Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 23.03.2018 - III-1 RVs 54/18
Leitsatz: Ist für eine Bagatellstraftat die Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe unerlässlich, können es die Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich und das Übermaßverbot gebieten, auf die Mindeststrafe zu erkennen. Dieser Umstand muss das Tatgericht zu einer besonders gründlichen und umfassenden Abwägung aller maßgeblichen Strafzumessungsfaktoren drängen.
OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. Dezember 2017 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO
am 23. März 2018 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Köln hat die seit 2003 vielfach wegen Diebstahls vorbelastete, zuletzt 2015 und 2016 deswegen zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte am 13. Juni 2017 erneut wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und diese Strafe wiederum zur Bewährung ausgesetzt. Zugrunde liegen Ladendiebstähle, bei welchen die Angeklagte Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände im Werte von 15,99 bzw. 7,-- an sich nahm.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die sie mit der Berufungsbegründung auf das Strafmaß beschränkt hat. Das Landgericht Köln hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und gegen die Angeklagte auf eine nicht mehr zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten bei Einzelstrafen von je zwei Monaten erkannt.
Die Revision der Angeklagten rügt (nicht ausgeführt) die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel hat insofern (vorläufigen) Erfolg, als es gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts führt.
1. Obwohl die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufungsbegründung lediglich zur Aussetzungsfrage ausführt, ist innerhalb der Rechtsfolgenseite eine weitergehende Beschränkung nicht erklärt. Hiervon ist das Tatgericht mit Recht ausgegangen und hat daher über die Rechtsfolgeseite insgesamt neu befunden. Die erklärte Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß ist ihrerseits was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (st. Senatsrechtsprechung s. nur SenE v. 05.07.2016 III-1 RVs 67/16; SenE v. 03.03.2017 III-1 RVs 41/17 ; SenE v. 02.03.2018 - III-1 RVs 14/18) wirksam erfolgt; die amtsgerichtlichen Feststellungen lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten hinreichend erkennen und bilden so eine genügend sichere Grundlage für die Bemessung der Rechtsfolgen.
2. Die Bemessung der Einzelstrafen im angefochtenen Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist vielmehr materiellrechtlich-unvollständig; die Urteilsgründe belegen daher nicht, dass die Entscheidung in jeder Hinsicht auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht (§ 337 StPO).
a) Es ist Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmte Strafzumessungsfaktoren oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist hingegen ausgeschlossen (BGH HRR 2009 Nr. 498; BGH NStZ 2009, 444; SenE v. 16.07.2013 - III-1 RVs 92/13 -; SenE v. 06.03.2015 - III-1 RVs 21/15 -; vgl. a. SenE v. 15.02.2013 - III-1 RVs 8/13; SenE v. 27.09.2016 III-1RVs 194/16 -; SenE v. 15.12.2017 III-1 RVs 287/17 -).
Gemäß § 267 Abs. 3 S. 1 StPO müssen die Urteilsgründe die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Ist der Tatrichter nicht auf weitere zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten sprechende Gesichtspunkte ausdrücklich eingegangen, bedeutet dies nicht, dass er sie übersehen hätte, sondern nur, dass er ihnen keine bestimmende Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung beigemessen hat (BGH NStZ-RR 1998, 347; BGH NStZ-RR 2002, 329; BGH, Urt. v. 02.03.2017 4 StR 196/16 NStZ-RR 2017, 200; SenE v. 02.12.2003 - Ss 413-414/03 -; SenE v. 02.08.2011 - III-1 RVs 92/11 -; SenE v. 04.11.2016 III-1 RVs 241/16 -; SenE v. 15.12.2017 III-1 RVs 287/17 -). Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles vom Tatrichter zu entscheiden. Ein Rechtsfehler liegt erst vor, wenn ein wesentlicher, die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (BGH NStZ-RR 2002, 329; SenE v. 02.12.2003 - Ss 413-414/03 -; SenE v. 16.11.2004 - 8 Ss 413/04 -; SenE v. 04.11.2016 III-1 RVs 241/16 -; SenE v. 15.12.2017 III-1 RVs 287/17 ).
Anerkannt ist andererseits, dass die Anforderungen an eine umfassende Abwägung und eine erschöpfende Würdigung der für die Bemessung der Strafe maßgeblichen straferschwerenden und strafmildernden Umstände umso höher sind, je mehr sich die Strafe bestimmten Grenzsituationen nähert. Das gilt für die Frage der Aussetzungsfähigkeit (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Auflage 2017, Rz. 1446), das gilt namentlich aber auch, je mehr sich die im Einzelfall verhängte Strafe dem unteren oder oberen Rand des Strafrahmens nähert (BGH NStZ-RR 2003, 52 [53]; Schäfer/Sander/van Gemmeren a.a.O. Rz. 1445; Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 46 Rz. 149 je m. N.). Vom Vorliegen einer solchen Situation ist hier auszugehen:
b) Das Tatgericht führt wenn auch im Kontext mit der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB mit Recht aus, dass gerade bei Bagatelltaten das Übermaßverbot besonderer Beachtung bedürfe und geht zutreffend davon aus, dass dann, wenn schon geringfügige Straftaten ohne erschwerende Besonderheiten den Ausspruch einer Freiheitsstrafe erfordern, es die Anforderung an einen gerechten Schuldausgleich und die Beachtung des Übermaßverbots gebieten können, auf die Mindeststrafe zu erkennen (st. Senatsrechtsprechung vgl. beispielhaft zu Ladendiebstählen SenE v. 03.03.2009 - 81 Ss 8/09 - [Beutewert 9,20 und 9,99 ]; SenE v. 20.07.2010 III-1 RVs 125/10 - [9,95 ]; SenE v. 08.02.2011 - III-1 RVs 23/11 [11,10 ]; SenE v. 28.04.2017 III-1 RVs 87/17 [9,75 ]; vgl. weiter OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Oldenburg StRR 2008, 323). Dieser Umstand musste das Tatgericht zu einer besonders gründlichen und umfassenden Abwägung namentlich der strafmildernden Gesichtspunkte drängen; dem genügen die Urteilsgründe nicht zur Gänze:
Das Amtsgericht hat der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zugute gebracht, dass die entwendeten Waren letztlich auch bei den Geschädigte verblieben seien. Feststellungen zum Verbleib der Tatbeute sind mit Blick auf den Schuldumfang stets geboten (SenE v. 12.07.2013 - III-1 RVs 135/13 -; SenE v. 29.09.2017 III-1 RVs 228/17; SenE v. 20.10.2017 III-1 RVs 258/17 -). Sie nehmen als diesen (mit-)bestimmend und als Umstand, der geeignet ist, die Tat als einen geschichtlichen Vorgang näher zu beschreiben (hierzu vgl. jüngst SenE v. 02.03.2018 III-1 RVs 14/18 m. zahlr. Nachw.) an der durch die erklärte Beschränkung bewirkten Bindung der Berufungsstrafkammer an die amtsgerichtliche Feststellungen teil (so auch KG StraFo 2016, 83 bei Juris Tz. 18). Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Strafbemessung hat die diesen Umstand an keiner Stelle der Urteilsgründe erwähnende Berufungsstrafkammer aber nicht erkennbar in ihre Überlegungen mit einbezogen, dass sich selbst der potentiell geringe Schaden hier nicht realisiert hat. Das wäre aber nach dem zuvor Dargestellten im Sinne einer umfassenden Abwägung und erschöpfenden Würdigung der strafzumessungsrelevanten Umstände in einem Bereich geboten gewesen, der im Hinblick auf die Höhe zu verhängender Freiheitsstrafe einen Grenzfall darstellt (vgl. auch KG a.a.O. bei Juris Tz. 16). Der Senat vermag letztlich nicht auszuschließen, dass die erkannten Einzelstrafen niedriger ausgefallen wären, hätte das Tatgericht sich den Umstand bewusst gemacht, dass die Tat letztlich ohne Realschaden geblieben ist.
3. Von dem reinen Erörterungsmangel sind die zur Strafzumessung rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht berührt, sie haben daher Bestand. Ergänzende, den getroffenen nicht widersprechende Feststellungen bleiben möglich.
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht zwanglos die Aufhebung der Gesamtstrafe und der für sich genommen rechtsfehlerfreien - Bewährungsentscheidung nach sich.
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