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Entscheidungen

StPO

Terminsverlegung, Anwalt des Vertrauens

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Wiesbaden, Beschl. v. 06.06.2018 - 6 Qs 38/18

Leitsatz: Die Terminierung nach § 213 Abs. 1 StPO unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens hat dieser alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen


Landgericht Wiesbaden
6 Qs 38/18

Beschluss
In der Strafsache
gegen u.a. pp.

wegen unter anderem Steuerhinterziehung

hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden auf die am 05.06.2018 vorgelegte Beschwerde des Angeklagten vom 01.06.2018 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 30.05.2018 am 06.06.2018 beschIossen.

Der Termin zur Hauptverhandlung vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Wiesbaden am 07.06.2018 wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten und der Mitangeklagten mit Anklageschrift vom 30.08.2017 zur Last, in der Zeit vom 01.01.2015 bis 31.05.2015 jeweils durch 13 selbstständige Handlungen gemeinschaftlich handelnd in den Fällen 1 bis 8 durch jeweils dieselbe Handlung „als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben" und „als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben" sowie in den Fällen 9 bis 13 die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch Steuern verkürzt zu haben.

Nach „Zulassung der Anklage zur Verhandlung vor dem Amtsgericht - Strafrichter (Abteilung 71 des Amtsgerichts Wiesbaden) mit Beschluss vom 21.11.2017 wurde vom Strafrichter der Abteilung 71 Termin zur Hauptverhandlung am 24.01.2018 bestimmt. Dieser Termin wurde sodann aus „dienstlichen Gründen" aufgehoben, weil übersehen worden war, dass nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Wiesbaden offensichtlich Sonderdezernate für Steuerstrafsachen eingerichtet sind, was die Zuständigkeit der Abteilung 79 des Amtsgerichts begründet. Die Abladung des Angeklagten pp. kam mit dem Vermerk „unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln" in den Postrücklauf. Mit Terminierung des aktuellen Hauptverhandlungstermins am 07.06.2018 und am 05.04.2018 wurde gleichwohl - erfolglos versucht, den Angeklagten unter der nicht mehr aktuellen Anschrift zu laden. Eine Einwohnermeldeauskunft am 24.04.2018 <324> ergab, dass der Angeklagte seit dem 15.10.2017 unter der aktuellen Adresse gemeldet ist. Offensichtlich ohne Kenntnisnahme dieser Einwohnermeldeauskunft vom 24.02.2018 beauftragte das Amtsgericht sodann am 14.05.2018 <340> die Polizeistation Idstein mit der „Überprüfung der Meldeadresse des Angeklagten, gegebenenfalls Aufenthaltsermittlung und Übergabe der Terminsladung gegen EB falls er angetroffen werden sollte". Auf diesem Wege wurde der Angeklagte sodann am Freitag, den 25.05.2018, zum Termin am 07.06.2018 geladen. Sein - früherer - Verteidiger hatte zwischenzeitlich am 16.05.2018 ohne Angabe von Gründen mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidige.

Am 30.05.2018 meldete sich der aktuelle Verteidiger des Angeklagten und bat neben Akteneinsicht um Aufhebung des Termins am 07.2018 und Anberaumung eines neuen Termins unter Beifügung seiner Ladung als Verteidiger in einer Strafsache vor dem Amtsgericht Mannheim zu einer Hauptverhandlung am 07.06.2018 mit 13 Zeugen und der Mitteilung, dass ihn der Angeklagte erst am Montag, dem 28.05.2018, mandatiert habe.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30.05.2018 hat das Amtsgericht den „Aussetzungsantrag vom 30.05.2018" zurückgewiesen und dem Verteidiger Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle gewährt. Bezug genommen wurde dabei auf § 228 Abs. 2 StPO, der bei Verhinderung des Verteidigers dem Angeklagten - unbeschadet einer notwendigen Verteidigung nach § 145 StPO - kein Recht einräumt, eine Aussetzung der Verhandlung Abbruch der Verhandlung (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 228, Randnummer 3) zu verlangen. Ist die Hauptverhandlung bereits festgesetzt, könne ein Angeklagter sich bei er Wahl seines Verteidigers danach orientieren, einen Verteidiger zu wählen, der ihn an dem bereits bestimmten Termin auch vertreten könne. Wegen der Einzelheiten der Begründung des angefochtenen Beschlusse wird im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Die hiergegen erhobene Beschwerde ist zulässig. Zwar unterliegt die nach § 213 Abs. 1 StPO dem Vorsitzenden überlassene Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung als der Urteilsfällung vorausgehende gerichtliche Entscheidung grundsätzlich nicht der Beschwerde (§ 305 Satz 1 StPO). Dies gilt jedoch nicht, wenn durch die Terminierung auch das Recht eines Angeklagten berührt ist, sich von einem Verteidiger oder einer Verteidigerin seines Vertrauens vertreten zu lassen (OLG Frankfurt am Main, 3 Ws 172/14, NStZ-RR 2014, 2500. Eine Beschwerde kann dann darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Vorsitzenden — unter anderem wegen fehlerhafter Ausübung seines Ermessens - rechtswidrig ist; der Hauptverhandlungstermin ist in diesen Fällen durch das Beschwerdegericht aufzuheben. (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 213 StPO, Randnummer 8).

Der Beschwerde ist in der Sache der Erfolg nicht zu versagen.

Die Terminierung nach § 213 Abs. 1 StPO unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, unter anderem die Terminplanung des Gerichts, die Gesamtbelastung des Spruchkörpers, das Gebots der Verfahrensbeschleunigung, die rechtzeitige Stellung eines Verlegungsgesuchs sowie die berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten, namentlich das Interesses eines Angeklagten an effektiven Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens sowie die Zumutbarkeit der Wahrnehmung des Termins gegebenenfalls auch ohne Verteidiger unter Berücksichtigung der rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeit und der Bedeutung der Sache (OLG Frankfurt am Main , a.a.O.).

Der angefochtene Beschluss lässt eine diesbezügliche Ermessensausübung vermissen. Gleiches gilt für den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 04.06.2018 <369R>, der lediglich darauf verweist, dass die Sache bei Wechsel in das Steuerdezernat bereits terminiert gewesen sei.

Soweit das Amtsgericht den Angeklagten in der Begründung des Beschlusses unter „Berücksichtigung" des Grundsatzes eines „fairen Verfahrens" lediglich darauf verweist, dass er sich bei der Wahl eines (neuen) Verteidigers hätte daran orientieren können (müssen), einen Verteidiger zu wählen, der ihn an dem bereits bestimmten neuen Hauptverhandlungstermin auch vertreten kann, bestehen bei Berücksichtigung des dargestellten Verfahrensganges zudem durchgreifende Bedenken an einem fairen Verfahren. Nachdem das Amtsgericht nämlich zunächst die eigene Geschäftsverteilung versehentlich nicht berücksichtigt und sodann die Nichtzustellbarkeit der darauf erfolgten Abladung des Angeklagten übersehen und mit Verfügung vom 05.04.2018 die Ladung zum neuen Termin am 07.06.2018 unter einer erkennbar nicht ladungsfähigen Anschrift verfügt hatte, wurde weiter auch die Einwohnermeldeauskunft vom 24.04.2018, aus der sich die neue ladungsfähige Anschrift des Angeklagten ergab, nicht zur Kenntnis genommen, weswegen die Ladung des Angeklagten letztlich nicht zeitnah Ende April 2018, sondern erst am 25.05.2018, einem Freitag, erfolgt ist. Zwischenzeitlich hatte der bisherige Verteidiger des Angeklagten am 16.05.2018 ohne Angabe und Ermittlung der Gründe hierfür mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidigt. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war es dem Angeklagten nicht zuzumuten, sich kurzfristig einen weiteren (dritten) Verteidiger seines Vertrauens zu suchen, nachdem er unverzüglich bereits am Montag, den 28.05.2018, seinen aktuellen Wahlverteidiger beauftragt hatte, der sodann seinerseits umgehend am 30.05.2018 seine Verhinderung am 07.06.2018 glaubhaft gemacht und um Terminverlegung und Aktensicht gebeten hat. Im Hinblick auf den erhobenen Vorwurf, gemeinschaftlich handelnd in 8 Fällen „als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben" und „als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben" sowie in 5 weiteren Fällen die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch Steuern verkürzt zu haben, war es dem Angeklagte schließlich auch nicht zumutbar, die Hauptverhandlung ohne einen Verteidiger wahrzunehmen.


Einsender: RA M. Zipper, Schwetzingen

Anmerkung:


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