Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2017 - 5 Ws 578/17, 5 Ws 579/17
Leitsatz: 1. Die sitzungspolizeiliche Anordnung eines Kammervorsitzenden gemäß § 176 GVG ist mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar, wenn durch die Anordnung Rechtspositionen eines Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft berührt und beeinträchtigt werden.
2. In der Sache überprüft das Beschwerdegericht eine gemäß § 176 GVG angeordnete Maßnahme nur darauf, ob die Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Stellt die Anordnung einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar, muss der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgeblichen Gründe offenlegen und dadurch für die Betroffenen erkennen lassen, dass er die betroffenen Rechtsgüter und gegenläufigen Interessen der Beteiligten - einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, die Gewährleistung der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung - in die Abwägung eingestellt hat.
3. Eine notwendige Begründung kann in der Nichtabhilfeentscheidung nachgeholt werden.
4. In dem zu beurteilenden Fall hat der Kammervorsitzende zulässigerweise angeordnet, dass - bei fehlendem Einverständnis der Verfahrensbeteiligten - Foto- und Filmaufnahmen in den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung (nur) im Foyer vor dem Sitzungssaal gestattet sind und dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei der Veröffentlichung der Aufnahmen unkenntlich zu machen sind.
In pp.
1. Die Beschwerde wird, soweit ihr der Vorsitzende der XXI. großen Strafkammer nicht durch Beschluss vom 23. November 2017 abgeholfen hat, als unbegründet verworfen.
2. Der Antrag, die Vollziehung der angefochtenen Anordnungen auszusetzen, ist gegenstandslos.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich ihrer notwendigen Auslagen tragen die Beschwerdeführerinnen.
Gründe:
I.
Das zugrundeliegende Verfahren, welches regional, aber auch überregional hohe mediale Aufmerksamkeit gefunden hat, betrifft den Verantwortlichen einer Onkologie-Schwerpunktapotheke. Die Staatsanwaltschaft Essen hat am 11. Juli 2017 Anklage vor der XXI. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Essen gegen den Angeklagten erhoben. Ihm wird vorgeworfen, in der Zeit vom 01. Januar 2012 bis zum 29. November 2016 in C, E und andernorts durch 61.980 selbständige Handlungen entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AMG gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe hergestellt, in den Verkehr gebracht oder sonst mit ihnen Handel getrieben zu haben, die zugleich durch Abweichungen von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert waren, wobei er gewerbsmäßig gehandelt und aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt haben soll. In 27 der vorgenannten Fälle soll er tateinheitlich dazu versucht haben, eine andere Person an der Gesundheit zu schädigen. Durch 59 weitere selbständige Handlungen soll er in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch geschädigt haben, dass er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte, wobei er gewerbsmäßig gehandelt und einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt haben soll. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 11. Juli 2017 Bezug genommen. Mit Beschluss vom 04. Oktober 2017 hat die XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 13. November 2017 begonnen. Dreizehn weitere Fortsetzungstermine sind bis zum 15. Januar 2018 bestimmt.
Die Beschwerdeführerinnen sind die B SE - ein Medienunternehmen und die Verlegerin mehrerer Zeitungen, darunter der bundesweit verbreiteten Tageszeitung C2 - und die C2 GmbH & Co. KG als Betreiberin des journalistisch-redaktionellen Internetangebotes www.
de. Beide Beschwerdeführerinnen haben über das Ermittlungs- und das begonnene Hauptverfahren umfänglich berichtet. Sie wenden sich vorliegend gegen die Ziffern IV. Nr. 3 und Nr. 5 der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden der XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 02. November 2017, mit der die Fertigung von Foto- und Filmaufnahmen eingeschränkt wird. Diese den Medienvertretern am 13. November 2017 im Sitzungssaal ausgehändigte Verfügung hat - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant -folgenden Inhalt:
IV.
3. In den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung In den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung sind Foto- und Filmaufnahmen (nur) im Foyer vor dem Sitzungssaal gestattet.
5. Unkenntlichmachung des Angeklagten und der Nebenkläger Bei Foto- und Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei ihrer anschließenden Veröffentlichung unkenntlich gemacht werden.
Eine Begründung enthält die Anordnung nicht.
Gegen diese Verfügung haben die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17. November 2017 bei dem Landgericht Essen Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig mit umfangreichen Ausführungen näher begründet. Sie beantragen, die Anordnung vom 02. November 2017 in ihren Ziffern IV. Nr. 3 und Nr. 5 aufzuheben und in ihrer Wirksamkeit bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Die Beschwerdeführerinnen bemängeln im Wesentlichen, dass die sitzungspolizeiliche Anordnung keine nähere Begründung enthalte und ihre Freiheit der bildlichen Berichterstattung unangemessen und ohne jegliche einzelfallspezifische Güterabwägung einschränke. Zudem fehle es dem Vorsitzenden der Strafkammer bereits an der Befugnis, die Zulässigkeit der Bildveröffentlichung abweichend von §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz zu regeln.
Der Vorsitzende der XXI. großen Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. November 2017 teilweise abgeholfen. Er hat Ziffer IV. 5. wie folgt abgeändert:
Bei Foto- und Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei ihrer anschließenden Veröffentlichung unkenntlich gemacht werden. Das gilt nicht, soweit sich diese Verfahrensbeteiligten mit einer Veröffentlichung ohne Unkenntlichmachen ausdrücklich einverstanden erklären.
Weiter heißt es:
Die Gründe dieses Beschlusses werden der sitzungspolizeilichen Verfügung als neue Ziffer VII. Begründung angefügt.
Gründe:
Zu IV.5.
1. Das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten überwiegt insoweit das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit:
Der Angeklagte ist eine Privatperson. Er ist zwar in den vergangenen Jahren öffentlich und in den Medien aufgetreten. Dabei handelt es sich aber um lokale Aktivitäten, wie sie für ortsansässige Geschäftsleute typisch ist. Soweit ersichtlich, ist er einer breiten Öffentlichkeit über seinen Heimatort hinaus nicht bekannt. Der Einzugsbereich seiner beruflichen Tätigkeit als Apotheker umfasst - bei vorläufiger Würdigung der Aktenlage - ebenfalls im Wesentlichen C und Umgebung, mag er auch vereinzelt Arzneimittel in andere Bundesländer geliefert haben. All dies spricht gegen eine identifizierende Bildberichterstattung.
2. Das Persönlichkeitsrecht der Nebenkläger überwiegt ebenfalls das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit. Die Nebenkläger sind ebenfalls keine Personen des öffentlichen Lebens.
3. Soweit der Angeklagte oder die Nebenkläger ausdrücklich ihr Einverständnis mit einer Veröffentlichung ohne Unkenntlichmachen erklären, besteht für die Anordnung indes kein Bedarf.
Zu IV. Nr. 3.
1. Bei kürzeren Unterbrechungen der Hauptverhandlung müssen der Angeklagte und die Nebenkläger die Möglichkeit haben, mit ihren Rechtsvertretern das Gespräch zu suchen, ohne sich von Kameras und Mikrophonen beobachtet zu fühlen. Dies gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Kammer, die sich in ihr Beratungszimmer zurückziehen können, hat namentlich der Angeklagte keine Ausweichmöglichkeit.
2. Bei längeren Unterbrechungen haben alle Verfahrensbeteiligten (einschließlich des Angeklagten) und die Zuhörer den Saal unverzüglich zu verlassen. Der Saal wird sodann verschlossen. Für Foto- und Film-Aufnahmen ist damit kein Raum. Das Gleiche gilt für den Schluss der Sitzung. Diese Regelung schützt die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege. Die zum Sitzungsdienst eingeteilten Wachtmeister sollen so rasch wie möglich andere Aufgaben übernehmen können. Dabei ist berücksichtigt, dass derzeit beim Landgericht Essen mehrere Strafverfahren mit zahlreichen Beteiligten geführt werden, so dass laufend Wachtmeister anderer Gerichte herangezogen werden müssen.
Im Übrigen hat der Vorsitzende der XXI. großen Strafkammer die Beschwerde und den Antrag gemäß § 307 Abs. 2 StPO zurückgewiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 05. Dezember 2017 unter näheren Ausführungen beantragt wie erkannt.
Der Angeklagte, seine Verteidiger, die Beschwerdeführerinnen und ihr Verfahrensbevollmächtigter hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerinnen hat hiervon mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2017 Gebrauch gemacht.
II.
Der zulässigen Beschwerde war der Erfolg in der Sache zu versagen.
1. Die Beschwerde gegen die vorliegende sitzungspolizeiliche Anordnung ist gemäß § 304 StPO statthaft, form- und fristgerecht eingelegt (§ 306 Abs. 1 StPO) und damit insgesamt zulässig.
Nach § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse und auch gegen Verfügungen des Vorsitzenden zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Dieses Beschwerderecht steht gemäß § 304 Abs. 2 StPO auch Zeugen, Sachverständigen und anderen Personen zu.
Die angegriffene sitzungspolizeiliche Maßnahme im Sinne des § 176 GVG ist daher im vorliegenden Einzelfall anfechtbar. Die Vorschrift des § 181 Abs. 1 GVG enthält nämlich seinem Wortlaut nach keinen ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtung sitzungspolizeilicher Anordnungen im Sinne des § 176 GVG. Auch aus § 305 S. 1 StPO folgt kein gesetzlicher Ausschluss, denn § 305 S. 2 StPO nimmt alle Entscheidungen vom Ausschluss der Beschwerde aus, durch die dritte, nicht verfahrensbeteiligte Personen betroffen werden. Soweit nach älterer Rechtsprechung Verfügungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG grundsätzlich nicht mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden konnten - dies wurde mit einem Umkehrschluss aus § 181 GVG begründet, wonach (nur) in den Fällen der Verhängung eines Ordnungsmittels nach den §§ 178, 180 GVG sofortige Beschwerde eingelegt werden kann - (vgl. OLG Nürnberg, MDR 1969, 600; OLG Zweibrücken, NStZ 1987, 477; OLG Hamburg, NStZ 1992, 509; KG, NStZ 2011, 120), schließt sich der Senat auch unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015, 1 BvR 3276/08) und der ihr folgenden jüngeren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 13. April 2016, StV 2016, 549; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. September 2016, NStZ-RR 2016, 383; OLG Celle, Beschluss vom 08. Juni 2015, 2 Ws 92/15; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 08. März 2016, 1 Ws 28/16) dieser Ansicht nicht an und erachtet stattdessen die grundsätzliche Anfechtungsmöglichkeit für gegeben.
Dies setzt allerdings weiterhin voraus, dass durch die Anordnung Rechtspositionen eines Betroffenen, insbesondere Grundrechte, wie etwa die Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft berührt und beeinträchtigt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 176 GVG, Rn. 16; BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015, aaO; OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2017, III-2 Ws 127/17). Auch unter Beachtung dieser Einschränkung ist vorliegend eine Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerinnen gegeben. Die angefochtene sitzungspolizeiliche Maßnahme berührt diese in ihrer durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Pressefreiheit über die Dauer der Hauptverhandlung und der Rechtskraft einer möglichen Entscheidung hinaus. Die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgte Pressefreiheit gewährleistet sowohl als Grundrecht des Einzelnen wie als Garantie des Instituts Freie Presse nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen; sie schützt vielmehr auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört. Wenn auch nach § 169 2 Satz GVG die mündliche Verhandlung in verfassungsmäßiger Weise Ton- und Bildaufnahmen verschlossen ist (vgl. hierzu BVerfG NJW 2001, 1633), umschließt die verfassungsrechtlich verbürgte Pressefreiheit doch das Recht der im Pressewesen tätigen Personen, sich vor dem Beginn und nach Schluss der Hauptverhandlung sowie in Verhandlungspausen über Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu informieren und hierüber zu berichten (vgl. zum Ganzen BVerfG, NJW 1979, 1400, BVerfG NJW 1990, 184). Davon umfasst wird grundsätzlich das Recht der im Pressewesen tätigen Personen, über Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung durch Ton -, Film - und Bildberichterstattung zu informieren; ebenso die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird (BVerfG, GRUR 2017, 842).
Die Beschwerdeführerinnen dürfen aufgrund der angegriffenen Anordnung auch in ihren neugefassten Ziffern IV. Nr. 3. und 5. nach wie vor Aufnahmen des Angeklagten bzw. der Nebenkläger, die sie in ihrer späteren Presseberichterstattung verwenden könnten, nur in bestimmten Zeiträumen anfertigen und - soweit kein Einverständnis vorliegt - nur anonymisiert veröffentlichen. Dies betrifft den Kernbereich journalistischer Informationsgewinnung und Berichterstattung nachhaltig.
2. Die Beschwerde ist allerdings in der Sache nicht begründet.
Den Ausgangspunkt bildet dabei, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung gemäß § 176 GVG dem Vorsitzenden obliegt. Diese Vorschrift bezweckt die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt zu Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien Ablauf der Sitzung zu sichern.
Der Vorsitzende trifft die Entscheidung über hierfür notwendige Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 620/07; OLG Bremen, aaO; OLG Celle, aaO; BGH NJW 1962, 1260). Das Beschwerdegericht überprüft die angegriffene Maßnahme nur darauf, ob die Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen ist dem Beschwerdegericht verwehrt (vgl. OLG Celle, aaO; OLG Bremen, aaO). Diese eingeschränkte Prüfungskompetenz ergibt sich aus dem Charakter der angefochtenen Maßnahme als sachnähere Prognoseentscheidung eines Vorsitzenden für künftige Hauptverhandlungen (OLG Stuttgart, aaO). Die getroffene Maßnahme muss allerdings der Bedeutung der von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Pressefreiheit Rechnung tragen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, wenn sie die Berichterstattung durch Ton -, Film - und Bildaufnahmen beschränkt. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt neben der Freiheit der Verbreitung von Nachrichten den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu welcher auch die Informationsbeschaffung gehört (vgl. BVerfG, NJW 1996, 310). Die Pressefreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Hierzu zählt auch § 176 GVG (vgl. BVerfG, aaO). Bei Erlass einer sitzungspolizeilichen Anordnung sind danach einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, die Gewährleistung der ungestörten Wahrheits - und Rechtsfindung und des sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anspruchs der Beteiligten auf ein faires Verfahren gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 620/07; BVerfG, Beschluss vom 31.07.2014, 1 BvR 1858/14, NJW 2014, 3013). Stellt eine Anordnung nach § 176 GVG einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar, muss der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegen und dadurch für die Betroffenen erkennen lassen, dass er die bereits erörterten Rechtsgüter und gegenläufigen Interessen der Verfahrensbeteiligten in die Abwägung eingestellt hat. Eine Begründung einer sitzungspolizeilichen Anordnung ist nur dann entbehrlich, wenn die tatsächlichen Umstände, die die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst ergeben.
Die angegriffene sitzungspolizeiliche Anordnung vom 13. November 2017 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 23. November 2017 lässt noch ausreichend erkennen, dass sich der Vorsitzende des ihm zustehenden Ermessens bewusst gewesen ist und die gebotenen Überlegungen unter Berücksichtigung der spezifischen Gesichtspunkte des Einzelfalls angestellt hat. Allein der Umstand, dass auch ein anderes Abwägungsergebnis denkbar gewesen wäre, führt im Ergebnis nicht zur Aufhebung der Anordnung, da der Senat diese nicht durch eine auf eigenen Ermessens- und Zweckmäßigkeitserwägungen beruhende ersetzen darf. Ermessensentscheidungen brauchen in der Regel eine Begründung nur in der Weise, dass das Ermessen als rechtliche Grundlage der Entscheidung erkennbar ist (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 34, Rn. 5).
a) Es ist danach auch nicht zu beanstanden, dass sich die Begründung erst aus der (Nicht-) Abhilfeentscheidung vom 23. November 2017 ergibt. Diese bildet mit der berichtigten Entscheidung verfahrensrechtlich eine Einheit (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 306, Rn. 8). Die notwendige Begründung einer Anordnung kann deshalb in einer (Nicht-) Abhilfeentscheidung nachgeholt werden (vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2016, 383; OLG Hamm, Beschluss vom 13. April 2010 - 2 Ws 70/10; OLG Celle, Beschluss vom 06. Januar 2009 - 1 Ws 629/08). Auch der Umstand, dass der Vorsitzende seine sitzungspolizeiliche Verfügung auf die Beschwerde teilweise abgeändert hat, zeigt, dass er die Gründe der ursprünglichen Anordnung mit dem in der Beschwerdeschrift niedergelegten Vorbringen der Beschwerdeführerinnen nochmals ganzheitlich abgewogen hat.
b) Mit der Anordnung Ziffer IV. 3.
In den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung sind Foto- und Filmaufnahmen (nur) im Foyer vor dem Sitzungssaal gestattet
- verfolgt der Vorsitzende ausweislich der Begründung des (Nicht-) Abhilfebeschlusses den zulässigen Zweck, ein faires Verfahren zu sichern, indem er dem Angeklagten, aber auch den Nebenklägern die Möglichkeit zumindest kurzfristig ungestörter Kommunikation in Sitzungspausen einräumt (vgl. zum Ganzen BVerfG NJW 2017, 798). Der Kontakt zwischen Angeklagtem und Verteidiger kann in Situationen bestehenden Gesprächsbedarfs durch eine die Mimik und Gestik der Beteiligten festhaltende Aufnahme gestört werden (OLG Bremen, aaO; BVerfG GRUR 2017, 842). Gleiches muss ebenfalls für die Kommunikation zwischen Nebenklägern und ihren Verfahrensbevollmächtigten gelten. Wegen der besseren Umsetzbarkeit kann eine solche - wie vorliegend - als generalisierende Regelung zulässig sein (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, aaO). Darüber hinaus führt der Vorsitzende ebenfalls zulässig - auch mit Blick auf die personalintensiven Sicherungs- und Ordnungsmaßnahmen für das Verfahren - die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege an, soweit der Saal in den Sitzungspausen geräumt werden muss. Die Anordnung ist auch geeignet, diesen Zweck zu erreichen.
Die Anordnung zu Ziffer IV. 5.
Bei Foto- und Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei ihrer anschließenden Veröffentlichung unkenntlich gemacht werden.
- dient in ebenfalls geeigneter Art und Weise dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten sowie der Nebenkläger (vgl. BVerfG, aaO). Auch Anordnungen zum Schutz von Nebenklägern bzw. Zeugen sind von der durch § 176 GVG eingeräumten sitzungspolizeilichen Befugnis gedeckt (vgl. OLG Bremen, aaO). Durch die Ermächtigung des § 176 GVG soll eine geordnete Rechtspflege, der Prozess der Rechts- und Wahrheitsfindung und die Rechte der Verfahrensbeteiligten und betroffener Dritter geschützt werden (BVerfG, Beschluss vom 09.09.2016, aaO; BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, aaO). Veröffentlichungsbeschränkungen zugunsten von Zeugen dienen der Sicherung der ungestörten Wahrheitsfindung, da durch Foto- und Filmaufnahmen die Fähigkeit zur unbeeinträchtigten Mitwirkung am Verfahren verloren gehen kann (BVerfG, Beschluss vom 31.07.2014, aaO). Sie dürfen dem zu §§ 22, 23 KUG entwickelten abgestuften Schutzkonzept Rechnung tragen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 176 GVG, Rn. 15). Soweit das Einverständnis der betroffenen Personen vorliegt hat der Vorsitzende bereits die Möglichkeit uneingeschränkter Bildberichterstattung eingeräumt. Er hat in seiner Begründung noch ausreichend erkennen lassen, dass er sich mit der Stellung des Angeklagten und der Nebenkläger in der Öffentlichkeit sowie der aus der Anordnung resultierenden Einschränkung der Pressefreiheit auseinandergesetzt hat.
Die angegriffenen Anordnungen stellen sich daher auch insgesamt als verhältnismäßig dar. Dabei hat der Senat zum einen berücksichtigt, dass ein großes mediales Interesse an dem gegenständlichen Verfahren, dessen Tatvorwürfe durchaus schwer wiegen, festzustellen ist. Ein anzuerkennendes Interesse an näheren Informationen über Tat und Täter wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat durch die Besonderheit des Angriffsobjektes, ihre Art der Begehung oder die Schwere ihrer Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (BVerfG GRUR 1973, 541). Ebenso wurde bedacht, dass der Angeklagte bereits über Jahre hinweg durch eigene Aktivitäten zumindest im lokalen Bereich in den unterschiedlichsten Medien präsent war. Auch aufgrund des Verfahrensgegenstands selbst ergibt sich bereits ein nicht unerhebliches Informationsinteresse der Bevölkerung, welchem die Beschwerdeführerinnen durch mediale Berichterstattung Genüge tun. All dies schränkt die Pressefreiheit und das daraus folgende Recht der Bildberichterstattung nicht unerheblich ein. Die Beschwerdeführerinnen haben allerdings unter Beachtung des aufgezeigten weiten Prüfungsmaßstabs mit der Beschwerdebegründung vom 17. November 2017 eine so weitreichende Verletzung eigener Rechte, dass das getroffene Abwägungsergebnis insgesamt als ermessenfehlerhaft anzusehen wäre, nicht dargetan. Zunächst war zu sehen, dass die Anordnung zu Ziffer IV. 3. nicht generell, sondern vorwiegend für den Zeitraum der Verhandlungspausen und nach dem Schluss einer Sitzung und damit partiell greift. Auch unter Beachtung der Regelung des § 169 Satz 2 GVG wird dadurch die Möglichkeit der Fertigung von Aufnahmen erheblich eingeschränkt, führt aber nicht zu deren vollständigem Ausschluss. Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, dass der geäußerte Wunsch der Beschwerdeführerinnen, sogenannte Eklats oder Kontaktaufnahmen zwischen Verfahrensbeteiligten in Sitzungspausen oder zum Ende einer Sitzung abbilden zu können im Rahmen der gebotenen Abwägung unter Beachtung der Grundsätze einer ausgewogenen Berichterstattung und eines fairen Verfahrens hinter den Persönlichkeitsrechten des Angeklagten und der Nebenkläger zurücktreten muss. Den Beschwerdeführerinnen bleibt mit Ausnahme der bebilderten Dokumentation dieses Teilbereiches im Übrigen unbenommen, nach eigenen Kriterien über Inhalt und Form ihrer Publikationen zu bestimmen. Eine hinreichende den Informationsinteressen dienende Berichterstattung wird jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Anordnung, den Angeklagten sowie die Nebenkläger bei der anschließenden Veröffentlichung von Film- und Fotoaufnahmen unkenntlich zu machen. Eine solche Anordnung stellt sich gegenüber dem sonst zu erwägenden generellen Verbot von Foto- und Filmaufnahmen schon als milderes Mittel dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.09.2016, aaO). Allein die verfahrensrechtliche Stellung der Nebenkläger, die lediglich als mögliche Geschädigte ihre eigenen Rechte verfolgen, bietet Anlass, deren Schutzwürdigkeit - soweit nicht deren Einverständnis zur Veröffentlichung von Foto- und Filmaufnahmen vorliegt - stark zu gewichten. Mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten war demgegenüber zu sehen, dass die Pressefreiheit grundsätzlich die öffentliche Kontrolle von Gerichtsverhandlungen durch die Anwesenheit der Medien und deren Berichterstattung fördert. Es liegt daher auch im Interesse der Justiz, mit ihren Verfahren und Entscheidungen öffentlich wahrgenommen zu werden, und zwar auch im Hinblick auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007, aaO). Dies führt zwangsläufig zu einer Einschränkung der Rechte eines Angeklagten, der die zur effektiven Strafverfolgung notwendigen Maßnahmen innerhalb der Grenzen der Strafprozessordnung hinzunehmen hat. Dazu gehört es nach den erörterten Grundsätzen zunächst auch, dass er im Einzelfall Gegenstand medialer Berichterstattung sein kann, die insbesondere die generalpräventive Wirkung von Strafverfahren fördert. Zu beachten war vorliegend aber auch, dass der Angeklagte - wenn auch dringender Tatverdacht besteht (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats III-5 WS 213/17 vom 13. Juni 2017 und III-5 Ws 413/17 vom 26. September 2017) - sämtliche Taten bisher bestritten hat. Müssen Angeklagte, für die die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleitete Unschuldsvermutung streitet, im Falle einer Berichterstattung ihr nicht anonymisiertes Bildnis zeigen, kann hierin eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts liegen, die im Einzelfall trotz späteren Freispruchs schwerwiegende und nachhaltige Folgen haben kann (BVerfG, aaO). Bei einem noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten gebietet die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Unschuldsvermutung eine zurückhaltende und ausgewogene Berichterstattung (BVerfG, NJW 2009, 350), insbesondere wenn eine erhebliche Prangerwirkung der Berichterstattung eine spätere Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft gefährden kann (BVerfG, NJW 1973, 1226). Es ist daher im Rahmen des weiten Prüfungsmaßstabes nicht zu beanstanden, wenn der Vorsitzende eine Maßnahme anordnet, die diesen Grundsätzen und damit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des bestreitenden Angeklagten höheres Gewicht beimisst, als den Rechten der Beschwerdeführerinnen. Auch die Bezugnahme auf vorherige Medienpräsenz des Angeklagten ändert daran nichts. Sämtliche Aktivitäten fanden im lokalen Bereich statt und standen nicht im Zusammenhang mit den Vorwürfen aus dem anhängigen Strafverfahren. Es ist von den Beschwerdeführerinnen weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass sich der Angeklagte der Schutzwirkung seines Persönlichkeitsrechts dadurch begeben hätte, dass er in Ansehung des Prozesses und der dort erhobenen Tatvorwürfe bewusst die mediale Öffentlichkeit gesucht hätte, um sich dort den erhobenen Vorwürfen zu stellen. Ebenso wenig, dass er allein aufgrund seiner Stellung oder Funktion allgemein öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hätte. Der Vorsitzende stellt in nicht zu beanstandender Art und Weise darauf ab, dass die öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen lokalen Charakter hatten. Soweit auch unter Berücksichtigung der Wertung des Schutzsystems der §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz nur im sachlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren erweitert und ggfls. identifizierend über den Angeklagten berichtet werden könnte, überwiegt wie bereits erörtert aufgrund der Unschuldsvermutung das Schutzinteresse des Angeklagten.
All dies zugrunde gelegt hat der Vorsitzende in seiner sitzungspolizeilichen Verfügung in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss insgesamt weder sachbzw. zweckfremde Erwägungen in die Ermessensausübung eingestellt noch ist eine Ermessensfehlgewichtung oder -überschreitung festzustellen.
3. Mit der Beschwerdeentscheidung ist der daneben gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung (§ 307 Abs. 2 StPO) gegenstandslos.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.s
Einsender:
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