Gericht / Entscheidungsdatum: AG Halle, Beschl. v. 02.111.2017 - 394 Gs 651 Js 32786/17 (250/17)
Leitsatz: Art. 103 Abs. 1 GG beinhaltet im Falle einer Inhaftierung, dass der Beschuldigte sich im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung zu denjenigen Umständen fundiert äußern kann, die zu diesem Zeitpunkt seine Inhaftierung tragen. Dies wiederum setzt bei einem verteidigten Beschuldigten voraus, dass der Verteidiger vor dem Haftprüfungstermin die Gelegenheit gehabt hat, zumindest Einsicht in diejenigen Aktenbestandteile zu haben, welche konstituierend für die Inhaftierung seines Mandanten sind.
Amtsgericht Halle (Saale)
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
wegen Diebstahls oder Hehlerei,
wird der am 07.102017 unter dem Aktenzeichen BER 128/17 erlassene Haftbefehl des hiesigen Amtsgerichts
aufgehoben.
Gründe:
Am 07.10.2017 erließ das hiesige Amtsgericht gegen den Beschuldigten unter dem Aktenzeichen BER 128/17 einen Haftbefehl wegen Diebstahls oder Hehlerei in Wahlfeststellung. Zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen wird auf diesen Haftbefehl Bezug genommen. Mit hiesigem Beschluss vom 17.102017 wurde dem Beschuldigten der Rechtsanwalt Jan-Robert Funck zum Pflichtverteidiger bestellt, wobei diesem der entsprechende Beschluss per Telefax am 18.10.2017 übermittelt worden ist.
Mit Telefax vom selben 18.10.2017 beantragte der Verteidiger gegenüber der Staatsanwaltschaft Halle die Gewährung von Akteneinsicht. Darauf reagierte die Staatsanwaltschaft mit einem an den Verteidiger gerichteten Schreiben vom 25.10.2017, in welchem sie ihm mitteilte. dass die angeforderten Akten zurzeit nicht verfügbar seien und demzufolge nicht übersandt werden könnten. Zu diesem Zeitpunkt, wohl bereits zumindest seit dem 16.10.2017, existierte bei der Staatsanwaltschaft Halle ein so genanntes Haftsonderheft, welches nach Auskunft des bei der Staatsanwaltschaft Halle in Vertretung zuständigen Geschäftsstellenbeamten seit dem 20.10.2017 der zuständigen Dezernentin mehrfach in Vorlage gebracht worden ist. Der Verteidiger beantragte mit einem Telefax vom 20.10.2017 die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung, wobei mit hiesiger Verfügung vom 24.10.2017 ein Haftprüfungstermin auf Donnerstag den 02.11.2017 um 09:45 Uhr anberaumt wurde. Eine diesbezügliche Terminsnachricht ging bei der Staatsanwaltschaft Halle am 26.10.2017 ein, wobei die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft Halle mit Verfügung vom 30.10.2017 das Haftsonderheft per Boten an das hiesige Amtsgericht übersenden ließ, verbunden mit dem Antrag, den Haftbefehl aufrechtzuerhalten und Haftfortdauer zu beschließen. In dem Haftprüfungstermin beantragte der Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls und führte zur Begründung aus, dass er trotz seines am 18.10.2017 gegenüber der Staatsanwaltschaft Halle gestellten Antrages bisher keine Einsicht in diejenigen Aktenbestandteile erhalten habe, auf welche der dringende Tatverdacht und auch der Haftgrund gestützt seien. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sich der Verteidiger in der Lage sehe, die Akteneinsicht nunmehr vorzunehmen, verneinte dies der Verteidiger unter Hinweis darauf, dass ihm dies im Hinblick auf weitere Termine, die er heute wahrzunehmen habe, nicht möglich sei.
Der Haftbefehl war aufzuheben, weil eine Aufrechterhaltung der Inhaftierung nur unter Missachtung des in Art. 103 Abs. 1 GG statuierten Justizgrundrechtes auf rechtliches Gehör hätte beschlossen werden können. Dieses Justizgrundrecht beinhaltet im Falle einer Inhaftierung, dass der Beschuldigte sich im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung zu denjenigen Umständen fundiert äußern kann, die zu diesem Zeitpunkt seine Inhaftierung tragen. Dies wiederum setzt bei einem wie hier verteidigten Beschuldigten voraus, dass der Verteidiger vor dem Haftprüfungstermin zum einen die Gelegenheit gehabt hat, zumindest Einsicht in diejenigen Aktenbestandteile zu haben, welche konstituierend für die Inhaftierung seines Mandanten sind. Zum anderen aber auch muss der Verteidiger eine ausreichende Zeitspanne zur Verfügung gestellt bekommen, um sich mit dem Verfahrensgegenstand und vor allem mit den die Inhaftierung tragenden Umständen vertraut zu machen, diese zu durchdenken und mit seinem Mandanten zu besprechen.
Dazu reicht nach hier vertretener Auffassung keinesfalls wie vom Amtsgericht Frankfurt an der Oder in einer Entscheidung vom 24.03.2014 (Aktenzeichen 45 Gs 48/14) vertreten eine Zeitspanne von lediglich zwei Stunden aus. Zumal vorliegend zwischen dem am 18.10.2017 erfolgten Eingang des Akteneinsichtsgesuchs des Verteidigers bei der Staatsanwaltschaft Halle und dem Haftprüfungstermin eine Zeitspanne von vierzehn Tagen liegt. Innerhalb dieser Zeitspanne hätte seitens der Staatsanwaltschaft Halle entweder das Haftsonderheft per Eilpost an den Verteidiger übersandt werden können oder es hätten ihm Kopien von denjenigen Aktenbestandteilen übersandt werden können, welche den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund begründen. Dies wären bis zum Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Halle inklusive des Bundeszentralregisterauszuges insgesamt 52 Blätter gewesen. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, mit dem Verteidiger, von dem bekannt ist, dass er des Öfteren Termine beim hiesigen Amtsgericht wahrnimmt, telefonisch in Kontakt zu treten, um ihn zu fragen, ob er sich gegebenenfalls in der 43. Kalenderwoche im hiesigen Justizzentrum aufhält, was tatsächlich am 25.10.2017 der Fall war. An diesem Tag hätte ihm also zur Einsicht das Haftsonderheft ausgehändigt werden können. Sofern die Staatsanwaltschaft Halle hinsichtlich einer Versendung der Akten per Eilpost oder Übergabe der Akten am 25.10.2017 an den Verteidiger die Befürchtung gehegt haben sollte, dass die Akten nicht rechtzeitig zum Haftprüfungstermin dem Ermittlungsrichter vorliegen würden, so hätte diesen Bedenken auf einfache Art und Weise begegnet werden können. Hätte man mit dem zuständigen Ermittlungsrichter diesbezüglich Kontakt aufgenommen, so hätte dieser kundgetan, dass es für ihn ausreichend sei, wenn der Verteidiger das Haftsonderheft zu dem Haftprüfungstermin mitgebracht und dem Ermittlungsrichter übergeben hätte. Dass von den aufgezeigten Möglichkeiten keine von der Staatsanwaltschaft Halle wahrgenommen wurde, darf nicht zulasten des Beschuldigten gehen. Im Hinblick auf die überragende Stellung des Grundrechts auf persönliche Freiheit nach Art. 2 des Grundgesetzes und der nunmehr fast vier Wochen andauernden Untersuchungshaft hatte im Hinblick auf den festgestellten Verfahrensverstoß die Aufhebung des Haftbefehls zu erfolgen.
Abseits dieser verfahrensrechtlichen Entscheidung ist noch auf folgendes hinzuweisen: Eine genauere Prüfung des Akteninhalts inklusive des Bundeszentralregisterauszuges lässt zumindest Zweifel an einer Bejahung des dringenden Tatverdachtes einerseits wie auch des angenommenen Haftgrundes der Fluchtgefahr andererseits aufkommen. Hinsichtlich des dringenden Tatverdachtes ist augenfällig, dass mit Ausnahme des bei dem Beschuldigten aufgefundenen Bargeldes, von dem jedenfalls nach jetzigem Stand der Ermittlungen nicht sicher ist, dass es aus dem mutmaßlichen Einbruchsdiebstahl in die Geschäftsräume Hall of Garnes" stammt sämtliche im Haftbefehl genannten Gegenstände bei dem Mitbeschuldigten pp. aufgefunden worden sind. insofern ist die im Haftbefehl enthaltene Formulierung wurden der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte pp im Bahnhof Halle gestellt. beide hatten nachfolgende Gegenstände und Bargeld bei sich..." zumindest ungenau. denn ausweislich der Sicherstellungsprotokolle wurden in dem von dem Mitbeschuldigten pp. getragenen Rucksack bzw. seiner Kleidung der Laptop, der Bildschirm, die Spielkartenbox und auch die Poster aufgefunden. Hinsichtlich des angenommenen Haftgrundes der Fluchtgefahr ist bei einer wahldeutigen Verurteilung gemäß der Qualifizierung der Tat wie im Haftbefehl von dem in § 259 StGB normierten Strafrahmen der Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren auszugehen. In dem Bundeszentralregisterauszug vom 09.10.2017 sind dreizehn Eintragungen enthalten, wobei es sich bei den letzten sechs Eintragungen ausnahmslos um Suchvermerke der Staatsanwaltschaft Magdeburg handelt. Bei den ersten beiden Entscheidungen vom 11.04.2013 und 12.10.2015 handelt es sich um zwei Strafbefehle, die das Amtsgericht Magdeburg erlassen hat, wobei es in beiden Fällen Geldstrafen verhängt hat. Aber auch bei den in Ziffern 3, 4 und 6 des Bundeszentralregisterauszuges enthaltenen Verurteilungen, welche ebenfalls ausnahmslos auf Geldstrafe lauten, handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Strafbefehle, denn zwischen dem jeweiligen Entscheidungsdatum und dem dazugehörigen Rechtskraftdatum liegt in jedem Fall eine Zeitspanne von etwa drei Wochen, so dass die Annahme äußerst nahe liegt, dass in diesen drei Verfahren gemäß § 408a StPO verfahren wurde und ein Strafbefehl in jeden der drei Verfahren erlassen worden ist. Mithin ist zu konstatieren ist, dass der Beschuldigte bisher noch nicht den Eindruck einer Hauptverhandlung hat über sich ergehen lassen müssen, geschweige denn, dass er bereits schon einmal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. All dies zuletzt gesagte legt nahe, im Falle einer Verurteilung nicht wie im Haftbefehl prognostiziert eine empfindliche Freiheitsstrafe auszusprechen, was den Fluchtanreiz signifikant verringert. Diese in dem letzten Absatz vorgenommenen Überlegungen und Abwägungen waren dem Verteidiger mangels Kenntnis der Akten inklusive des Bundeszentralregisterauszuges verwehrt, was den festgestellten Verfahrensverstoß umso gravierender erscheint lässt.
Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig
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