Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 07.09.2017 - 2 Ws 122/17 (Vollz)
Leitsatz: 1. Bei entsprechender medizinischer Indikation steht einem rückenkranken Strafgefan-genen aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln ein Anspruch auf eine optimierte Schlaf-unterlage zu.
2. In Verfahren gemäß §§ 109 ff. StVollzG gilt der Verfügungsgrundsatz. Danach wird der Streitgegenstand durch die Anträge der Verfahrensbeteiligten bestimmt und be-grenzt. Eine eigenmächtige Erweiterung oder Umdeutung des Streitgegenstands durch das Gericht ist nicht zulässig.
KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 122/17 Vollz
In der Strafvollzugssache
gegen pp.
wegen Matratze u. a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 7. September 2017 beschlossen:
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Vollzugsbehörde wird der Beschluss des Land-gerichts Berlin Strafvollstreckungskammer vom 18./20. Juli 2017 im Tenor hinsichtlich Punkt 1, Satz 1 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auf dessen Kosten unverzüglich ei-ne mindestens 2,20 m lange und belegbar etwa durch Tests der Stiftung Warentest oder anderer staatlich anerkannter Prüfinstitute wie etwa des TÜV nach dem Stand der Technik für den Körper des Antragstellers optimierte Schlafunterlage zur Verfügung zu stellen.
2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
3. Über den weiteren eigenständigen Antrag des Gefangenen, ihm zur Finanzierung der Matratze, die Nutzung von Überbrückungsgeld zu genehmigen, hat das Landgericht bislang nicht entschieden.
4. Insoweit aber auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die notwendigen Auslagen des Antragstellers wird die Sache an die Straf-vollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe
Er leidet krankheitsbe-dingt an nächtlichen Rückenschmerzen und beantragte am 21. Juli 2016 bei der Vollzugsanstalt eine orthopädische Sieben-Zonen-Matratze auf eigene Kosten. Am 22. September 2016 beantragte er gegenüber der Strafvollstreckungskammer, die Vollzugsbehörde zu verpflichten, ihm den Erwerb einer orthopädischen Sieben-Zonen-Matratze, sowie eines Lattenrosts auf eigene Kosten unter Heranziehung seines Überbrückungsgeldes zu gewähren. Mit Beschluss vom 18./20. Juli 2017 ord-nete die sachverständig beratene Strafvollstreckungskammer an, dass die Vollzugs-behörde dem Antragsteller unverzüglich eine mindestens 2,20 m lange und belegbar etwa durch Tests von Stiftung Warentest oder anderer staatlich anerkannter Prüfinstitute, wie etwa des TÜV nach dem Stand der Technik für den Körper des Antragstellers optimierte Schlafunterlage zur Verfügung zu stellen hat, wie zum Bei-spiel eine Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze mit Lattenrost mit nach Test der Stif-tung Warentest guten Liegeeigenschaften.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Vollzugsbehörde mit der Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen keinen Erfolg.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verpflichtung der Vollzugsbehörde richtet, dem Antragsteller eine optimierte Schlafunterlage zur Ver-fügung zu stellen.
Sie ist weder zur Fortbildung des Rechts, noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Der Einzelfall gibt weder Anlass, Leitsätze bei der Auslegung von Rechtssätzen aufzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 2016 2 Ws 55/16 Vollz mit. weit. Nachweisen), noch droht durch die angefochtene Entscheidung eine Gefahr für die Einheitlichkeit der Rechtspre-chung (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai 2016 2 Ws 99/16 Vollz mit weit. Nachweisen).
Es ist obergerichtlich geklärt, dass der Gefangene einen Anspruch auf Krankenbe-handlung hat, sofern die Maßnahme notwendig ist, um Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. zu § 58 StVollzG: Senat, Beschluss vom 27. April 2012
2 Ws 168/12 ). Daran hat sich durch das Inkrafttreten des StVollzG Bln nichts Maßgebliches geändert (vgl. § 70 StVollzG Bln: Senat, Beschluss vom 20. Juli 2017 2 Ws 67/17 ).
Nach dem orthopädischen Sachverständigengutachten von Dr. med. S. vom 7. Mai 2017 leidet der Antragsteller unter einer degenerativen Veränderung mit Struktur-schäden an der Wirbelsäule und kleinen Wirbelgelenken der Lendenwirbelsäule. Zur Linderung der daraus resultierenden Rückenbeschwerden ist eine optimierte Schlaf-unterlage, insbesondere eine Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze mit Lattenrost, medizinisch indiziert. Bereits zuvor bestätigte der Anstaltsarzt die medizinische Be-handlungsbedürftigkeit des Rückenleidens und verfolgte zuletzt eine medikamentöse Schmerztherapie. Angesichts dessen steht dem Antragsteller schon aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln ein Anspruch des Antragstellers auf die von ihm begehrte Schla-funterlage zu. Danach kann es offen bleiben, ob es sich hierbei zudem um ein me-dizinisches Hilfsmittel im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln handelt.
2. Die Rechtsbeschwerde wäre aus den genannten Erwägungen insoweit auch un-begründet. Der Antragsteller hat wie unter II. 1. dargestellt einen aus § 70 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln resultierenden Leistungsanspruch auf eine optimierte Schlafun-terlage. Die von der Vollzugsbehörde erhobenen Sicherheitsbedenken stehen dem nicht entgegen. Die Matratze kann mit Überzügen gegen ein Verstecken von Gegen-ständen in den Zwischenräumen gesichert werden. Eine Kontrolle auf versteckte Gegenstände ist möglich. Der erhöhte Aufwand hat sich den Belangen der Gesund-heitssorge zugunsten des Antragstellers unterzuordnen, zudem sich dieser noch lan-ge in der Obhut der Vollzugsanstalt befinden wird. Dem Brandschutz kann durch die Auswahl einer schwer entflammbaren Matratze genüge getan werden. Soweit die Vollzugsanstalt erstmals mit der Rechtsbeschwerde Einwendungen gegen den vom Gefangenen gewünschten Matratzentyp erhebt, handelt es sich um beschlussfrem-des Vorbringen. Ein solches Nachschieben von neuen Tatsachen oder Beweismitteln so wie hier ist im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlich (vgl. Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 119 Rdn. 3 mit weit. Nachweisen). Im Übrigen hat das Landge-richt den einen Matratzentyp nur als ein Beispiel aufgeführt, mit dem der Anspruch des Antragstellers erfüllt werden kann.
III.
1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde auch gegen die Kostentragungspflicht für die medizinische Leistung richtet, ist sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung zulässig (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Die Strafvollstreckungskammer hat unter Verletzung des Verfügungsgrundsatzes ihren gesetzlichen Entscheidungsspielraum überschritten.
2. In diesem Umfang ist die Rechtsbeschwerde auch begründet und der Beschluss der Strafvollstreckungskammer wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung aufzu-heben.
Im gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz gilt der Verfügungsgrund-satz. Durch das im Antrag auf Entscheidung vorgebrachte Begehren um Rechts-schutz wird der Streitgegenstand mit bindender Wirkung für das Gericht und die an-deren Verfahrensbeteiligten bestimmt und begrenzt. Eine eigenmächtige Erweiterung oder Umdeutung des Streitgegenstands durch die Strafvollstreckungskammer ist unzulässig (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2015 2 Ws 16/15 Vollz [juris]; Senat, Beschluss vom 29. September 2014 2 Ws 324/14 Vollz [juris]; Ar-loth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 115 Rdn. 1, jeweils mit weit. Nachweisen).
Diese Grundsätze blieben bei der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer un-berücksichtigt. Der Antragsteller hat in seinen Anträgen vom 21. Juli 2016 und 22. September 2016 ausdrücklich die Verpflichtung der Vollzugsbehörde begehrt, ihm eine optimierte Schlafunterlage auf eigene Kosten zu gewähren. Eine Überbür-dung dieser Kosten auf die Vollzugsbehörde ist dem Wortlaut der Anträge nicht zu entnehmen und angesichts des eindeutigen Wortlauts auch nicht im Wege der Aus-legung des Antragsvorbringens zu ermitteln. Der angefochtene Beschluss war daher in diesem Punkt aufzuheben und wie tenoriert zu fassen (§ 119 Abs. 4 Sätze 1, 2 StVollzG).
3. Hingegen hat die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich des weiteren eigenstän-digen Antrages des Gefangenen, ihm für den Erwerb der Matratze etc. die Nutzung von Überbrückungsgeld (heute Eingliederungsgeld gemäß § 68 Abs. 2 StVollzG Bln) zu genehmigen, noch keine Entscheidung getroffen. Der Senat verweist sie daher insoweit aber auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Antragstellers nach § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG an die Strafvollstreckungskammer zurück.
Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin
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