Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 19.04.2018 - 4 Qs 72/18
Leitsatz: Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO nicht.
LG Braunschweig
Beschluss
4 Qs 72/18
In der Strafsache gegen pp.
Verteidiger:
wegen DNA-Identitätsfeststellung
hat das Landgericht Braunschweig durch die unterzeichnenden Richter am 19.04.2018 beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 15.03.2018 (Az. 7 Gs 2646/17) wird aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover vom 05.12.2017 wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 22.01.2018 (Az. 4 Ds 8511 Js 45678/17) wurde der Beschwerdeführer wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen des seit dem 30.01.2018 rechtskräftigen Urteils Bezug genommen.
Das Amtsgericht Braunschweig hörte den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 09.02.2018 zur Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekulargenetischer Untersuchung an, nachdem entsprechende Maßnahmen durch die Staatsanwaltschaft Hannover mit Antrag vom 05.12.2017 beantragt worden waren. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.02.2018 widersprach der Beschwerdeführer entsprechenden Maßnahmen.
Das Amtsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 15.03.2018 (Az. 7 Gs 2646/17) angeordnet, dass dem Beschwerdeführer Körperzellen entnommen und diese zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden dürfen.
Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.03.2018, eingegangen beim Amtsgericht Braunschweig am gleichen Tag, Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass allein das Vorliegen einer bloß abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g Abs. 1 StPO nicht ausreiche. Weder aus der Art und Ausführung der rechtskräftig abgeurteilten Anlasstat, der Persönlichkeit des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Erkenntnissen bestünden hinreichende Gründe für die Annahme, dass gegen ihn künftige Strafverfahren zu führen sein werden, bei denen er körperlich auf andere Personen einwirken und so typischerweise DNA-Spuren hinterlassen würde, so dass sein DNA-Identifizierungsmuster einen tatsächlichen Aufklärungsansatz bieten könnte. Insbesondere sei nicht der Schluss gerechtfertigt, dass es zu sog. hands-on-Delikten kommen könnte. Im Übrigen wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache über die Staatsanwaltschaft Hannover dem Landgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat die Verwerfung der Beschwerde beantragt. Sie hat ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht nur wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften, sondern auch wegen deren aktiver Verbreitung verurteilt worden sei.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung nach § 81g Abs. 1 und 4 StPO liegen nicht vor.
Nach § 81g Abs. 1 und 4 StPO dürfen einem wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig Verurteilten (Anlasstat) zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie das Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftige Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden (Wiederholungsgefahr). Hinzutreten muss, dass das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz für einen Spurenabgleich bezüglich der Straftat von erheblicher Bedeutung bieten muss (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 14.12.2000 - 2 BvR 1741/99).
Eine Anlasstat besteht, da der Beschwerdeführer wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig verurteilt wurde. Er wurde durch das Amtsgericht Braunschweig mit Urteil vom 22.01.2018, rechtskräftig seit dem 30.01.2018, wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies zieht die Beschwerde auch nicht in Zweifel.
Es fehlt - jedenfalls derzeit - an der erforderlichen Negativprognose für die Annahme von Wiederholungsgefahr.
Die Prognoseentscheidung muss sich dabei mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen. Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht. Dementsprechend genügt die bloße kriminalistische Erfahrung, dass bei Personen, die geneigt sind, sich aus sexueller Motivation kinderpornographische Bilder zu beschaffen und zu betrachten, nicht, auch wenn bei diesen Personen grundsätzlich von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit künftiger gleich gelagerter Straftaten auszugehen ist (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 - 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 - 3 Qs 152/11). Zudem enthält das Urteil keine Feststellungen dazu, aus welcher Motivation heraus sich der Beschwerdeführer kinderpornographische Schriften verschafft und verbreitet hat.
Ferner genügt allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer (auch) wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist, nicht, um eine Negativprognose zu begründen (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 - 30 Qs 16/13).
Erforderlich ist das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände. Hierfür genügt die (allgemeine) Verbreitung kinderpornographischer Schriften noch nicht. Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Braunschweig vom 22.01.2018 kinderpornographischer Schriften über einen Chat-Dienst im Internet eingestellt, sodass eine Vielzahl anderer Nutzer dieses Dienstes darauf Zugriff nehmen konnten. Einen unmittelbaren Kontakt zu Kindem oder Jugendlichen in Bezug auf die Taten, wegen derer er verurteilt wurde, gab es nicht.
Solches könnte hingegen ein besonderer Umstand in obigem Sinne sein (siehe auch LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 - 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.201 1 - 3 Qs 152/11).
Zwar weist die Staatsanwaltschaft Hannover zutreffend darauf hin, dass das Verbreiten kinderpornographischer Schriften eine größere kriminelle Energie erfordert als das bloße Besitzen derselben. Aus den im vorangehenden Absatz dargelegten Gründen reicht dies jedoch für die Anordnung von Maßnahmen nach § 81g StPO nicht aus.
Weder aus der Art und Ausführung der bisher bekannten Anlasstaten, der Persönlichkeit des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Erkenntnissen bestehen hinreichende Gründe für die Annahme, dass gegen ihn künftige Strafverfahren zu führen sein werden, bei denen er körperlich auf andere Personen einwirken und so typischerweise DNA-Spuren hinterlassen wird, sodass sein DNA-Identifizierungsmuster in künftigen Ermittlungsverfahren einen Aufklärungsansatz bieten könnte. Die Straftaten, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, wurden mithilfe seines Computers begangen, ohne dass er dazu unmittelbar physischen Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen aufgenommen hat. Bei Straftaten, die auf diese Weise begangen werden, können gespeicherte DNA-Muster nicht zu einem Ermittlungsansatz führen, weil sich das DNA-Material nur an dem Computer finden ließe (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 - 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 - 3 Qs 152/11).
Es fehlt schließlich an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Beschwerdeführer künftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird, bei denen er DNA-Material hinterlassen wird. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils war der Beschwerdeführer vor der Verurteilung strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Weiter ist dem Beschwerdeführer eine positive Sozialprognose gestellt worden, da die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gründe, die nunmehr eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.
Einsender: RA K. Hertweck, Braunschweig
Anmerkung:
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