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Entscheidungen

OWi

Absehen vom Fahrverbot, Prognoseentscheidung, Begründung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 13.08.2018 - 3 Ss OWi 980/18

Leitsatz:
Die eine Fahrverbotsprivilegierung wegen eines substantiiert vorgebrachten und als wahr unterstellten Arbeitsplatzverlustes durch Kündigung versagende Wertung, ein Härtefall scheide schon deshalb aus, weil der Betroffene bei der gegebenen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungslage „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“ werde, bedarf einer durch tatrichterliche Feststellungen belegten, die Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick nehmenden Tatsachengrundlage.


In pp.

Zum Sachverhalt:

Mit Bußgeldbescheid vom 23.05.2016 setzte die Vw-Behörde gegen den Betr. wegen einer fahrlässigen Drogenfahrt (§ 24a II, III StVG) eine Geldbuße von 500 € fest und ordnete ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 IIa StVG an. Mit Urteil vom 05.12.2016 verwarf das AG den Einspruch des Betr. gegen den Bußgeldbescheid. Mit Beschluss vom 03.07.2017 hob der Senat auf die Rechtsbeschwerden des Betr. und der StA dieses Urteil auf und verwies die Sache an das AG zurück. Der von der mit schriftlicher Vollmacht ausgestatteten Verteidigerin beauftragte Terminsbevollmächtigte beschränkte in der in erlaubter Abwesenheit des Betr. durchgeführten Hauptverhandlung ohne Hinweis auf eine ihm erteilte Ermächtigung den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch. Das AG hat den Betr. sodann am 16.04.2018 unter „Bezugnahme auf den im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheid“ zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 IIa StVG angeordnet. Ausweislich der Urteilsgründe hat das AG zu Gunsten des Betr. unterstellt, dass dieser im Falle eines Fahrverbots kündigungsbedingt seine Tätigkeit als Getränkeausfahrer verlieren werde, weshalb gleichwohl nicht von einem Härtefall auszugehen sei, weil der Betroffene „bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage in M. unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“ werde. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. führte zur neuerlichen Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache.
Aus den Gründen:
Die gemäß § 79 I 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und infolge der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffende Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Erwägungen, mit denen das AG trotz des von ihm unterstellten Verlustes des Arbeitsplatzes des Betr. das Nichtabsehen von der Verhängung des Fahrverbots begründet hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das AG ist zunächst zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs durch den Terminsbevollmächtigten in der Hauptverhandlung vom 04.12.2017 nach § 67 II OWiG ausgegangen mit der Folge, dass der Bußgeldbescheid im Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Für die nachträgliche Beschränkung des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs, in der eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs gemäß § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO zu sehen ist (vgl. zuletzt OLG Bamberg Beschl. v. 03.04.2018 – 3 Ss OWi 330/18 [bei juris] m.w.N.), lag eine ausdrücklicher Ermächtigung des Betr. vor.
a) Der Betr. hatte seiner Verteidigerin zuletzt am 30.11.2017 eine schriftliche Vollmacht ausgestellt, die auch die Ermächtigung zur Rücknahme eines Rechtsmittels beinhaltete. Im Hinblick darauf, dass diese Vollmachtserteilung im Rahmen des laufenden gerichtlichen Verfahrens über den Einspruch des Betr. erfolgte, muss die in ihr enthaltene Ermächtigung auch als ausdrücklich auf dieses Verfahrens bezogen angesehen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 31.08.2016 – 2 StR 267/16 [bei juris] m.w.N.).
b) Zwar ergibt sich aus der Terminsvollmacht […] eine solche Ermächtigung nicht. Da allerdings für die nach § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung, die im Zeitpunkt der Erklärung der Einspruchsbeschränkung vorgelegen haben muss, keine besondere Form vorgeschrieben ist und der Nachweis auch nachträglich, etwa durch eine anwaltliche Versicherung, erbracht werden kann (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. vom 06.12.2016 – 4 StR 558/16 = NStZ-RR 2017, 185; 15.04.2015 – 1 StR 112/15 = NStZ-RR 2016, 24; 05.02.2014 – 1 StR 527/13 [bei juris]; Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 I Rücknahme 7; OLG Bamberg a.a.O.), hat der Senat entsprechende Ermittlungen durchgeführt. Nach der Erklärung der Verteidigerin […] vom 09.08.2018 ist davon auszugehen, dass diese die ihr eingeräumte Ermächtigung zur Beschränkung des Einspruchs […] ausdrücklich auf den Terminsbevollmächtigten übertragen hatte. […]
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auch wenn ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24a II, III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommt (vgl. nur OLG Bamberg Beschl. v. 29.10.2012 – 3 Ss OWi 1374/12 = BA 50, 27 = OLGSt StVG § 25 Nr 53 und zuletzt Beschl. v. 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 [bei juris], jeweils m.w.N.), sind die Erwägungen des AG, welches trotz von ihm unterstellter Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Betr. in der Gesamtschau von der Angemessenheit und Notwendigkeit der Verhängung des Fahrverbots ausgeht, schon im Ansatz von Rechtsfehlern beeinflusst.
a) Mit seiner Prognose, der Betr. werde nach seiner Kündigung „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“, entfernt sich die an sich dem Tatrichter nach § 261 StPO obliegende Beweiswürdigung so weit von einer festen Tatsachengrundlage, dass es sich bei ihr letztlich nur um eine bloße Vermutung handelt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 261 Rn. 38). Ebenso wenig wie eine nur auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung, welche die Besonderheiten des Einzelfalls nicht in den Blick nimmt, keine geeignete Grundlage für die Anordnung oder Fortdauer gerichtlicher Maßnahmen darstellt (vgl. nur BGH Beschl. v. 16.12.2015 – 2 StR 469/15 = StraFo 2016, 122; 12.04.2016 – 4 StR 17/16 = NStZ-RR 2016), kann eine Existenzgefährdung infolge Verlustes des Arbeitsplatzes nicht mit vom konkreten Fall losgelösten Überlegungen zur allgemeinen Beschäftigungslage verneint werden. Aus der - abstrakt gesehen - guten Arbeitsmarktlage in M. allein folgt nicht, dass auch der Betr. nach seiner Kündigung unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden wird. Konkrete Tatsachen, wonach der Betr. eine neue Arbeitsstelle in Aussicht habe, hat das Gericht gerade nicht festgestellt. Die Urteilsfeststellungen verhalten sich auch nicht zu den persönlichen Verhältnissen des Betr., so dass der Senat die Schlussfolgerung des AG schon im Hinblick auf möglicherweise vorhandene Einschränkungen der Vermittelbarkeit nicht auf Plausibilität überprüfen kann. Da solche Einschränkungen gerade dann nahe liegen, wenn sich der Arbeitgeber, wovon das AG zu Gunsten des Betr. ausgeht, trotz der Arbeitsmarktlage, die es ihm erschwert einen neuen Mitarbeiter zu finden, von seinem Arbeitnehmer trennen will, hätte dieser Punkt einer näheren Erörterung in den Urteilsgründen bedurft.
b) Soweit das AG der Sache nach darauf abstellt, dass die Verhängung eines Fahrverbots gegen den verkehrsrechtlich nicht vorgeahndeten Betr. trotz drohender Kündigung seines Arbeitsverhältnisses in der Gesamtschau der Tatumstände verhältnismäßig sei, ist auch dies nicht rechtlich tragfähig begründet.
aa) Die Wertung des AG, der Betr. habe sich „grob fahrlässig“ verhalten, wird durch die festgestellten bzw. in Rechtskraft erwachsenen Tatsachen nicht getragen. Dem Senat erschließt sich nicht, warum ein THC-Gehalt von 9 mg/l Blut auf eine gesteigerte Pflichtwidrigkeit hindeuten soll, denn weitere Feststellungen, insbesondere zur Dauer, zum Zeitpunkt, zu den Umständen und den Auswirkungen des Substanzkonsums oder der Länge der Wartezeit nach der Substanzaufnahme hat die Tatrichterin nicht getroffen.
bb) Mit der Erwägung, das Verhalten des Betr. sei „durchaus sehr riskant“ gewesen, verstößt das AG zudem gegen den Rechtsgedanken des § 46 III StGB, der auch im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts zu berücksichtigen ist (vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.12.2013 - 3 Ss OWi 1470/13 = BeckRS 2014, 4739 = NJOZ 2014, 858 und 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 [bei juris]; BayObLGSt 1994, 237; OLG Düsseldorf VRS 84, 340; KK/Mitsch OWiG 5. Aufl. § 17 Rn. 32, jeweils m.w.N.). Demnach besteht ein Doppelverwertungsverbot, welches verhindern soll, dass Umstände, die zum Tatbestand der Bußgeldnorm gehören oder die das generelle gesetzgeberische Motiv für die Bußgelddrohung darstellen, bei der Bemessung der Rechtsfolgen, hier der Notwendigkeit der Verhängung eines Fahrverbots trotz Existenzgefährdung, noch einmal herangezogen werden. Umstände, welche die Auswirkungen des Verhaltens des Betr. über den bloßen in § 24a II, III StVG sanktionierten Substanzkonsum hinaus im Einzelfall als besonders gefährlich erscheinen lassen, hat das AG nicht festgestellt. […]


Einsender: RiOLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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