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Entscheidungen

StPO

Selbstleseverfahren, Verfahrensrüge, Anforderungen, Beanstandungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2017 - 1 Ss 174/17

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen die Vorschriften über das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO).


1 Ss 174/17
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges in zwei Fällen

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt auf die Sprungrevision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Gießen vom
22.02.2017 durch die Richter am Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig am 20.12.2017 beschlossen:

I. Auf die Sprungrevision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Gießen vom 22.02.2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zu zuordnenden Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

II.Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gießen zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht – Strafrichter – Gießen hat die Angeklagte am 22.02.2017 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 135 Tagessätzen zu je 35, EUR verurteilt.

Mit ihrer zulässigen Sprungrevision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a.M. hat am 25.09.2017 beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Revision der Angeklagten (§§ 333, 335, 341 Abs. 1, 344 Abs. 1, 345 StPO) hat in der Sache einen (zumindest vorläufigen) Teilerfolg, soweit sie sich gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet.

1. Das Urteil ist nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

a) Soweit eine Verletzung von § 249 Abs. 2 StPO gerügt wird, ist dies unzulässig, da keine vorherige Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erfolgte.

Für eine Beanstandung der Anordnung des Selbstleseverfahrens ist ein vorheriger Widerspruch nach § 249 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlich. Soweit die Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens betroffen ist, hat grundsätzlich eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO zu erfolgen (BGH NStZ 2011, 300 f.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 249 Rn. 32). Zur Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens gehört auch die faktische Nichtdurchführung des Verfahrens nach vorheriger Anordnung. Das Gericht muss den Prozessbeteiligten Gelegenheit zur Selbstlesung geben (Meyer Goßner/Schmitt a.a.O., § 249 Rn. 23). Damit wird diese Gelegenheit Teil des durchzuführenden Verfahrens. Wird eine solche Gelegenheit nicht gewährt, so ist die Art der Durchführung des Verfahrens betroffen.

b) Zwar wurde vorliegend keine Gelegenheit zur Selbstlesung gewährt, aber dies wurde auch nicht nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet, weshalb die Revision nicht hierauf gestützt werden kann.

2. Es liegt auch kein Darstellungsmangel vor. Die nach § 267 Abs. 3 S.1 StPO zu bezeichnenden Umstände wurden dargelegt.

a) Die Prüfung des Revisionsgerichts auf die Sachrüge beschränkt sich nicht darauf, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet worden ist. Vielmehr prüft es auch, ob die Urteilsfeststellungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für diese Prüfung bieten. Dieser Maßstab ist ebenfalls zu Grunde zu legen, so weit Rügen die tatrichterliche Beweiswürdigung betreffen. Demnach hat eine Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen zu erfolgen, wobei dies nicht bedeutet, dass in den Urteilsgründen stets in allen Einzelheiten dar zulegen ist, auf welche Weise der Richter zu bestimmten Feststellungen gelangt ist (Meyer Goßner/Schmitt a.a.O., § 267 Rn. 12).

Grundlage dieser Prüfung ist nur die Urteilsurkunde. Der Akteninhalt ist nicht zu berücksichtigen (Meyer Goßner/Schmitt a.a.O., § 337 Rn. 22 f.).

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Darstellungsmangel nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht mit Erfolg gerügt werden, das Urteil enthalte einen Widerspruch, weil das Gericht Teile der Einlassung der Angeklagten als Schutzbehauptung bewerte. Eine solche Bewertung ist das Resultat einer aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung des Gerichts. Dies ist nicht vom Revisionsgericht zu überprüfen. Zudem folgt hieraus auch kein Widerspruch, denn auch die von der Angeklagten zitierten Passagen des Urteils (UA S. 3 f.) zeigen eine in sich schlüssige Begründung zu einer Schutzbehauptung durch das Gericht auf. So wird dargestellt, dass die Angeklagte wusste, dass ihr die übertragenen Vermögenswerte zuzurechnen sind und sie zudem fähig war, dies auch intellektuell bei Antragsstellung festzustellen. Diese Darstellung berücksichtigt sowohl die innere als auch die äußere Tatseite und würdigt die Einlassung der Angeklagten im Rahmen einer Gesamtwürdigung. Dem steht auch nicht entgegen, dass nicht explizit das Merkmal der Rechtsmissbräuchlichkeit des Handelns erörtert wird, denn nach Maßgabe der auf gezeigten Grundsätze würde dies zu einer unzulässigen Ausweitung der Anforderungen an eine widerspruchsfreie Darstellung der Beweiswürdigung führen.

3. Der Schuldspruch ist frei von sachlichrechtlichen Beanstandungen.

Die Annahme einer fortgesetzten Handlung und damit die Anwendung von § 52 StGB kommt nur noch in Ausnahmefällen in Betracht (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, Vor § 52 Rn. 48). Voraussetzung ist, dass ihre Annahme „zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich“ (BGH NJW 1994, 1663) ist.

Eine solche Ausnahme begründet der vorliegende Fall nicht. Die jeweiligen Handlungen sind nicht derart miteinander verbunden, dass nur eine Betrachtung nach § 52 StGB das Unrecht vollständig erfassen würde. Vielmehr spricht schon der zeitliche Abstand zwischen den Handlungen für die Anwendbarkeit von § 53 StGB.

4. Das Urteil des Amtsgerichts leidet jedoch im Strafausspruch bei der Anwendung des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB an einem sachlichrechtlichen Mangel, der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der diesem zuzuordnenden Feststellungen nötigt.

a) Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aber auf die Sachrüge zu überprüfen, ob dem Tatrichter bei dieser Entscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind. Eine erschöpfende Darstellung aller Strafzumessungserwägungen durch den Tatrichter ist nicht erforderlich.

Ein solcher Fehler liegt aber unter anderem dann vor, wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt. Insbesondere sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben der Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu berücksichtigen.

b) Eine Abwägung, die den Anforderungen an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gerecht wird, liegt hier nicht vor.

Das Amtsgericht berücksichtigt vorliegend insbesondere den hohen Schaden einerseits und die geständige Einlassung sowie die Schadenswiedergutmachung andererseits. Vor diesem Hintergrund fehlt die Auseinandersetzung mit einem bestimmenden Strafzumessungsgrund, nämlich den Auswirkungen einer Verurteilung auf das Leben der Angeklagten.

Nach den zugrundeliegenden Feststellungen studierte die Angeklagte im Zeitpunkt der Verurteilung Humanmedizin im 7. Semester.

Nach §§ 4 Nr. 1, 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 5a BZRG ist eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen in ein Führungszeugnis aufzunehmen. Zur Erlangungen der ärztlichen Approbation und auch im Rahmen von Bewerbungen für Arbeitsstellen wird i.d.R. ein Führungszeugnis gefordert. Eine Verurteilung kann vor diesem Hintergrund gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 Bundesärzteordnung (BÄO) erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs haben und sich zudem auf Chancen eines Bewerbers am Arbeitsmarkt auswirken (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.08.2006 – 2 St OLG Ss 191/06, StV 2006, 695).

Diese Erwägungen stehen einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen nicht grundsätzlich entgegen. Sie haben aber im vorliegenden Einzelfall Beachtung zu erfahren, um nicht eine Entsozialisierung der Angeklagten herbeizuführen (vgl. Fischer aaO., § 46 Rn. 7). Eine Auseinandersetzung mit diesen Strafzumessungsgründen lässt das Urteil jedoch gänzlich missen.

III.
Wegen des aufgezeigten Mangels (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zuzuordnenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO), da es sich nicht um einen reinen Wertungsfehler handelt. Die weitergehende Revision ist als unbegründet zu verwerfen.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gießen zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.


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