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Entscheidungen

StPO

Mehrfachverteidigung, widerstreitende Interessen

Gericht / Entscheidungsdatum: AnwG Celle, Urt. v. 26.06.2017 - AGH 3/16

Leitsatz: Zum Verbot der Mehrfachverteidigung


In pp.
Die Berufung wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Rechtsanwalts trägt die Rechtsanwaltskammer pp.
Angewendete Vorschriften: §§ 116, 198 BRAO, § 467 StPO

Gründe
I.
Der am ........19... geborene Rechtsanwalt ist seit dem ........19... zur Anwaltschaft zugelassen und übt seine Tätigkeit in ... aus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

II.
Die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Anwaltsgerichts ... vom 23.11.2015 ist mit Schriftsatz vom 23.11.2015 form- und fristgerecht eingelegt worden, hat in der Sache aber keinen Erfolg, da der Rechtsanwalt nicht gegen §§ 43, 43a Abs. 4 BRAO verstoßen hat.

1. Die Staatsanwaltschaft ... leitete am 02.02.2012 ein Ermittlungsverfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegen ... ..., ... ... u. a. ein. Im Verlaufe der Ermittlungen und einer ersten polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter wurde Rechtsanwalt ... am 15.03.2012 als Verteidiger von ... mandatiert. Gegen diesen Beschuldigten erließ das AG ... am 21.03.2012 einen Haftbefehl, in dem ... u. a. beschuldigt wurde, mit den Mitbeschuldigten ... ..., ... ... u. a. in 9 Fällen gemeinschaftlich und als Mitglied einer Bande unerlaubt Betäubungsmittel eingeführt und in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. In dem Haftbefehl heißt es:
„ …
Der Beschuldigte ist dringend verdächtig,
in ..., ... u. a. Orten
in der Zeit vom ca. 28. September 2011 bis zum 10.01.2012
in mindestens 10 Fällen
1.-10.
jeweils durch dieselbe Handlung
in den Fällen 1. bis 9. gemeinschaftlich mit den Mitbeschuldigten ... ... und ... ... handelnd, im Fall 10. gemeinschaftlich mit den Mitbeschuldigten ... ..., ... ... und ... ... handelnd
a) Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt zu haben,
b) mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben,
wobei er in den Fällen 1. bis 9. als Mitglied einer Bande gehandelt hat, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
und es im Fall 10. hinsichtlich der Einfuhr beim Versuch blieb …“

Mit seinem Mandanten ... hatte Rechtsanwalt ... erörtert, dass ... zunächst weder polizeilich noch vor Gericht Erklärungen zur Sache abgeben werde. Eine Einlassung sollte ausschließlich über Rechtsanwalt ... ggf. nach gewährter Akteneinsicht erfolgen. Weiterhin hatte der Beschuldigte ... seinem Verteidiger ... mitgeteilt, dass für ihn eine belastende Aussage gegen andere Beschuldigte nicht in Frage käme, mithin auch nicht die Leistung einer Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG.

Mit Schriftsatz vom 29.03.2012 überreichte Rechtsanwalt ... die von ... unterzeichnete Vollmachtsurkunde, teilte dem Haftgericht mit, dass sein Mandant sich weder polizeilich noch richterlich vernehmen ließe und erbat Einsicht in die Ermittlungsakten. Wie mit seinem Verteidiger besprochen, sagte ... zur Sache nicht aus.

Der Zentrale Kriminaldienst der PI ... ermittelte im Übrigen seit Mai 2012 gegen ... ... wegen Erwerbs nicht geringer Mengen Cannabis und Ecstasy-Tabletten sowie gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Aufgrund der in diesem Ermittlungsverfahrenen gewonnenen Erkenntnisse erließ das Amtsgericht ... am 08.06.2012 Haftbefehl gegen ... .... Unter Ziffer 3. des Haftbefehls wurde ihm zur Last gelegt,

„… Anfang September 2011 ... von den gesondert Verfolgten ... ... und ... ... 1 kg Marihuana für 4.000,00 € erworben und zu einem Preis von 4,00 € pro Gramm an seinen Abnehmerkreis weiterveräußert zu haben ...“

Gemäß Ziffer 4. des Haftbefehls wurde ... ... beschuldigt,
„… im vorgenannten Zeitraum ... 1250 Ecstasy-Tabletten ... von ... erworben ... und an seinen Abnehmerkreis gewinnbringend weiterveräußert" zu haben.

Der dringende Tatverdacht wurde in dem Haftbefehl auf die Angaben der gesondert Verfolgten ... und ... gestützt. Der Inhalt dieses Haftbefehls war Rechtsanwalt ... zum Zeitpunkt des Erlasses nicht bekannt. ... ... wurde am 11.06.2012 vorläufig festgenommen. Unter Verzicht auf die Beiziehung eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin machte er umfangreiche Angaben zur Sache und zu anderen Beschuldigten. Den Mitbeschuldigten ... betreffend gab ... an, von diesem zu keinem Zeitpunkt etwas gekauft zu haben, auch nicht bzgl. der Ecstasy-Tabletten.

Im Anschluss an die polizeiliche Vernehmung erreichte Rechtsanwalt ... telefonisch die Bitte des ... ..., dessen Verteidigung wie bereits bei anderen Verfahren zu übernehmen. Es kam zu einem ersten Gespräch, das vor Verkündung des Haftbefehls am 12.06.2012 stattfand. Als Rechtsanwalt ... der ihm von ... übergebenen Ausfertigung des Haftbefehls entnahm, dass die zu Ziffer 3. und 4. gegen ... erhobenen Vorwürfe auch auf der Aussage des ... beruhen sollten, sprach er seinen Mandanten darauf an; dieser versicherte ihm, dass er, ..., mit ... nichts gemacht habe und diese Angaben in dem Haftbefehl falsch seien.

Danach, noch vor Eintritt in die förmliche Bekanntgabe des Haftbefehls vor dem Amtsgericht in ..., sprach Rechtsanwalt ... den anwesenden, mit dem gesamten Ermittlungskomplex befassten Kriminalbeamten ... an. Dieser war neben den Ergebnissen der geführten Ermittlungen auch über die Erkenntnisse aus der umfangreich geführten Telefonüberwachung informiert. Der Ermittlungsbeamte ... teilte Rechtsanwalt ... mit, dass der ... den ... nicht belastet habe und insoweit keine Erkenntnisse vorlägen.

Im Rahmen der Vorführung des ... ... zur Verkündung des Haftbefehls erschien der Beschuldigte ... ... mit Rechtsanwalt .... Dieser überreichte eine auf ihn begrenzte Verteidiger-Vollmachtsurkunde und erbat in dem dazugehörigen Anschreiben, ihm nach § 147 StPO Akteneinsicht zu gewähren.

Zu Ziffer 3. des verkündeten Haftbefehls erklärte ... ... u. a.:
„Der ... hat mir sogar 2 kg Marihuana für 9.000,00 € angeboten. Dieses Angebot habe ich abgelehnt, weil mir dies schlicht und einfach zu viel war."

Auf Frage des Gerichts, ob dann evtl. doch ein geringeres Geschäft mit 1 kg und 4.000,00 € zustande kam, erklärte der Beschuldigte:

„Nein, ich habe von dem Zeug nichts genommen, außerdem war mir die Qualität zu schlecht ... das habe ich mit bloßem Auge gesehen. Das war in einem Müllsack verpackt, der offen vor mir stand. Das Gras war ziemlich blättrig und hatte viele Samen mit drin."

Zu Ziffer 4. des Haftbefehls sagte ... ... anlässlich der Haftbefehlsverkündung u. a.:

„Auch dieses Geschäft kam nie zustande. Außerdem war es so, dass mir ... die 1250 Tabletten angeboten hat, nicht ......"

Zum weiteren Verlauf der Haftbefehlsverkündung hat Richter am Amtsgericht ... in dem Protokoll die Angaben des ... ... betreffend u. a. vermerkt:

„Ich kenne ... und ... schon über 1 Jahr. ... wurde mir über ... vorgestellt. Warum die mich zu Unrecht belasten, weiß ich nicht. Ich kann nur vermuten, dass es daran liegt, weil ich mit ... keine Drogengeschäfte machen wollte. Ich habe nur einmal die bereits erwähnten 100 g Gras von ihm gekauft, das war auch gute Qualität. Aber später kam er, wie erwähnt, mit dem schlechten Zeug an, und dann wollte ich nicht mehr."

Dem Antrag von Rechtsanwalt ... folgend wurde er dem Beschuldigten ... ... in dem Verkündungstermin zum Haftbefehl am 12.06.2012 zum Verteidiger bestellt. Der Haftbefehl vom 08.06.2012 wurde aufrechterhalten mit der Maßgabe,
„dass der dringende Tatverdacht entgegen den Ausführungen im vorletzten Absatz des Haftbefehls maßgeblich auf den Angaben des Zeugen ... beruht, während der dort aufgeführte ... keine Angaben gemacht hat."

Der Beschuldigte ... wurde in die JVA ... verbracht, in der sich auch der Mitbeschuldigte ... in U-Haft befand.

Am 13.06.2012 stellte Rechtsanwalt ..., gerichtet an die Staatsanwaltschaft ..., für seinen Mandanten ... den Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis für die Mutter und die Lebensgefährtin des .... In diesem Zusammenhang beantragte Staatsanwalt ... von der Staatsanwaltschaft ... am 14.06.2012, Rechtsanwalt ... als Verteidiger zu entpflichten, da bei einer gleichzeitigen Verteidigung des ... und des ... ... ein Verstoß gegen § 146 S.1 StPO vorläge. Am selben Tag beantragte Rechtsanwalt ... ..., der Vater des ..., in Kenntnis des Antrags der Staatsanwaltschaft ... ihn als Verteidiger des ... ... einzutragen. Die Beiordnung des Rechtsanwalts ... wurde am 15.06.2012 aufgehoben und Rechtsanwalt ... ... wurde dem ... ... als Verteidiger beigeordnet. Am 18.06.2012 legitimierte sich Rechtsanwalt ... / ... als neuer Verteidiger des ....

... ist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zeitraum Anfang September 2011 zu keinem Zeitpunkt angeklagt worden.

II.
1. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der in der Hauptverhandlung verlesenen und erörterten Urkunden sowie den Angaben von Rechtsanwalt ..., soweit ihnen gefolgt werden konnten.

2. Auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts hat das Anwaltsgericht den Rechtsanwalt von dem Vorwurf des Verstoßes gegen §§ 43, 43a IV BRAO, § 356 StGB im Ergebnis zu Recht freigesprochen.

Allerdings kommt es dabei nicht darauf an, ob die Interessen, die Rechtsanwalt ... vertreten hat, im Sinne des § 43 a IV BRAO als „widerstreitend“ anzusehen sind. Es liegt bereits kein Verstoß gegen § 146 StPO, dem Verbot der Mehrfachverteidigung, vor.

§ 146 StPO verbietet die Verteidigung gleichzeitige mehrerer derselben Tat Beschuldigter. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die Beschuldigten in einem Verfahren oder in getrennten Verfahren beschuldigt bzw. angeklagt werden. Maßgeblich dafür, ob dieselbe Tat vorliegt, ist der strafprozessuale Tatbegriff des § 264 StPO (Meyer-Goßner / Schmitt StPO, 2017, § 146 RN 14). Danach ist eine Tat ein „konkretes Vorkommnis“, ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet (BGHSt 22, 385), und innerhalb dessen der Beschuldigte einen Straftatbestand verwirklicht hat oder haben soll (Meyer-Goßner / Schmitt § 264 RN 2). Zunächst stellt einerseits eine nach Ort und Zeit völlig unbestimmte und auch im Übrigen nicht ausreichend konkretisierte Handlung keine Tat im Sinne des § 146 StPO dar. Zur Tat gehört aber anderseits das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Entscheidend ist, ob ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (Meyer-Goßner / Schmidt § 264 RN 2). Es genügt nicht, dass sich das angeklagte Geschehen wiederholt, mithin zum in der Anklage angenommenen Zeitpunkt als auch zu einem weiteren Zeitpunkt ereignet hat. Die Identität der Tat muss gewahrt bleiben (Meyer-Goßner / Schmidt § 164 RN 2).

Ausweislich der beiden Haftbefehle wurde dem ... strafrechtlich relevante Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in der Zeit von ca. 28.09.2011 bis zum 10.01.2012, dem ... ... Anfang September 2011 vorgeworfen. Eine Tatidentität zwischen diesen beiden Sachverhalten kann bei einem solch langen zeitlichen Abstand nicht angenommen werden. Soweit der Rechtsanwalt ... zum Zeitpunkt der Haftbefehlsverkündung gegen ... ... am 12.06.2012 gegebenenfalls hätte annehmen müssen, dass auch ... in diese Taten verwickelt sein könnte, war er zu diesem Zeitpunkt für diese Taten als Verteidiger des ... nicht mandatiert. Ein Verstoß gegen § 146 StPO ist damit ausgeschlossen. Die Frage, ob ein solcher Verstoß per Automatismus zu einem Verstoß gegen §§ 43, 43 a IV BRAO führt, stellt sich damit nicht mehr.

Im Ergebnis ist die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft daher zu verwerfen und der Freispruch des Rechtsanwalts durch das Anwaltsgericht zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 116, 198 Abs. 1 BRAO, § 467 StPO.


Einsender: entnommen dem Niedersächsischen Landesjustizportal

Anmerkung:


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