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Entscheidungen

OWi

Zustellung, Wirksamkeit, Verteidiger, Einspruchsverwerfung, Ausbleiben Betroffener, Anforderungen Attest

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2017 - 3 RBs 106/17

Leitsatz: 1. Im Fall der unwirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger wird Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen bewirkt.
2. Der Senat neigt in diesem Zusammenhang im übrigen der Auffassung zu, dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist.
3. Zu den Voraussetzungen der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens.


Bußgeldsache
In pp.
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 08.08.2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Entscheidung der mitentscheidenden Einzelrichterin des Senats).

Die Sache wird dem Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung der mitentscheidenden Einzelrichterin des Senats).

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Landrat des Kreises Q hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 5. August 2015 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße in Höhe von 120,00 Euro festgesetzt.

Das Amtsgericht Minden hat den Einspruch des Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 30. Januar 2017 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, da der Betroffene im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei.

Gegen dieses in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete und dem Betroffenen auf Anordnung des Vorsitzenden am 2. März 2017 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 2. März 2017, beim Amtsgericht Minden eingegangen am selben Tag, die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen Antrag mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 10. April 2017, beim Amtsgericht Minden eingegangen am selben Tag, begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Der Betroffene macht geltend, der Bußgeldbescheid vom 5. August 2015 sei zu keinem Zeitpunkt wirksam zugestellt worden, so dass das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung bestehe.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

In dem zugrunde liegenden Bußgeldverfahren warf der Landrat des Kreises Q dem Betroffenen vor, am 18. Mai 2015 um 15:48 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h überschritten zu haben. Mit Verfügung vom 12. Juni 2015 ordnete die Sachbearbeiterin der Bußgeldstelle des Straßenverkehrsamtes die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen und seine Anhörung an (Bl. 13 d.A.). An den Betroffenen wurde ein Anhörungsschreiben vom 15. Juni 2016 (Bl. 14 d.A.) versandt. Mit Telefaxschreiben vom 18. Juni 2015 (Bl. 16 d.A.) bestellte sich Rechtsanwalt I2 als Verteidiger des Betroffenen und bat um Akteneinsicht, die ihm mit Schreiben vom 1. Juli 2015 (Bl. 20 d.A.) gewährt wurde. Mit weiteren Schreiben vom 4. August 2015 überreichte Rechtsanwalt I2 eine von dem Betroffenen unterzeichnete Vollmacht (Bl. 25, 26 d.A.). Mit Verfügung der Sachbearbeiterin vom 5. August 2015 (Bl. 27 d.A.) erließ die Bußgeldstelle im automatisierten Verfahren einen Bußgeldbescheid, der dem Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden sollte und wie folgt adressiert war: „Herrn I über Anwaltskanzlei N und M. I2“ (Bl. 28 d.A.). Mit Schreiben vom 5. August 2015 informierte die Bußgeldstelle den Betroffenen über den Erlass des Bußgeldbescheides, der dem Bevollmächtigten zugestellt worden sei. Dem Schreiben war ein Duplikat des Bußgeldbescheides beigefügt (Bl. 29, 30 d.A.). Mit Telefaxschreiben vom 7. August 2015, bei Gericht eingegangen am selben Tag, legte der Verteidiger Einspruch „gegen den Bußgeldbescheid vom 05.08.2015“ ein und bat um vollständige Akteneinsicht (Bl. 32, 33 d.A.). Mit Schreiben vom 11. August 2015 (Bl. 38 d.A.) übersandte die Bußgeldstelle die Ermittlungsakte und bat um Rücksendung des Empfangsbekenntnisses; auf dem Schreiben befindet sich der Aufdruck: „Anlage: 1 Akte Blatt 1 bis 31.“ Mit Schreiben vom 7. September 2015 (Bl. 41 d.A.) reichte der Verteidiger die Akte zurück. Das Empfangsbekenntnis betreffend die Zustellung des Bußgeldbescheides reichte der Verteidiger in der Folgezeit trotz weiterer schriftlicher Aufforderungen vom 17. September 2015 (Bl. 42 d.A.) und vom 12. Oktober 2015 (Bl. 45 d.A.) nicht zurück. Er beantragte mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2015 (Bl. 43 d.A.) die Verlängerung einer mit der Einspruchsbestätigung vom 17. September 2015 (Bl. 42 d.A.) gesetzten Frist zur Stellungnahme und mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015 (Bl. 46 d.A.) die Aufhebung des Bußgeldbescheides und die Einstellung des Verfahrens. Unter dem 18. November 2015 (Bl. 151 d.A.) stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beanstandete, ihm seien die Messung des Betroffenenfahrzeugs im Originaldateiformat, die gesamte Messreihe im Originaldateiformat und die Lebensakte bzw. Gerätestammkarte des Messgerätes nicht zur Verfügung gestellt worden. In demselben Schreiben wies der Verteidiger zudem darauf hin, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Die Bußgeldstelle half dem Antrag vom 18. November 2015 mit Verfügung vom 30. November 2015 (Bl. 159 d.A.) ab und verfügte am 14. Dezember 2015 (Bl. 161 d.A.) die Aktenabgabe an die Staatsanwaltschaft Bielefeld, die die Akte mit Verfügung vom 28. Dezember 2015 (Bl. 163 d.A.) dem Amtsgericht Minden vorlegte, wo sie am 30. Dezember 2015 (Bl. 163R d.A.) einging. Mit Verfügungen vom 10. Juni 2016 (Bl. 166, 167 d.A.), vom 9. August 2016 (Bl. 188f d.A. und vom 29. November 2016 (Bl. 233, 234 d.A.) ordnete das Amtsgericht die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen an.

Der Verteidiger bestreitet, den Bußgeldbescheid mit Empfangsbekenntnis erhalten zu haben. Er vertritt die Auffassung, ein etwaiger Zustellversuch wäre zur Bewirkung einer wirksamen Zustellung ungeeignet gewesen, da der Bußgeldbescheid nicht an ihn als alleinigen Verteidiger des Betroffenen adressiert gewesen sei. Der Betroffene habe ihn über den Erhalt des Bußgeldbescheides informiert, woraufhin er vorsorglich und pflichtgemäß umgehend Einspruch eingelegt habe. Es sei zwar richtig, dass die Bußgeldstelle an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses erinnert habe, da ein solches nicht vorgelegen habe, habe es nicht zurückgesandt werden können. Wenn er die Behörde auf ihren Fehler aufmerksam gemacht hätte, hätte er seine berufsrechtlichen und vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinem Mandanten verletzt. Auch durch die Gewährung von Akteneinsicht vom 7. September 2015 sei keine Heilung eingetreten, da die Akte damals einen Inhalt von 26 Blatt und keinen Bußgeldbescheid enthalten habe; dies werde anwaltlich versichert. Bußgeldakten würden immer und ausnahmslos vollständig kopiert, so dass sich der tatsächliche Akteninhalt der jeweiligen Übersendung auch im Nachhinein noch sicher durch die Anzahl der gefertigten Kopien nachvollziehen lasse (Bl. 199, 237).

Die Terminsverfügung des Amtsgerichts vom 9. August 2016 (Bl. 188 d.A.) enthält den folgenden Zusatz: „Soweit Verjährung geltend gemacht wird, dürfte nach Aktenlage ein Zustellungsmangel nach § 51 OWiG i.V.m. § 8 LZG NRW durch tatsächlichen Erhalt geheilt worden sein, da Sie am 07.08.2015 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 05.08.2015 eingelegt haben und zudem zwischen dem 11.08.2015 und dem 07.09.2015 Akteneinsicht genommen haben.“

III.

Auf den zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen und die Sache sodann dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, §§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG. Hierbei handelt es sich um Entscheidungen der mitunterzeichnenden Einzelrichterin des Bußgeldsenats.

1. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Es muss deshalb eine entscheidungserhebliche, noch klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage vorliegen (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80, Rdnr. 3 m.w.N.). Dabei kommt die Zulassung der Rechtsbeschwerde ungeachtet der Regelung des § 80 Abs. 5 OWiG dann in Betracht, wenn es wegen einer Frage der Verfolgungsverjährung oder eines sonstigen Verfahrenshindernisses geboten ist, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, um hierzu ein klärendes Wort zu sprechen (Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80, Rdnr. 24). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil nach dem Akteninhalt eine wirksame, die Verfolgungsverjährung unterbrechende Zustellung des Bußgeldbescheides (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG) nicht feststellbar ist und es für die Frage, ob die dem Betroffenen vorgeworfene Tat noch geahndet werden kann, darauf ankommt, ob rechtzeitig eine Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 8 VwZG NW eingetreten ist. Der Senat bejaht diese Frage dahin gehend, dass die Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen eingetreten ist.

a) Die dreimonatige Verjährungsfrist aus § 26 Abs. 3 StVG, die mit Vollendung der dem Betroffenen vorgeworfenen Tat am 18. Mai 2015 zu laufen begann, wurde durch die Anordnung der Anhörung vom 12. Juni 2015 (Bl. 13 d.A.) gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 OWiG unterbrochen. Die nächste sicher feststellbare Unterbrechungshandlung datiert vom 30. Dezember 2015, dem Zeitpunkt der Eingang der Akte bei Gericht (Bl. 163R d.A.), § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG. Es kommt daher für die Frage der Verjährung zunächst darauf an, ob im maßgeblichen Zeitraum bis zum 11. September 2015 eine weitere Unterbrechungshandlung stattfand. Der Verteidiger des Betroffenen, dessen Vollmacht sich bei den Akten befand, reichte trotz mehrfacher Aufforderung der Sachbearbeiterin der Bußgeldstelle das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Bußgeldbescheides nicht zurück und teilte erstmals mit Schriftsatz vom 22. August 2016 mit, der Bußgeldbescheid habe ihm bei Einspruchseinlegung nicht vorgelegen.

aa) Das Amtsgericht hat sich in diesem Zusammenhang u.a. auf den Standpunkt gestellt, durch die in der Zeit zum 7. September 2015 erfolgte Akteneinsicht des Verteidigers sei der Mangel bei Zustellung des Bußgeldbescheides nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW geheilt worden, so dass die nunmehr nach § 26 Abs. 3 StVG maßgebliche Verjährungsfrist von sechs Monaten durch den Eingang der Akte bei Gericht am 30. Dezember 2015 rechtzeitig unterbrochen worden sei. Diese Auffassung greift zu kurz, denn sie berücksichtigt nicht die Besonderheiten bei Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 4 VwZG NW.

(1) Nach § 8 VwZG NW in der seit dem 1. Februar 2006 gültigen Fassung gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigen nachweislich zugegangen ist. Die Regelung entspricht der bundesgesetzlichen Regelung in § 8 VwZG, die durch das „Gesetz zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts“ vom 12. August 2005, in Kraft getreten am 1. Februar 2006 (BGBl. I, S. 2354), neu gefasst wurde. Nach der Gesetzesbegründung lehnt sich das Verwaltungszustellungsgesetz weitgehend an die Zivilprozessordnung an (BT-Drs. 15/5216, S. 10), dies gilt namentlich für die Heilungsvorschrift in § 8 VwZG, die nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers weitgehend der gleich gelagerten Regelung in § 189 ZPO angepasst werden sollte (BT-Drs. 15/5216, S. 14); § 189 ZPO wiederum wurde nach der Gesetzesbegründung zum „Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren“ (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) nach dem Vorbild des § 9 VwZG a.F. gestaltet (BT-Drs. 14/4554, S. 25, 26). Schon für die Vorgängerregelungen in § 9 VwZG a.F. und § 187 ZPO a.F. war anerkannt, dass beide Vorschriften im gleichen Sinne auszulegen sind, da kein Grund ersichtlich ist, der es rechtfertigen könnte, den gleichen Rechtsgedanken für verschiedene Gerichtsbarkeiten verschieden anzuwenden (GmS-OBG, Beschluss vom 9. November 1976 – GemS-OBG 2/75, juris, Rdnr. 22; Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 8, Rdnr. 1). Aus diesem Grund beinhalten die voneinander abweichenden Formulierungen in der landes- und bundesgesetzlichen Vorschrift (§ 8 VwZG NW: „nachweislich“, § 8 VwZG: „tatsächlich“) keinen unterschiedlichen Regelungsgehalt, beide Begriffe sind aus Sicht des Gesetzgebers identisch (Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 8, Rdnr. 4 a.E. unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zum ZustRG). Die Regelung in § 189 ZPO passt sich in ihrer im Vergleich zur Vorgängervorschrift heilungsfreundlicheren Fassung in das hinter dem Zustellungsreformgesetz (ZustRG) stehende Gesamtkonzept einer Vereinfachung des Zustellungsrechts (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2005 – NotZ 12/05, NJW 2005, 3216, 3217), die notwendig zu einer gewissen „Entförmlichung“ führt, ein, und ist dementsprechend weit auszulegen (BGH, Urteil vom 12. März 2015 – III ZR 207/14, BeckRS 2015, 06671, Rdnr. 17; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 1); gleiches gilt nach dem oben Gesagten für die Verwaltungszustellungsgesetze. Auch § 8 VwZG hat den Zweck, Zustellungen nicht an formellen Fehlern scheitern zu lassen, wenn feststeht, dass der Empfänger das zuzustellende Schriftstück tatsächlich erhalten hat (Kugelmüller-Pugh in: Beerhamm/Gosch, AO/FGO, 1. Aufl., 131. Lieferung (Stand: 01.02.2013), § 8 VwZG, Rdnr. 2).

(2) Der Anwendungsbereich des § 8 VwZG NW ist grundsätzlich eröffnet, denn es fehlt der Nachweis einer ordnungsgemäßen Zustellung. Das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Bußgeldbescheides ist nicht zu den Akten gelangt, und der Verteidiger bestreitet den Zugang der Dokumente.

(3) Für eine Heilung nach § 8 VwZG NW wird vorausgesetzt, dass die Behörde den Willen hatte, eine Zustellung vorzunehmen. Ferner muss das Dokument dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen sein und der Zeitpunkt des Zugangs muss beweiskräftig feststehen (OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 13 B 696/11, juris, Rdnr. 48; Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 8, Rdnr. 4).

(a) Voraussetzung einer jeden Zustellung und auch der Heilung ist ein entsprechender Zustellungswille des Versenders, d.h. es muss eine förmliche Zustellung wenigstens angestrebt bzw. beabsichtigt gewesen sein (BGH, Beschluss vom 26. November 2002 – VI ZB 41/02, NJW 2003, 1192, 1193; OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2010 – 4 U 193/09, NJW 2010, 3380, 3381; Erlenkämper/Rhein, § 8 LZG NRW, Rdnr. 19; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 1 und Rdnr. 3; Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 189, Rdnr. 2). Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn ausweislich des in der Bußgeldakte befindlichen Ausdrucks sollte der Bußgeldbescheid dem Betroffenen über seine Anwaltskanzlei gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Nach Aktenlage wurde die entsprechende Verfügung vom 5. August 2015 (Bl. 27 d.A.) auch ausgeführt, wie der Zugang bei dem Betroffenen aufgrund der gleichzeitig verfügten Anordnung der formlosen Versendung an ihn beweist. Damit ist der Bußgeldbescheid mit Wissen und Wollen der Bußgeldbehörde und in der Absicht, Rechtsfolgen gegenüber dem Betroffenen auszulösen, aus dem internen behördlichen Bereich herausgegeben worden. Nicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass gerade auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten oder eine andere empfangsberechtigte Person vom Willen der Behörde umfasst ist, solange grundsätzlich ein Bekanntgabewille vorlag (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95, juris, Rdnr. 29 m.w.N. für § 9 VwZG a.F.; Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 8. April 2015 – 2 LA 20/15, juris, Rdnr. 10).

(b) Die Zustellung „gegen Empfangsbekenntnis“ nach § 5 Abs. 4 VwZG NW setzt zudem die Mitwirkung des Empfängers dergestalt voraus, dass ein Empfangsbekenntnis erfolgt. Der Adressat muss vom Zugang des Schriftstücks nicht nur Kenntnis erhalten, sondern zudem entscheiden, ob er es als zugestellt ansieht. Die Äußerung des Willens, das Schriftstück anzunehmen (Empfangsbereitschaft) ist zwingende Voraussetzung einer wirksamen Zustellung, wobei die Form des Empfangsbekenntnisses dabei nicht vorgeschrieben ist, so dass die Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung nach § 5 VwZG mehr ist (BVerwG, Beschluss vom 29. April 2011 – 8 B 86.10, BeckRS 2011, 50630, Rdnr. 6; OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2010 – 4 U 193/09, NJW 2010, 3380, 3381; Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 5, Rdnr. 3). Das ausgefüllte Empfangsbekenntnis dient dem Nachweis des Zeitpunkts, an dem der Empfänger das zuzustellende Dokument erhalten hat und bereit war, es entgegenzunehmen und zu behalten (OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2002 – 18 B 440/02, NVwZ 2003, 632; Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 5, Rdnr. 3; Erlenkämper/Rhein, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz NW, § 5 LZG NRW, Rdnr. 38).

(aa) Der Mangel des Empfangswillens des Anwalts kann nicht über § 189 ZPO oder eine vergleichbare Heilungsvorschrift geheilt werden, so dass ein fehlender Annahmewille nach übereinstimmender Auffassung nicht durch den Nachweis des bloßen Zugangs ersetzt werden kann (BGH, Urteil vom 22. November 1988 – VI ZR 226/87, NJW 1989, 1154; Beschluss vom 23. November 2004 – 5 StR 429/04, juris, Rdnr. 5; Beschluss vom 13. Januar 2015 – VIII ZB 55/14, NJW-RR 2015, 953, 954 (Rdnr. 12); BVerwG, Beschluss vom 29. April 2011 – 8 B 86.10, BeckRS 2011, 50630, Rdnr. 7; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 29. Oktober 2004 – 4 Bs 392/04, juris, Rdnr. 5; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 6). Die Heilung setzt in diesen Fällen voraus, dass zugleich die Empfangsbereitschaft, die ggf. auch konkludent zum Ausdruck gebracht sein kann, festgestellt wird (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2006 – 2 B 10.06, juris, Rdnr. 5 und Beschluss vom 27. Juli 2015 – 9 B 33.15, juris, Rdnr. 5; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – VIII ZB 55/14, NJW-RR 2015, 953, 954; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2011 – L 5 AS 172/10 B, juris, Rdnr. 24; OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2010 – 4 U 193/09, NJW 2010, 3380, 3382).

(bb) Da der Verteidiger bestreitet, den Bußgeldbescheid erhalten zu haben, setzt eine Heilung nach § 8 VwZG NW voraus, dass neben dem Zugang des zuzustellenden Dokuments auch Umstände bewiesen werden, die zumindest konkludent auf einen Annahmewillen schließen lassen, indem er sich beispielsweise inhaltlich auf das Dokument einlässt (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – 5 StR 429/04, juris, Rdnr. 6; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 6). Derartige Umstände lassen sich dem Akteninhalt für die Zeit nach Gewährung der Akteneinsicht frühestens am 19. Oktober 2015 entnehmen, denn mit einem an diesem Tag verfassten Schriftsatz, per Telefax eingegangen am 19. Oktober 2015, hat der Verteidiger beantragt, den Bußgeldbescheid aufzuheben. Zu diesem Zeitpunkt war die noch maßgebliche Verjährungsfrist von drei Monaten (§ 26 Abs. 3 StVG) nach der letzten Unterbrechung aber bereits abgelaufen.

(cc) Es kommt daher nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Bußgeldbescheid bei Übersendung der Akten an den Verteidiger mit dem Anschreiben vom 11. August 2015 in der Bußgeldakte befand und ob die Einsichtnahme in die Bußgeldakte in der Zeit bis zum 7. September 2015 die Voraussetzungen eines tatsächlichen oder nachweislichen Zugangs erfüllt mit der Folge der Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW.

(dd) Der Senat neigt in diesem Zusammenhang jedoch der Auffassung zu, dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist (Hamburgisches OVG, Urteil vom 30. Januar 2017 1 Bf 115/15, juris, Rdnr. 29; VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Juni 2014 – 14 L 958/14, juris, Rdnr. 24, 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. April 2015 – I-15 U 100/14, juris, Rdnr. 15). Soweit in der Kommentierung zu § 189 ZPO (Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl. § 189, Rdnr. 4) ohne nährere Bergründung unter Bezugnahnhme auf eine Entscheidung des BayObLG (Beschluss vom 16. Juni 2004 – 2Z BR 253/03, NJW 2004, 3722) eine andere Auffassung vertreten wird, betraf die Entscheidung des BayObLG eine Konstellation, in der eine Heilung schon wegen fehlenden Zustellungswillens ausschied. Angesichts des Inhalts der Aktenübersendungsverfügung geht der Senat im Übrigen davon aus, dass die anwaltliche Versicherung, die Akte haben einen Inhalt von 26 Blatt gehabt und keinen Bußgeldbescheid enthalten, objektiv falsch ist. Die Bußgeldverfügung der Bußgeldstelle vom 5. August 2015 befindet sich auf Bl. 27 d.A. und das Duplikat des Bußgeldbescheides befindet auf Bl. 30 d.A. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die Bußgeldakte nur unvollständig übermittelt worden sein sollte. Hinzu tritt, dass der Verteidiger ausweislich des Einspruchschreibens vom 7. August 2015 Kenntnis von dem am 5. August 2015 erfolgten Erlass eines Bußgeldbescheides hatte, so dass zu erwarten gewesen wäre, dass er spätestens mit Rückgabe der Akte am 7. September 2015 (Bl. 41 d.A.) auf die Unvollständigkeit des übersandten Vorgangs hingewiesen hätte. Dies gilt umso mehr, als der Verteidiger unter dem 18. November 2015 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, mit dem er gerügt hat, ihm sei seitens der Bußgeldbehörde trotz des Antrags vom 7. August 2015 die vollständige Akteneinsicht verweiget worden.

bb) Im Ergebnis kann dies dahin stehen, denn vorliegend wurde Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen bewirkt (so auch Saarländisches OLG, Beschluss vom 29. April 2009 – Ss (Z) 205/09 (37/09), juris, Rdnr. 10).

(1) Wie bereits dargelegt, ist aufgrund des fehlenden Empfangsbekenntnisses der Anwendungsbereich von § 8 VwZG NW eröffnet.

(2) Ein Zustellungswille der Bußgeldbehörde ist dokumentiert. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

(3) Der für die Heilung erforderliche „nachweisliche“ oder „tatsächliche“ Zugang bei einem Empfangsberechtigten ist ebenfalls erfolgt, da der Bußgeldbescheid dem Betroffenen zuging.

(a) Der Betroffene erhielt spätestens am 7. August 2017 ein Duplikat des Bußgeldbescheides, wie sich bereits aus dem Einspruchsschreiben des Verteidigers vom 7. August 2015, jedenfalls aber aus den Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 22. August 2016 ergibt; demnach habe ihn der Betroffene über den Erhalt eines Bußgeldbescheides informiert.

(b) Der Zugang beim Betroffenen genügt für eine Heilung nach § 8 VwZG NW, auch wenn der Zustellungswille der Bußgeldbehörde auf eine förmliche Zustellung an den gewählten Verteidiger gerichtet war. „Empfangsberechtigter“ i.S.v. § 8 VwZG NW ist nicht nur derjenige, an den die Zustellung gerichtet war, sondern eine Heilung wird auch dann bewirkt, wenn ein anderer Zustellungsberechtigter das Schriftstück tatsächlich erhält. Denn der Begriff „Empfangsberechtigter“ entspricht der „Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte“ in § 189 ZPO, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung zu der bundesgesetzlichen Regelung in § 8 VwZG ergibt (BT-Drs. 15/5216, S. 14; Erlenkämper/Rhein, § 8 LZG NRW, Rdnr. 1). Im Bußgeldverfahren steht es auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG im Ermessen der Bußgeldbehörde, ob sie an den Betroffenen oder seinen Verteidiger zustellen will (Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 51, Rdnr. 44 m.w.N.). Ein Betroffener bleibt daher auch dann, auch wenn sich sein gewählter Verteidiger gemeldet und eine Vollmacht zur Akte gereicht hat, Empfangsberechtigter i.S.v. § 8 VwZG NW, so dass ein tatsächlicher bzw. nachweislicher Zugang bei ihm geeignet ist, die Heilungswirkung auszulösen. Dies gilt aufgrund des Wortlauts von § 189 Alt. 2 ZPO auch dann, wenn der (empfangsberechtigte) Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks nicht mit der Person identisch ist, die auf dem Schriftstück bzw. dessen Umschlag als Adressat der Zustellung angegeben ist, sofern die Zustellung nach den gesetzlichen Bestimmungen an den tatsächlichen Empfänger hätte gerichtet werden können (BGH, Urteil vom 12. März 2015 – III ZR 207/14, BeckRS 2015, 06671, Rdnr. 15; BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95, juris, Rdnr. 28 für § 9 VwZG a.F.; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 9). Für eine solche Anwendung der Heilungsvorschriften spricht neben dem Gesetzeswortlaut der Regelungszweck der reformierten Zustellungsvorschriften, der nach dem oben Gesagten auf eine Vereinfachung des Zustellungsverfahrens abzielt mit der Folge einer weiten Auslegung der Vorschriften über die Heilung von Zustellungsmängeln.

(4) Ausreichend ist schließlich nach der nunmehr wohl h.M. in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, jedenfalls im Anwendungsbereich der Verwaltungszustellungsgesetze auch der Zugang einer Kopie oder eines Duplikats (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95, juris, Rdnr. 29 für § 9 VwZG a.F; OVG NW, Beschluss vom 30. Mai 2011 – 13 E 499/11, juris, Rdnr. 7; Erlenkämper/Rhein, § 8 LZG NRW, Rdnr. 18; MK-Häublein, ZPO, 5. Aufl., § 189, Rdnr. 9; a.A. Engelhardt/Schlatmann, VwZG, 10. Aufl., § 8, Rdnr. 4 m.w.N.). Der Zweck der Bekanntgabe ist nämlich erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheides verschafft wird (Kugelmüller-Pugh in: Beerhamm/Gosch, AO/FGO, 1. Aufl., 131. Lieferung (Stand: 01.02.2013), § 8 VwZG, Rdnr. 21). Dies gilt umso mehr im automatisierten Bußgeldverfahren, bei dem der Bußgeldbescheid computergestützt erstellt und nicht im Original unterzeichnet wird (BGH, Beschluss vom 5. Februar 1997 – 5 StR 249/96, NJW 1997, 1380).

cc) Eine Pflicht zur Vorlage an den Bundesgerichtshof besteht nicht, auch wenn das Oberlandesgericht Celle und das Oberlandesgericht Stuttgart die gegenteilige Auffassung geäußert haben, die Heilung einer nicht nachweisbaren oder unwirksamen Zustellung an den Verteidiger durch tatsächlichen Zugang bei dem Betroffenen scheide aus (OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 – 311 SsRs 126/11, juris, Rdnr. 17; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 4 a Ss 428/13, NZV 2014, 186); gleiches soll für den umgekehrten Fall einer nicht nachweisbaren Zustellung an den Betroffenen gelten, wenn das Schriftstück anschließend dem Verteidiger zugeht (OLG Celle, Beschluss vom 18. August 2015 – 2 Ss (OWi) 240/15, juris, Rdnr. 12). Die Vorlegungsvoraussetzungen der §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG sind nicht erfüllt, weil die betreffende Rechtsfrage für die früheren Entscheidungen nicht entscheidungserheblich war.

(1) Das Oberlandesgericht Celle hat in der Entscheidung vom 30. August 2011 die fehlende Heilungswirkung und den Eintritt der Verfolgungsverjährung letztlich auf die Begründung gestützt, es sei nicht feststellbar, dass der Betroffene den formlos übersandten Bußgeldbescheid erhalten habe. In dem Fall, der dem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Oktober 2013 zugrunde lag, leitete der Betroffene den formlos an ihn übersandten Bußgeldbescheid an den Verteidiger weiter, dem er innerhalb von zwei Wochen ab Erlass des Bußgeldbescheides zuging, so dass das Oberlandesgericht Stuttgart die Heilung des Zustellungsmangels letztlich auf diesen Zugang beim Verteidiger stützte.

(2) Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 18. August 2015 und die dort geäußerten Rechtsauffassungen nötigen nicht zu einer Vorlage. Zum einen betrifft die Entscheidung den umgekehrten Fall einer nicht nachweisbaren Zustellung an den Betroffenen selbst. Ob der Entscheidung ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, insbesondere ob der Verteidiger in dem dortigen Fall empfangsberechtigt war, weil sich eine Vollmacht bei den Akten befand (§ 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG), lässt sich den mitgeteilten Beschlussgründen im Übrigen nicht entnehmen.

b) Durch die mit Wirkung ex nunc erfolgte Heilung des Zustellungsmangels spätestens am 7. August 2015 wurde die Verjährung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen, zugleich verlängerte sich die Verjährungsfrist für die Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate, § 26 Abs. 3 StVG. Nach Eingang der Akte bei Gericht wurde die Verjährung durch die am 19. Juni 2016 (Bl. 167 d.A.), 9. August 2016 (Bl. 190 d.A.) und 29. November 2016 (Bl. 234 d.A.) erfolgten Anberaumungen von Hauptverhandlungsterminen unterbrochen. Durch die Einspruchsverwerfung gem. § 74 Abs. 2 OWiG mit dem angefochtenen Urteil vom 30. Januar 2017 wurde die Verfolgungsverjährung schließlich gem. § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt. Der Senat hält den mit der Antragsbegründung vorgebrachten Einwand, aus dem Hauptverhandlungsprotokoll und dem weiteren Akteninhalt lasse sich nicht nachvollziehen, ob die Verwerfung des Einspruchs in der Hauptverhandlung vom 30. Januar 2017 erfolgt sei, für unzutreffend: Die schriftliche Urteilsformel (Bl. 258 d.A.) ist Bestandteil des Hauptverhandlungsprotokolls und durch die Unterschrift des Richters am Ende des Protokolls (Bl. 259 d.A.) gedeckt.

2. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Verfahrensrüge einen – vorläufigen – Erfolg.

a) Soweit der Betroffene sich mit seinem Vorbringen gegen die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG wendet, ist hierin aufgrund der ersichtlichen Zielrichtung seines Begehrens die Erhebung der entsprechenden Verfahrensrüge zu sehen. Das Vorbringen des Betroffenen entspricht den Begründungsanforderungen, die gem. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO an die ordnungsgemäße Erhebung der Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG zu stellen sind; die Rüge ist mit dem Vortrag, das Amtsgericht habe das Ausbleiben des Betroffenen im Termin nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, zulässig ausgeführt (Senat, Beschluss vom 23. August 2012 – III-3 RBs 170/12, BeckRS 2012, 24046). Der Verfahrensgang bis zum erstinstanzlichen Urteil ist in ausreichender Weise dargestellt. Zudem ergibt sich aus dem Rügevorbringen, dass dem Betroffenen die Wahrnehmung der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen sei, weil er einen sogenannten Hexenschuss erlitten habe und ihm deshalb schon die Anreise nach Minden aus Stolberg nicht möglich gewesen sei.

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet, denn die Einspruchsverwerfung gem. § 74 Abs. 2 OWiG im Hauptverhandlungstermin vom 30. Januar 2017 war rechtsfehlerhaft. Zwar hat das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen zur Kenntnis genommen und sich in dem Verwerfungsurteil mit dem vorgebrachten Entschuldigungsgrund auseinandergesetzt. Dabei hat das Amtsgericht jedoch zu hohe Anforderungen an den Begriff der genügenden Entschuldigung gestellt, denn tatsächlich war der Betroffene ausreichend entschuldigt. Der Verteidiger des Betroffenen hat vor dem Hauptverhandlungstermin ein fachärztliches Attest vom 30. Januar 2017 vorgelegt, das dem Betroffenen aufgrund einer orthopädischen Erkrankung die Fähigkeit, den Termin wahrzunehmen, abspricht, und um Verlegung des Termins gebeten. Das Attest bildet grundsätzlich eine genügende Entschuldigung, auch wenn in ihm keine genaue Diagnose angegeben ist und Angaben zu Dauer und Schweregrad der Erkrankung fehlen. Sollte das Amtsgericht aufgrund der fehlenden näheren Angaben im Attest Zweifel am Krankheitszustand des Betroffenen gehabt haben, wäre es verpflichtet gewesen, sich durch telefonische Nachfrage die volle Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Betroffene verhandlungsunfähig ist bzw. ob ihm ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar war. Aus dem vorgelegten Attest ergab sich auch die konkrete Möglichkeit, eine erfolgversprechende Abklärung bei den behandelnden Ärzten durchzuführen. Eine solche zumutbare und mögliche Nachfrage hätte nach dem Inhalt der Begründungsschrift zu dem Ergebnis geführt, dass der Betroffene einen sog. Hexenschuss erlitten hatte, der ihm sein Erscheinen im Hauptverhandlungstermin unmöglich machte (OLG Stuttgart, 4. Dezember 1995 – 1 Ss 572/95, juris). Die bestehenden Zweifel an der genügenden Entschuldigung durfte das Amtsgericht nicht zu Lasten des Betroffenen übergehen (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2004 – 3 Ss OWi 401/04, juris; Beschluss vom 1. März 2012 – III 3 RBs 55/12; Beschluss vom 16. Juni 2016 – III-3 RBs 203/16; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2006 – 1 Ss Owi 621/05, juris; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 74, Rdnr. 29 m.w.N.).

3. Wegen des dargelegten Mangels in Gestalt der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG ist das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO aufzuheben und die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Minden zurückzuverweisen.


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