 VAs 48/82, NStZ 1983, 48; LG Hamburg, Beschluß vom 26.08.1991 - 613 StVK 491 u. 613 StVK 548/91, NStZ 1992, 253). Da jedoch nach § 43 Abs. 3 StVollstrO erst im Anschluss eine neue Strafe von sechs Monaten Dauer vollstreckt wird, kann der Strafrest nicht an deren Aussetzungsprüfung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt nach § 454b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 4 StGB teilnehmen.
Im vorliegenden Fall wird daher vor einer Entscheidung in der Sache die Vollstreckungsreihenfolge zu klären sein. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollstreckungsbehörde, auf Antrag des Verurteilten oder von Amts wegen eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge aus wichtigem Grund nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zu prüfen. Dabei dürfte der Umstand abzuwägen sein, dass die derzeitige Vollstreckungsreihenfolge anders als im Falle des Vorwegvollzugs widerrufener Strafreste auf einem Zufall bedingt durch das Rechtskraftdatum der neuen Verurteilung beruht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. August 2018 2 VAs 37/18 , juris Rn. 10). Denn wäre über die Berufung bereits vor Beginn der Vollstreckung des Restdrittels am 29.01.2018 rechtskräftig entschieden worden, wäre unproblematisch eine Vollstreckungsreihenfolge eingetreten, die eine Teilnahme des Restdrittels an der gemeinsamen Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe nach § 454b Abs. 4 StPO ermöglicht hätte. Würde die Staatsanwaltschaft daher mit der Rechtskraft der neuen Verurteilung durch das Landgericht Hannover vom 21.06.2018 die Vollstreckungsreihenfolge zu diesem Stichtag ändern, könnte ein aussetzungsfähiger gemeinsamer Zeitpunkt nach § 454b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 4 StGB Ende Oktober 2018 erreicht werden.
3. Der aufgezeigte Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und wegen der erforderlichen weiteren Sachverhaltsaufklärung sowie der anschließend gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Anhörung abweichend vom Grundsatz des § 309 Abs. 2 StPO zur Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. § 309 Rn. 8 mwN).
Nach der Prüfung einer Änderung der Vollstreckungsreihenfolge durch die zuständige Staatsanwaltschaft wird die Strafvollstreckungskammer über die Frage der Aussetzung der Strafen neu zu befinden haben. Für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge wie dargestellt vornehmen sollte, dürfte über die bereits berücksichtigte aktuelle Stellungnahme der JVA vom 24.05.2018 (nicht 2017) hinaus eine kurze Ergänzung hinsichtlich des weiteren Vollzugsverlaufes einzuholen sein. Es wird jedoch bereits jetzt angemerkt, dass die neuerliche Verurteilung vom 21.06.2018 wegen einer im Rahmen gewährter Vollzugslockerungen im April 2016 begangenen Straftat (eine weitere Verurteilung zu drei Monaten Freiheitsstrafe wegen einer während der Strafhaft begangenen Urkundenfälschung ist bereits vollständig vollstreckt) ein durchaus erhebliches Prognosekriterium darstellen dürfte.
III.
Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst. Sie ist an dem abschließenden Ergebnis in der Sache zu orientieren und bleibt deshalb der erneuten erstinstanzlichen Schlussentscheidung vorbehalten.
Gegen diesen Beschluss ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Einsender: Eingesandt vom 2. Strafsenat des OLG Celle
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