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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vermögensabschöpfung, neues Recht, Rückwirkung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kaiserslautern, Beschl. v. 20.09.2017 - 7 KLs 6052 Js 8343/16 (3)

Leitsatz: 1. Im Falle einer erstinstanzlichen Verurteilung vor dem 1. Juli 2017, die keine Entscheidung über eine Vermögensabschöpfung nach §§ 73 ff. StGB a.F. enthält und gegen die nur der Angeklagte in Revision gegangen ist, steht bei einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Anordnung der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB n F. entgegen (Fortentwicklung von BGH, Beschlüsse vom 28. April 2015, 3 StR 101/15 und vom 15. Mai 1990, 1 StR 182/90).
2. Die in Art. 316h Satz 1 EGStGB angeordnete rückwirkende Anwendbarkeit der neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK.
3. Art. 316h Satz 2 EGStGB ist dahingehend auszulegen, dass jedenfalls eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalles oder des Verfalles von Wertersatz im dortigen Sinne auch dann vorliegt, wenn das vor dem 1. Juli 2017 ergangene Urteil hierzu weder positiv noch negativ eine explizite Entscheidung getroffen hat.


In pp.
1. Der durch Urteil der 2. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Kaiserslautern vom 12.05.2016 in Verbindung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.03.2017 rechtskräftig des Betruges schuldig gesprochene Angeklagte wird unter Einbeziehung der Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 06.06.2014 (Az.: 43 Cs 55 Js 15000/14) und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
2. Gemäß der durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.03.2017 unberührt gebliebenen Ziffer 2 des Tenors des Urteils der 2. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Kaiserslautern vom 12.05.2016 gelten von der Gesamtfreiheitsstrafe zur Entschädigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung 4 Monate als vollstreckt.
3. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung von 90.250 € wird zurückgewiesen.
4. Die im ersten Rechtsgang entstandenen Kosten des Verfahrens und seine diesbezüglichen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen. Von den in der Revision und danach entstandenen Kosten des Verfahrens und den diesbezüglichen notwendigen Auslagen des Angeklagten haben dieser und die Staatskasse je die Hälfte zu tragen.
Angewendete Vorschriften:
§§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 52, 55, 56 StGB
Gründe
I.
1
Die 2. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Kaiserslautern verurteilte den Angeklagten am 12.05.2016 wegen Betruges unter Auflösung der im Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 06.06.2014 (Az.: 43 Cs 55 Js 15000/14) gebildeten Gesamtgeldstrafe und unter Einbeziehung der Einzelgeldstrafen aus selbigem zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten. Gegen jenes Urteil hat allein der Angeklagte Revision eingelegt. Mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.03.2017 hob dieser das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Einzelstrafe, die Gesamtstrafe und die Anrechnung erbrachter Zahlungen auf und verwies bei gleichzeitiger Verwerfung der weitergehenden Revision die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kaiserslautern zurück.
II.
2
…(Persönliche Verhältnisse)…
III.
3
…(Feststellungen)…
IV.
4
…(Beweiswürdigung)…
V.
5
Der Angeklagte hat sich aufgrund des im Schuldspruch rechtskräftigen Urteils der 2. Strafkammer des Betruges schuldig gemacht, indem er unter Vorspiegelung falscher Gewinnversprechen Gelder des K. e.V. von dem als Vorstand - hier irrtumsbedingt - handelnden ehemaligen Mitangeklagten R. in Höhe von 180.500 € entgegennahm und sie entgegen der vertraglichen Zusicherung nicht für eine Kapitalanlage in Form eines Aktienkaufes einsetzte, sondern wie von Anfang an beabsichtigt die Hälfte der Gelder für private Zwecke verwendete.
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Der Angeklagte handelte dabei auch gewerbsmäßig. Er wollte sich mit der Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen. In seiner Einlassung hat der Angeklagte eingeräumt, dass er die nicht an Re. weitergegebenen 90.250 € dazu nutzte, Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden, eigene Verbindlichkeiten zu bedienen und seinen allgemeinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
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Soweit er die Hälfte des Geldes an den weiteren Beteiligten Re. weitergab, kann letztendlich offenbleiben, ob ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB vorliegt. Jedenfalls fehlt dem Angeklagten insoweit der erforderliche Vorsatz sowie die Bereicherungsabsicht, da der Angeklagte davon ausging, dass er in eine werthaltige Gesellschaft investiere und aus dem investierten Geld die versprochene Rückzahlung nebst Rendite an den K. e.V. würde erbringen können.
VI.
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Bei der Strafzumessung war hinsichtlich des Betruges von dem Strafrahmen gemäß § 263 Abs. 1 und 3 Satz 1 StGB auszugehen, welcher eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Aufgrund des gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten sind die Voraussetzungen für die Annahme eines besonders schweren Falles gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB erfüllt.
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Die Kammer hat erwogen, ob im vorliegenden Fall eine Ausnahme vom Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB anzunehmen ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da die vom Angeklagten gezeigte hohe kriminelle Energie sowie die Höhe des allein für eigene Zwecke verbrauchten Geldes von über 90.000 € hier keinen Ausnahmefall erkennen lassen.
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Zu Gunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass das Verfahren von der Durchsuchung im Jahr 2009 bis zum Erlass des Urteils der 2. Strafkammer im Jahr 2016 bereits rund 7 Jahre und - nach zwischenzeitlicher Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof - bis zum aktuellen Urteil ein weiteres Jahr gedauert hat, sodass insgesamt eine lange Verfahrensdauer anzunehmen ist. Die beim Angeklagten vorgenommene Durchsuchung und die damit einhergehenden Belastungen waren ebenso zu seinen Gunsten zu werten wie der Umstand, dass mangels Kontrolle des Verbleibs bzw. der Verwendung des vom Zeugen R. übergebenen Geldes die Tat sehr begünstigt wurde.
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Ferner war der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht vorbestraft, was sich ebenfalls für ihn günstig erweist. Soweit er zwischenzeitlich durch Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 06.06.2014 rechtskräftig zu einer Gesamtgeldstrafe von 720 Tagessätzen zu jeweils 40 € verurteilt wurde, ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass die dort abgeurteilten Taten Steuerhinterziehungen für das Veranlagungsjahr 2003 betreffen, womit festzustellen ist, dass der Angeklagte seit der hier verfahrensgegenständlichen Betrugstat nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Die vom Angeklagten im Verfahren vor der 2. Strafkammer abgegebene Einlassung zur Sache war wie seine geständige Einlassung vor dem erkennenden Gericht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.
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Zu seinen Lasten war zu berücksichtigen, dass es bei der hier abzuurteilenden Tat zu einem erheblichen Schaden gekommen ist, wobei sich der Angeklagte insgesamt in Höhe von 90.250 € direkt bereichert hat. Bislang ist es auch zu keiner - auch nur anteiligen - Schadenswiedergutmachung gekommen.
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Unter Abwägung sämtlicher für und gegen den Angeklagten streitender Umstände war für die hier abzuurteilende Tat eine Freiheitsstrafe von
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1 Jahr und 2 Monaten
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tat- und schuldangemessen.
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Unter Auflösung der im Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn verhängten Gesamtgeldstrafe war aus der vorbezeichneten Strafe und den Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl von 360 Tagessätzen für die Gewerbesteuerhinterziehung 2003, 240 Tagessätzen für die Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2003 zum eigenen Vorteil, 70 Tagessätzen für die Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2003 zum Vorteil des Mitgesellschafters H. , 280 Tagessätzen für die Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2003 zum Vorteil des Mitgesellschafters M. Re. und 200 Tagessätzen für die Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2003 zum Vorteil des Mitgesellschafters N. Re. gemäß § 55 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden.
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Der Umstand, dass der Angeklagte die im Strafbefehl verhängte Gesamtgeldstrafe bereits vollumfänglich bezahlt hat, versperrt hier nicht die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung.
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Wird - wie hier - vom Revisionsgericht eine Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache an das Tatgericht zurückverwiesen, so ist in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafenbildung nach Maßgabe des Vollstreckungsstandes zum Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen, weil dem Angeklagten weder ein erlangter Rechtsvorteil genommen noch er ungerechtfertigt bevorzugt werden darf (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 55, Rn. 6a und 37 mwN). Da die Gesamtgeldstrafe aus dem Strafbefehl erst nach dem 12.05.2016 vollständig gezahlt wurde, lagen im Zeitpunkt der Verurteilung durch die 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern die Voraussetzungen des § 55 StGB vor.
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Nach nochmaliger Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von
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2 Jahren
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für tat- und schuldangemessen.
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Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB sind vorliegend gegeben. Die hierfür erforderlichen besonderen Umstände liegen in der Person des Angeklagten vor.
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Zu Gunsten des Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass er im Zeitpunkt der Begehung der Tat nicht vorbestraft war. Soweit der Angeklagte in der Zwischenzeit durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist, betraf dies vor dem hier verfahrensgegenständlichen Betrug begangene Taten. Zudem ist zu Gunsten des Angeklagten zu werten, dass er den Strafbefehl zwischenzeitlich vollumfänglich bezahlt hat. Dies ist besonders vor dem Umstand bemerkenswert, dass der Angeklagte trotz seiner desolaten Einkommens- und Vermögenslage den Betrag von 28.800 € (720 Tagessätze á 40 €) aufgebracht hat.
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Ferner sind die Umstände der Tat als für den Angeklagten sprechende Aspekte zu berücksichtigen. Die weiteren Beteiligten haben es dem Angeklagten durch fehlende Kontrolle der Verwendung der eingesetzten Mittel leicht gemacht, den Schaden zu verursachen.
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Schließlich ist festzustellen, dass der Angeklagte in dem Sektor der Finanzdienstleistungen wohl bis zum Rentenalter nicht mehr wird arbeiten können, denn aufgrund des Strafbefehls des Amtsgerichts Heilbronn sowie des rechtskräftigen Schuldspruchs des vorliegenden Verfahrens liegen die Voraussetzungen, unter welchen dem Angeklagten eine gewerberechtliche Erlaubnis zur Vermittlung von Finanz-, Versicherungs- und ähnlichen Anlageprodukten im Sinne der §§ 34d ff. GewO erteilt werden könnten, wegen Unzuverlässigkeit gemäß § 35 GewO auf die Dauer der Eintragung der Strafen im Bundeszentralregister nicht vor.
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Dem Angeklagten ist zudem eine positive Sozialprognose zu stellen. Seine Lebensverhältnisse haben sich insgesamt stabilisiert. Insbesondere seine persönlichen/familiären Probleme, die zu einem zeitweiligen Auszug des Angeklagten aus der ehelichen Wohnung geführt haben, scheinen dauerhaft überwunden und der Angeklagte verfügt aufgrund des gemeinsamen Haushaltes mit seiner Frau und zweier seiner Kinder über ein weiter stabilisierendes persönliches Umfeld. Den Kontakt zu den im Zusammenhang mit der vorliegenden Tat beteiligten Personen hat er zwischenzeitlich abgebrochen. Aufgrund seiner Einlassung in der Hauptverhandlung sieht die Kammer beim Angeklagten echte Reue und Umkehr sowie die Übernahme von Verantwortung, die sich nicht zuletzt dadurch ausdrückte, dass er unumwunden einräumte, das von ihm behaltene Geld zur Deckung seines laufenden Lebensbedarfs eingesetzt zu haben. Insoweit ist auch zu konstatieren, dass seit den Jahren 2006 und 2007 der Angeklagte über einen Zeitraum von nunmehr knapp 10 Jahren strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Die Gefahr, dass er ohne Verbüßung einer Freiheitsstrafe weitere Straftaten begehen würde, ist aus Sicht der Kammer nicht gegeben.
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Bei der Gesamtabwägung aller Umstände sowie der Persönlichkeit des Angeklagten konnte damit die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, zumal keine Gründe vorliegen, die es zur Verteidigung der Rechtsordnung unumgänglich erscheinen lassen, von der Aussetzung zur Bewährung abzusehen.
VII.
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Aufgrund des insoweit rechtskräftigen Ausspruchs im Urteil der 2. Strafkammer ist dem Angeklagten eine Entschädigung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen zuerkannt worden, wonach 4 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt anzusehen sind.
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Gründe im Verfahren nach Erlass des Urteils der 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern, die eine Erhöhung dieser Kompensation oder die Zuerkennung einer eigenständigen Kompensation rechtfertigen würden, sind nicht gegeben, sodass es bei der Kompensation in der bereits ausgesprochenen Höhe verbleibt.
VIII.
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1. Einer - in der Hauptverhandlung von der Staatsanwaltschaft beantragten - Einziehung der 90.250 €, die der Angeklagte durch die Tat für sich selbst erlangt hat, steht bereits der Umfang der Teilrechtskraft des Urteils der 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 12.05.2016 entgegen. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 15.03.2017 die Sache auch nur im Umfang der Aufhebung (d. h. im Ausspruch über die Einzelstrafe und die Gesamtstrafe) zurückverwiesen.
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2. Auch ungeachtet des Umfangs der Teilrechtskraft des Urteils der 2. Strafkammer (dazu oben unter VIII. 1.) liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Vermögensabschöpfung hinsichtlich der vom Angeklagten selbst verbrauchten 90.250 € nicht vor, wobei letztlich offen bleiben kann, ob insoweit altes oder neues Recht anwendbar ist.
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a. Sollten die §§ 73 ff. StGB in ihrer Fassung vor der Änderung durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 anwendbar sein, scheitert die Anordnung einer Vermögensabschöpfung an verschiedenen Aspekten.
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aa. Eine Anordnung der Abschöpfung von Taterträgen nach § 73 ff. StGB scheitert im vorliegenden Fall an § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO. Im ersten Rechtsgang war der Angeklagte zwar verurteilt worden. Das Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern enthält aber keine Anordnung einer Einziehung oder eines Verfalls nach dem damals maßgeblichen Recht. Gegen jenes Urteil hat allein der Angeklagte Revision eingelegt.
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Für die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB vor der Änderung durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 hat der Bundesgerichtshof die Frage der Geltung des Verschlechterungsverbotes aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO ausdrücklich bejaht.
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Bezüglich des erweiterten Verfalles hat er ausgeführt, dass es sich bei dessen Anordnung um eine Rechtsfolge der Tat im Sinne des § 358 Abs. 2 StPO handelt. Die Anordnung eines erweiterten Verfalls in einem zweiten Rechtsgang nach erfolgreicher Revision eines Angeklagten, gegen den im ersten Rechtsgang kein erweiterter Verfall angeordnet worden sei, verstoße gegen das Verschlechterungsverbot (vgl. BGH, Beschluss vom 28.04.2015 - 3 StR 101/15, Rn. 2 f., zitiert nach juris). Dem hat sich das OLG Hamm für die Anordnung des Verfalles angeschlossen (Wistra 2008, 38).
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Selbiges hat der Bundesgerichtshof für die Anordnung der Einziehung angenommen (Beschluss vom 15.05.1990 - 1 StR 182/90, Rn. 7, zitiert nach juris).
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Wäre altes Recht anwendbar, läge damit ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vor, wenn die Kammer nunmehr auf eine Abschöpfungsmaßnahme erkennen würde.
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bb. Zudem hindert die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a. F. die Anordnung einer Einziehung im vorliegenden Fall, da dem K. e.V. bzw. dem früheren Mitangeklagten R. ein Ersatzanspruch auf Rückzahlung des überlassenen Geldes aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB, 249 ff. BGB bzw. §§ 826, 249 ff. BGB zusteht.
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b. Auch aus § 73 ff. StGB in ihrer Fassung nach der Änderung durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 ergibt sich hier nicht, dass eine Einziehung angeordnet werden dürfte.
40
aa. Die in Art. 316h Satz 1 EGStGB angeordnete grundsätzliche Anwendung der neuen Regelungen der Vermögensabschöpfung auch auf bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes begangene Straftaten verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK.
41
aaa. Bei der Einziehung im aktuellen Gewand dürfte es sich um eine Strafe im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK handeln.
42
Der Begriff der Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR autonom auszulegen und kann selbst bei präventiv wirkenden Maßnahmen angenommen werden (vgl. EGMR NJW 2017, 1007 ff. für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung). Auf die Bezeichnung einer Maßnahme durch den nationalen Gesetzgeber kommt es nicht entscheidend an.
43
Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung vom 09.02.1995 im Verfahren Welch ./. Vereinigtes Königreich (Az. 17440/90) bezüglich eines Strafcharakters einer Anordnung des Verfalls von Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit einer Straftat stehen, herangezogenen Kriterien (vgl. Rn. 24 und 30 bis 35 der vorgenannten Entscheidung, abrufbar in der amtlichen Fassung unter: https://hudoc.echr.coe.int/) lassen sich nach Auffassung der Kammer auf die vorliegende Situation übertragen. Auch wenn es sich nach den Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren bei den Maßnahmen gemäß §§ 73 ff. StGB n. F. nicht um Strafen im wörtlichen Sinne handeln soll, nimmt die Kammer im Hinblick auf die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Kriterien bezüglich der Einziehung neuen Rechts Strafqualität im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK an.
44
Die hier maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts sind zwar nicht identisch mit denjenigen, die der erwähnten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde lagen. Sie haben jedoch vergleichbare Wirkungen. Über die grundsätzlich obligatorische Insolvenzantragstellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO hat die Staatsanwaltschaft die Herrschaft über grundlegende finanzielle Dispositionen eines Verurteilten, wobei aufgrund von zwangsweise durchsetzbaren Mitwirkungspflichten eines Verurteilten und potentiellen Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren diesem weitere erhebliche Sanktionierungen drohen. Im Vergleich zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten der §§ 73 ff. StGB in ihrer aktuellen Fassung sieht sich der Angeklagte in Folge der Gesetzesänderung weitreichenderer Nachteile ausgesetzt, als er dem im Zeitpunkt der Begehung und Beendigung der Tat - aber auch im Zeitpunkt der Entscheidung der 2. Strafkammer im ersten Rechtsgang sowie des Revisionsgerichts - ausgesetzt war. Dies ist die im Wesentlichen gleiche Situation, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der erwähnten Entscheidung beschrieben hat. Da ein Täter nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers für eine begangene Tat nicht nur eine Strafe erhalten, sondern er vielmehr zusätzlich mit dem Verlust des erlangten Gutes zusätzlich sanktioniert werden soll, haben die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB n. F. bestrafenden Charakter im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
45
bbb. Dass die aktuelle Fassung der §§ 73 ff. StGB nach der Beendigung der Tat in Kraft getreten ist, bedarf angesichts des Inkrafttretens der Vorschriften im Jahr 2017 und der Beendigung der Tat in 2006 keiner weitergehenden Erörterung.
46
ccc. Hält man aus den vorstehend dargelegten Gründen die Anordnung einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB für eine Strafe nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK, so stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die neuen Vorschriften überhaupt zur Anwendung gebracht werden können. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei ihnen im Vergleich zu den Vorgängernormen nicht um eine „schwerere Strafe“ handelt. In Anbetracht der Ausführungen im Gesetzgebungsverfahren, dass die Einziehung erleichtert und ausgeweitet werden soll, auch Vermögen unklarer Herkunft - zumindest bei gewissen Straftaten - eingezogen werden kann, das Insolvenzverfahren seitens der Staatsanwaltschaft regelmäßig zu beantragen sein wird und die Bemessung des Einziehungsumfanges nach dem Bruttoprinzip, welche die von den unterschiedlichen Senaten des Bundesgerichtshofs in der Vergangenheit ergangene Rechtsprechung auf die schärfste Ansicht zurückführt, handelt es sich bei den neuen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB im Verhältnis zu den Vorgängervorschriften um eine schwerere Strafe im Sinne des Konventionsrechts.
47
Da das Konventionsrecht der EMRK national im Range eines einfachen Bundesgesetzes steht und die Gerichte zur konventionsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sind (vgl. nur BVerfGE 111, 307 ff. mwN), ist Art. 316 h Satz 1 EGStGB nach konventionsfreundlicher Anwendung - jedenfalls aber aufgrund des Vorranges des Konventionsrechts - zumindest auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar.
48
Bleibt es damit im vorliegenden Fall bei der Anwendbarkeit der §§ 73 ff. StGB a.F., so scheidet die Möglichkeit der Anordnung einer Vermögensabschöpfung im aktuellen Urteil aus den unter VIII. 2. a. aa. und bb. genannten Gründen aus.
49
bb. Selbst wenn trotz der Tatsache, dass die verfahrensgegenständliche Tat (lange) vor Inkrafttreten der neuen Vermögensabschöpfungsvorschriften begangen wurde, diese gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB grundsätzlich anwendbar wären (was nicht zu bejahen ist: dazu oben VIII. 2. b. aa.), läge ein Ausnahmefall gemäß Art. 316h Satz 2 EGStGB vor, wonach das neue Recht nicht in solchen Verfahren anzuwenden ist, in denen bis zum 01.07.2017 bereits eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder Wertersatzverfalls getroffen worden ist.
50
Eine solche Ausnahmekonstellation ist hier gegeben. Das Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 12.05.2016 enthält zwar keine ausdrückliche Entscheidung darüber, ob eine vermögensabschöpfende Maßnahme anzuordnen ist oder nicht. Darauf kommt es für die Annahme eines Ausnahmefalles gemäß Art. 316h Satz 2 EGStGB aber nicht entscheidend an. Aus Sicht der Kammer kann es - zumindest im Ergebnis - keinen Unterschied machen, ob unter Geltung der alten Rechtslage eine ausdrückliche Entscheidung des Absehens, etwa wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a. F., ergangen ist oder eine solche - und ggf. auch ein auf eine Vermögensabschöpfung abzielender Antrag der Staatsanwaltschaft - unterblieben ist, weil ein solcher ohnehin an entgegenstehenden Ansprüchen Verletzter gescheitert wäre.
51
cc. Selbst wenn auf den vorliegenden Sachverhalt die neuen Vermögensabschöpfungsvorschriften anwendbar sein sollten, wäre die Anordnung einer entsprechenden Maßnahme wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 StPO ausgeschlossen.
52
Die Frage, ob die Anordnung der Einziehung von Taterträgen nach § 73 ff. StGB dem Verschlechterungsverbot der §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 StPO unterfällt, ist für die neuen Vermögensabschöpfungsvorschriften vom Bundesgerichtshof - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.
53
Auf der Grundlage der früheren Vermögensabschöpfungsvorschriften hat der Bundesgerichtshof, wie oben (VIII. 2. a. aa.) näher dargelegt, einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot angenommen, wenn nach alleiniger Revision eines Angeklagten eine Vermögensabschöpfung im zweiten Rechtsgang erstmals angeordnet wurde.
54
Diese Auffassung ist auf die neuen Vorschriften zu übertragen. Durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 sind die §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 StPO nicht geändert worden. Wesentlicher Kern dieser Bestimmungen ist die Überlegung, dass - sofern nur der Angeklagte ins Rechtsmittel geht - das Ergebnis nach Durchführung des Rechtsmittels nicht belastender sein darf, als es ohne das Rechtsmittel gewesen wäre.
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Durch die Nichtanordnung einer vermögensabschöpfenden Maßnahme nach § 73 ff. StGB a. F. im Urteil des ersten Rechtsganges stand für den Angeklagten fest, dass er maximal 2 Jahre und 3 Monate Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte und danach die strafrechtlichen Konsequenzen seiner Tat abgeschlossen waren. Dies als höchstmögliche Strafe im zweiten Rechtsgang zu Grunde gelegt würde eine zusätzliche Anordnung einer Einziehung zu einer weiteren Belastung des Angeklagten führen, deren Abschluss nicht einmal ansatzweise zu erkennen ist. Nicht zuletzt die Möglichkeit bzw. Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens mit den hieraus resultierenden Konsequenzen würden den Angeklagten zusätzlich beeinträchtigen.
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3. Auf der Grundlage des Art. 100 GG das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, war nicht veranlasst. Die in der Literatur thematisierten verfassungsrechtlichen Fragen waren hier - wie sich aus den Ausführungen unter VIII. 1. und 2. ergibt - nicht entscheidungserheblich.
IX.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 473, 464d StPO.
58
Dabei ist berücksichtigt, inwieweit der Angeklagte mit seiner Revision letztlich Erfolg hatte (Reduzierung des Schuldumfangs, Herabsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe und deren Aussetzung zur Bewährung) und inwieweit dies nicht der Fall war (Schuldspruch).


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