Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 07.06.2018 - 20 Ws 42/18
Leitsatz: Zum Gegenstandswert anwaltlicher Tätigkeit im Beschwerdeverfahren zur Abwendung/Aufhebung von Vermögensarrest, wenn der Wert der gepfändeten Gegenstände und Forderungen hinter dem Arresthöchstbetrag zurückbleibt und weitere Sicherungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben.
In pp.
1. Der Gegenstandswert für das Verfahren über die Beschwerde des Angeschuldigten vom 28.12.2017 gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 30.03.2016 wird unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags mit
951.262,83
(neunhunderteinundfünfzigtausendzweihundertzweiundsechzig 83/100 EUR)
festgesetzt.
2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).
Gründe
I.
Das Amtsgericht Rostock hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Rostock mit Beschluss vom 26.08.2014 - 34 Gs 1514/14 - zur Sicherung der dem Verletzten aus den Straftaten erwachsenen steuerrechtlichen Ansprüche oder des staatlichen Anspruchs auf Verfall des Wertersatzes den dinglichen Arrest in Höhe von 22.427.626,60 in das Gesellschaftsvermögen der O. T. R. GmbH angeordnet.
In Vollziehung des Arrestes wurden durch die Staatsanwaltschaft Rostock nachfolgend Bargeld in Höhe von 14.250 , zwei Bankguthaben im Gesamtbetrag von 3.437,30 sowie etwaige Ansprüche des Angeschuldigten gegen das Hauptzollamt Stralsund auf Rückzahlung einbezahlter Geldbeträge und gegen die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Hamburg auf Rückzahlung einer in anderer Sache geleisteten Kaution in Höhe von insgesamt 923.575,53 gepfändet. Weiterhin wurden zwei Rolex-Armbanduhren des Angeschuldigten mit unbekanntem Zeitwert arrestiert. Schließlich wurden der alleinige Gesellschaftsanteil des Angeschuldigten an der O. L. GmbH nebst seiner Ansprüche gegen die Gesellschaft auf Gewinnbeteiligung und Vergütung gepfändet, die sich jedoch nach telefonischer Auskunft der Staatsanwaltschaft Rostock vom 07.06.2018 nicht als werthaltig erwiesen haben (vgl. zu den Einzelheiten die Aufstellung auf S. 79 f. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Rostock vom 10.04.2015 sowie die schriftliche Auskunft des dortigen Rechtspflegers vom 07.06.2018; Bd VII, Bl. 143 d.A.).
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten im Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.12.2017 gegen den die beantragte Aufhebung des dinglichen Arrestes ablehnenden Beschluss des Landgerichts Rostock vom 30.03.2016 hat der Senat mit Beschluss vom 12.04.2018 sowohl die Entscheidung des Landgerichts wie auch die Arrestanordnung des Amtsgerichts aufgehoben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Rechtsmittelführers der Staatskasse auferlegt.
Die Staatsanwaltschaft Rostock hat daraufhin sämtliche in Vollziehung des Arrestes erfolgten Pfändungen aufgehoben.
Mit Schreiben vom 26.04.2018 hat der auch im Beschwerdeverfahren für den Angeschuldigten tätig gewesene Vollverteidiger beim Landgericht Rostock nach § 33 Abs. 1 RVG beantragt, den Gegenstandswert für dieses Verfahren auf 22.427.626,60 festzusetzen. Dem ist die dortige Bezirksrevisorin mit Stellungnahme vom 11.05.2018 entgegengetreten. Sie hält unter Bezugnahme auf von ihr zitierte Rechtsprechung lediglich einen Gegenstandswert in Höhe von einem Drittel des in der Arrestanordnung genannten Betrages für berechtigt und sieht im Übrigen die Zuständigkeit für die Festsetzung beim Oberlandesgericht. Die Strafkammer hat die Vorgänge deshalb dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Der Verteidiger hält mit Schreiben vom 22.05.2018 hinsichtlich der Höhe des Gegenstandswertes an seinem Antrag fest, sieht die Entscheidungszuständigkeit jedoch ebenfalls beim Beschwerdegericht.
II.
1. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren ist nach § 33 Abs. 1 RVG zulässig.
Das Rechtsmittelverfahren ist mit dem Senatsbeschluss vom 12.04.2018 mit der Folge abgeschlossen, dass der Rechtsanwalt seine insoweit entstandenen Gebühren geltend machen kann (§ 8 Abs. 1 Satz 2 RVG).
Nachdem für das Beschwerdeverfahren keine Gerichtsgebühr entstanden ist, liegen die Voraussetzungen für eine Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG vor.
Zuständig für das Festsetzungsverfahren ist das Gericht desjenigen Rechtszuges, in dem die Rechtsanwaltsgebühr entstanden ist, vorliegend mithin das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht (§ 33 Abs. 1 RVG). Dort entscheidet grundsätzlich der Einzelrichter (§ 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Gründe für eine Übertragung des Verfahrens auf den gesamten Senat waren nicht erkennbar (§ 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2. Angefallen ist die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG in der ab dem 01.07.2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl. I 2017, S. 872), denn die Arrestanordnung ist seinerzeit nicht allein zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe ergangen, sondern auch zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz. Dieser dingliche Arrest dauerte nach der Übergangsbestimmung in Art. 316h Satz 1 EGStGB ab Inkrafttreten der Neuregelungen zur Reform der Vermögensabschöpfung am 01.07.2017 gemäß § 111e Abs. 1, Abs. 4, § 111j Abs. 1 StPO n.F., § 73 Abs. 1, §§ 73c, 73d StGB n.F. als Vermögensarrest fort (vgl. Senatsbeschluss in dieser Sache vom 12.04.2018). Auch bei diesem handelt es sich um eine auf die spätere Einziehung abzielende Beschlagnahme im Sinne von Nr. 4142 Abs. 1 VV RVG. Dieser Gebührentatbestand betrifft auch sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Rahmen von vorläufigen Maßnahmen, die dem Zweck dienen, dem Betroffenen die gesicherten Vermögenswerte später endgültig zu entziehen und es dadurch bei ihm zu einem dauerhaften Vermögensverlust kommen zu lassen (BGH, Beschluss vom 08. März 2018 - 3 StR 163/15 -, Rdz. 5 in juris m.w.N.; OLG Frankfurt, Urteil vom 11. Mai 2017 - 1 U 203/17 -, Rn. 53, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 07. November 2017 - 1 Ws 143/17 -, juris; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., VV 4142, Rn. 6; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage, Nr. 4142 VV Rn. 5, S. 1105).
Die Gebühr ist für das erstinstanzliche Verfahren einschließlich des Vorverfahrens entstanden (Nr. 4142 Abs. 3 VV RVG) und auch nicht nach Nr. 4142 Abs. 2 VV RVG ausgeschlossen, weil der Gegenstandswert die Grenze von 30 übersteigt.
3. Abweichend vom Antrag des Rechtsanwalts und der Zuschrift der Bezirksrevisorin beim Landgericht Rostock setzt der Senat den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren mit 951.262,83 fest.
Dieser Betrag entspricht der Summe der aufgrund der Arrestanordnung gepfändeten Bargeldbeträge, Bankguthaben und möglichen Forderungen des Angeschuldigten gegen das Hauptzollamt Stralsund und die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Hamburg auf Rückzahlung einbezahlter Geldbeträge und des vom Senat mit jeweils 5.000 geschätzten Zeitwerts der beiden Rolex-Armbanduhren. Dem weitergehenden Antrag war nicht zu folgen.
a) Der Gegenstandswert für die Tätigkeit des Verteidigers in diesem Beschwerdeverfahren bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Angeschuldigten an der Aufhebung der Arrestanordnung als Voraussetzung dafür, die daraufhin tatsächlich gesicherten Vermögenswerte wieder zur eigenen Verfügung zu erhalten. Der Gegenstandswert ergibt sich dagegen nicht aus der bloßen Möglichkeit, dass noch (weitere) Wertgegenstände/Forderungen bis zum Höchstbetrag der Arrestanordnung der Einziehung unterliegen könnten (so im Ergebnis auch OLG Frankfurt a.a.O., Rdz. 55 ff. in juris), jedenfalls dann nicht, wenn - wie hier - bis zur Aufhebung der Arrestanordnung nicht erkennbar war, dass es zu weiteren Pfändungen hätte kommen können. Soweit das Interesse des Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren deshalb vorliegend auch darauf gerichtet gewesen sein sollte, die Anordnung des dinglichen Arrests über einen Betrag von knapp 22,5 Mio. zu beseitigen, um künftige Pfändungen bis zu diesem Höchstbetrag zu verhindern, misst der Senat dem angesichts der Tatsache, dass seit dem Erlass der Anordnung im August 2014 keine über die bisher erfolgten Pfändungen hinausgehenden Vermögenswerte des Angeschuldigten festgestellt werden konnten, die Arrestanordnung sich also insoweit als nicht werthaltig erwiesen hat, dem überschießenden Arrestbetrag keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert bei.
Gleiches gilt für den gepfändeten alleinigen Gesellschaftsanteil des Angeschuldigten an der O. L. GmbH nebst seiner Ansprüche gegen die Gesellschaft auf Gewinnbeteiligung und Vergütung, die sich bis zuletzt ebenfalls als nicht werthaltig erwiesen haben.
Sinn und Zweck der Nr. 4142 VV RVG ist es, eine Anwaltsvergütung auch für solche Tätigkeiten zu erhalten, die sich auf die Bewahrung des Eigentums des Mandanten richten (vgl. Kotz/BeckOK-RVG, 35. Ed. (15.7.2015), VV 4142 RVG Rn. 1). Dementsprechend bestimmt sich der Gegenstandswert für diese Gebühr auch nach der ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung und Auffassung allein nach dem objektiven Wert der betroffenen Gegenstände bzw. Forderungen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.11.2006 - 2 Ws 137/06; KG, Urt. v. 18.7.2005 - 5 Ws 256/05, JurBüro 2005, 531; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2008 - 3 Ws 323/07, wistra 2008, 160; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 - 1 Ws 212/13, NStZ-RR 2014 - 360; Burhoff in Gerold/Schmidt a.a.O. Rn. 19; Burhoff/Volpert a.a.O, Rdz. 29 m.w.N.; Hartung/Strauß/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, VV 4142 Rn. 16; Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG 10. Aufl. 2015, Rn. 11; Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Nr. 4141-4147 VV, Rn 18). Auch der von der Verteidigung für ihre Gegenauffassung zitierte Aufsatz von Burhoff (StraFo 2018, 144), der auf das bereits erwähnte Urteil des OLG Frankfurt vom 11.05.2017 verweist, gibt dafür gerade nichts her.
Soweit teilweise von der Rechtsprechung, der Literatur und vorliegend auch von der Bezirksrevisorin für die Vergütung aus Nr. 4142 VV RVG der Gegenstandswert des Arrestes mit einem Drittel des zu sichernden Hauptanspruchs angenommen wird (OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2008 - 3 Ws 560/07, OLG München, Beschl. v. 16.8.2010 - 4 Ws 114/10 (K); OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 - 1 Ws 212/13; Riedel/Sußbauer/Kremer, a.a.O., Rn. 15), beruht dies jeweils ohne eingehendere Begründung auf einer Übertragung der Grundsätze, die im Zivilrecht für die Wertfestsetzung im Arrestverfahren entwickelt wurden.
Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem zuvor erwähnten Urteil des OLG Frankfurt vom 11. Mai 2017 nicht. Die Streitwertfestsetzung im zivilrechtlichen Arrestverfahren beruht darauf, dass sich eine Partei einer Geldforderung berühmt und deren Zwangsvollstreckung sichern möchte (§ 916 Abs. 1 ZPO). Danach ist die obere Grenze bei der Sicherung einer Geldforderung deren Betrag, wobei wegen der Vorläufigkeit der Regelung regelmäßig ein Abschlag auf ein Drittel dieses Betrages gemacht wird (vgl. nur Herget/Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 3 Rn. 16 "Arrestverfahren"). Der Hauptsachewert (hier: die Höhe der laut Arrestbeschluss zu sichernden Steuerforderung) kann nur angesetzt werden, wenn schon der Arrest zur vollständigen Befriedigung geführt hat, was hier bei Weitem nicht der Fall gewesen ist.
Ein Arrestanspruch war jedoch weder zum Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung noch nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung Voraussetzung für diese Maßnahme. Hierfür mussten und müssen weiterhin allein Gründe für die Annahme vorliegen, dass Maßnahmen nach den §§ 73a, 74c StGB a.F. bzw. nun nach § 73 Abs. 1, §§ 73c, 73d StGB n.F. verhängt werden. Auf § 916 Abs. 1 ZPO wird deshalb in § 111e StPO auch nicht verwiesen.
Auch der frühere Verweis in § 111d Abs. 2 StPO a.F. auf § 917 ZPO (Arrestgrund bei dinglichem Arrest), mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, ist durch die Neuregelung in § 111e Abs. 1 StPO n. F. entfallen, womit jedoch das bisherige Erfordernis eines Arrestgrundes und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht tangiert werden sollen (BT-Drucks. 18/9525 S. 49). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll somit nach der ab 1. Juli 2017 geltenden Regelung der Vermögensarrest wie bisher nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung der Einziehung erforderlich ist.
Aus der Formulierung in § 111e Abs. 1 StPO ergibt sich also nur ein finales Element zur Sicherung der Vollstreckung. Der Vermögensarrest muss der Sicherung der Vollstreckung dienen. Eine Notwendigkeit des Arrestes für die Sicherung der Vollstreckung, dass also die Vollstreckung ohne den Arrest gefährdet sein muss, gibt der Wortlaut indes nicht (mehr) vor (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 1 Ws 163/17 -, Rdz. 15 f. in juris).
Soweit die seinerzeit antragstellende Staatsanwaltschaft die zu sichernde Steuerforderung durch Bezifferung konkretisiert hat, handelte es sich hierbei lediglich um eine notwendig vorläufige Annahme, die von dem jeweiligen Stand der Ermittlungen und Erkenntnisse abhängt.
Im Ergebnis dessen hat der den Gesamtbetrag der tatsächlich erfolgten - werthaltigen - Pfändungen übersteigende Arrestbetrag bei der Bestimmung des Gegenstandswerts unberücksichtigt zu bleiben (jeweils offengelassen in BGH, Beschlüsse vom 30.04.2014 - 1 StR 53/13 -, Rdz. 3 in juris; vom 07.10.2014 - 1 StR 166/07 -, Rdz. 4 in juris; vom 24. Februar 2015 - 1 StR 245/09 -, Rdz. 7 in juris und vom 30.04.2014 - 1 StR 245/09 Rdz. 3 in juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. März 2009 - 5 StR 225/06 -, juris).
III.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Festsetzung des Gegenstandswertes auch für das nachfolgende Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO bindend ist.
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