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Entscheidungen

StPO

Umbeiordnung, Gründe, Vertrauensverhältnis

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 09.08.2017 - 4 Ws 101/17 - 161 AR 164/17

Leitsatz: Zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wegen Vertrauensverlustes.


KAMMERGERICHT
Beschluss
4 Ws 101/17 - 161 AR 164/17
(531 KLs) 277 Js 2545/17 (19/17)
In der Strafsache
gegen
pp. u.a.,
hier nur gegen pp.
wegen bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion u.a.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 9. August 2017 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 31 des Landgerichts Berlin vom 18. Juli 2017 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.
Gegen den Beschwerdeführer ist ein Strafverfahren vor der Strafkammer 31 anhängig. Über die Zulassung der am 27. Juni 2017 beim Landgericht eingegangenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 26. Juni 2017 zur Hauptverhandlung und die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde noch nicht entschieden.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 3. Juni 2017 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Nachdem ihm der Ermittlungsrichter Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers seines Vertrauens gegeben hatte, hat der Beschwerdeführer die Bestellung des Pflichtverteidigers in das Ermessen des Gerichts gestellt. Eine Bedenkzeit hatte er nicht erbeten. Ihm wurde daraufhin Rechtsanwalt W als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 6. Juni 2017 beantragte Rechtsanwalt W die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Nachdem er Akteneinsicht genommen hatte, besuchte er am 12. Juni 2017 den Beschwerdeführer in der Haft. Zum Termin der mündlichen Haftprüfung am 27. Juni 2017 erschien neben Rechtsanwalt W auch Rechtsanwalt L, der sich als Verteidiger zum Verfahren meldete und eine Vollmacht des Beschwerdeführers zur Akte reichte. Der Beschwerdeführer erklärte, er sei mit Rechtsanwalt W „nicht zufrieden“. Dieser mache „seine Sache nicht so, wie er sollte“. Er (der Beschwerdeführer) habe „tagelang“ versucht, ihn anzurufen. Sie hätten „keinen Kontakt“ gehabt. Rechtsanwalt W erklärte daraufhin, dass sein Büro stets besetzt sei und wies auf den Besuch vom 12. Juni 2017 hin. Der Beschwerdeführer und Rechtsanwalt L beantragten die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W und die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger. Die zu diesem Zeitpunkt noch zuständige Ermittlungsrichterin (die Anklageschrift ging erst nach Beendigung des Haftprüfungstermins beim Landgericht ein) stellte die Entscheidung über die Anträge zurück.

Durch Beschluss vom 4. Juli 2017 lehnte der Vorsitzende der Strafkammer 31 den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger ab. Vor der Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W fragte er nach, ob Rechtsanwalt L die Verteidigung auch als Wahlverteidiger führen werde. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 teilte Rechtsanwalt L zwar mit, den Beschwerdeführer weiter als Wahlverteidiger zu vertreten, erklärte jedoch im Rahmen eines Telefonats mit dem Strafkammervorsitzenden am 18. Juli 2017, er strebe wegen der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers die Beiordnung als Pflichtverteidiger an.

Rechtsanwalt W erklärte auf entsprechende Nachfrage, er sei mit der Aufhebung seiner Beiordnung nicht einverstanden.

Durch den angefochtenen Beschluss hat der Strafkammervorsitzende den Antrag auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W zurückgewiesen. Obgleich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur den Beschluss vom 18. Juli 2017 – nicht jedoch den vom 4. Juli 2017 – angefochten hat, begehrt er mit der Beschwerde neben der Aufhebung der Pflichtverteidigung von Rechtsanwalt W auch die Beiordnung von Rechtsanwalt L.

II.
1. Die Beschwerde des Angeschuldigten ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 305 Satz 1 StPO unstatthaft. § 305 Satz 1 StPO bezieht sich nur auf solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen und ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen. Die Bestellung und Entpflichtung eines Verteidigers gehören hierzu nicht. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers reicht in ihrer prozessualen Wirkung über das Urteil hinaus und dient unabhängig von der Urteilsfällung der Sicherung des justizförmigen Verfahrens (vgl. Senat, Beschluss vom 2. September 2016 – 4 Ws 125/16 –, juris [insoweit in NStZ 2017, 305 nicht abgedruckt] m.w.N.; StV 2010, 63 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 30. April 2007 – 2 Ws 229/07 –; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207 m.w.N.; Zabeck in KK, StPO 7. Auflage, § 305 Rnr. 8 m.w.N.). Der Angeschuldigte ist durch die Aufrechterhaltung einer Pflichtverteidigerbestellung gegen seinen Willen und nach Beauftragung eines Wahlverteidigers auch beschwert (vgl. Senat StV 2010, 63; OLG Frankfurt StV 2001, 610 m.w.N.; Laufhütte in KK aaO, § 141 Rnr. 13 m.w.N.).
72. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

a) Obgleich sich Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger zum Verfahren gemeldet hat, war die Bestellung von Rechtsanwalt W nicht nach § 143 StPO zurückzunehmen. Es ist anerkannt, dass – trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 143 StPO – ausnahmsweise eine Zurücknahme der Bestellung nicht zu erfolgen hat, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten wieder niederlegt, so dass nur durch ein Fortbestehen der Pflichtverteidigung eine ordnungsgemäße Verteidigung sichergestellt werden kann (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur Senat aaO; NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 2 Ws 40/15 – m.w.N.; OLG Frankfurt aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage, § 143 Rnr. 2 m.w.N.). Insbesondere kann der Beschuldigte nicht dadurch eine aus anderen Gründen nicht gebotene Auswechselung des Pflichtverteidigers erzwingen, dass sich für ihn ein Wahlverteidiger meldet, daraufhin die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückgenommen wird, der Wahlverteidiger sein Wahlmandat niederlegt und dann als Verteidiger des Vertrauens beigeordnet wird (vgl. Senat NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 31. Oktober 2013 – 1 Ws 18/14 m.w.N. –; OLG Frankfurt aaO m.w.N.).

Vorliegend ist eine solche rechtsmissbräuchliche Verdrängung des Pflichtverteidigers aus dem Amt konkret zu befürchten. Zwar hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, sein Wahlverteidiger habe gegenüber dem Strafkammervorsitzenden erklärt, er werde ihn in jedem Fall als Wahlverteidiger vertreten, auch wenn er nicht viel Geld habe. Der Senat hat jedoch keinen Zweifel daran, dass der Strafkammervorsitzende den Inhalt seines Telefonats mit dem Wahlverteidiger zutreffend vermerkt hat. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit der (von Rechtsanwalt L verfassten) Beschwerde ausdrücklich auch die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger begehrt, spricht dagegen, dass die Finanzierung des Wahlverteidigers über die gesamte Verfahrenslänge gesichert ist. Sie belegt vielmehr, dass Rechtsanwalt L weiterhin die Beiordnung als Pflichtverteidiger anstrebt.

b) Auch der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Vertrauensverlust führt nicht zur Aufhebung der Beiordnung. Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rnr. 3 m.w.N.). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Beschuldigte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt. Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur NJW 2008, 3652; Beschlüsse vom 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 30. April 2007 – 2 Ws 229/07 – jeweils m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rdn. 5 m.w.N.). Anderenfalls hätte es der Beschuldigte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1993, 600 m.w.N.).

Der Beschwerdeführer behauptet die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, weil Rechtsanwalt W „seine Sache nicht so (mache), wie er sollte“. Damit sind keine konkreten Umstände glaubhaft gemacht worden, die besorgen ließen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Der bisherige Verfahrensablauf lässt auch keine Versäumnisse des Pflichtverteidigers erkennen. Rechtsanwalt W hat unmittelbar nach der Beiordnung die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung beantragt, Akteneinsicht genommen und den Beschwerdeführer in der Haft besucht. Was er vor der Durchführung des Haftprüfungstermins noch hätte tun sollen, lässt der Beschwerdeführer offen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass unterschiedliche Auffassungen über das Verteidigungskonzept keinen Grund für die Abberufung eines Pflichtverteidigers darstellen. Denn dieser ist rechtskundiger Beistand (§ 137 StPO) und nicht Vertreter des Beschuldigten. Diese Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten und, wo er durch Anträge oder in sonstiger Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und unabhängig, das heißt frei von Weisungen auch des Beschuldigten, zu tun (vgl. BGH, Entscheidung vom 20. März 2001 – 1 StR 59/01 – m.w.N. [juris]; Senat, Beschlüsse vom 13. Januar 2017 – 4 Ws 11/17 –, 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 13. Dezember 2005 – 4 Ws 171/05 –, jeweils m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 2 Ws 238/08 – m.w.N.).

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe „tagelang“ versucht, den Pflichtverteidiger anzurufen, fehlt es an der konkreten Darlegung, wann (an welchen Tagen, um welche Uhrzeiten) der Beschwerdeführer den Pflichtverteidiger angerufen haben will. Er hat auch nicht mitgeteilt, ob ein/e Mitarbeiter/in des Pflichtverteidigers den Anruf entgegen genommen hat oder die Möglichkeit bestand, auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht zu hinterlassen. Rechtsanwalt W hat hierzu erklärt, sein Büro sei zu den üblichen Sprechzeiten besetzt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es nicht zu den Pflichten eines Pflichtverteidigers gehört, (ständig) für den Beschuldigten telefonisch erreichbar zu sein. Der Pflichtverteidiger entscheidet vielmehr unabhängig und nach pflichtgemäßen Ermessen, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juni 2017 – 4 Ws 81/17 –; Kammergericht, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 2 Ws 238/08 –). Im Hinblick darauf, dass Rechtsanwalt W den Beschwerdeführer keine zehn Tage nach dessen Inhaftierung und unmittelbar nach erhaltener Akteneinsicht am 12. Juni 2017 (somit rund zwei Wochen vor dem Haftprüfungstermin) in der Haft besucht hat, kann auch nicht die Rede davon sein, dass er gar keinen Kontakt zum Beschwerdeführer aufgenommen oder diesen dauerhaft abgebrochen hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe „keinen Kontakt“ zum Pflichtverteidiger gehabt, kann der Senat daher nicht nachvollziehen. Es liegt kein Fall vor, in dem die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt wurde. Der vorliegende Fall ist daher nicht mit den vom OLG Düsseldorf (NStZ-RR 2011, 48) und OLG Braunschweig (StV 2012, 719) entschiedenen Fällen vergleichbar, in denen der Pflichtverteidiger den Beschuldigten zwei Monate nach der Inhaftierung weder besucht noch schriftlich kontaktiert hatte.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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