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Entscheidungen

StPO

Strafbefehlsverfahren, Pflichtverteidigerbestellung, Umfang der Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.06.2017 - 1 Ss 96/17

Leitsatz: Die Bestellung eines Verteidigers im Strafbefehlsverfahren gemäß § 408b StPO wirkt über die Einlegung des Einspruchs hinaus jedenfalls bis zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil fort.


In pp.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Emden vom 3. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Emden zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Gründe
Das Amtsgericht Emden hat den Angeklagten mit Urteil vom 3. November 2016 wegen „unbefugter Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs“ zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Hiergegen richtet sich die (Sprung-) Revision des Angeklagten. Er erstrebt mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge (Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 408b Satz 1 StPO) die Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt.

Das Rechtsmittel hat mit der in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobenen Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO Erfolg, so dass es auf die Sachrüge nicht mehr ankommt.

1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde:

Das Amtsgericht Emden hatte gegen den Angeklagten am 18. Juli 2016 wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs einen Strafbefehl erlassen, durch den gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt worden war. Zuvor hatte es ihm durch Beschluss vom 19. Mai 2016 „gemäß § 408b Strafprozessordnung für das Strafbefehlsverfahren“ Rechtsanwalt … zum Verteidiger bestellt.

Nachdem der Angeklagte gegen den Strafbefehl durch Rechtsanwalt … rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, beraumte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 3. November 2016 an. Als der mit Beschluss vom 19. Mai 2016 bestellte Verteidiger, der zu dem Termin nicht geladen worden war, mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 Akteneinsicht beantragte, teilte ihm das Amtsgericht mit, dass seiner Auffassung nach die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach § 408b StPO nur bis zur Einspruchseinlegung, nicht aber für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gelte. Ein Fall notwendiger Beiordnung nach § 140 StPO liege nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht vor. Das Wahlmandat sei für den - vorliegend eingetretenen - Fall der Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 408b StPO ausdrücklich niedergelegt worden.

Der gegen diese Feststellung gerichteten, mit einem Terminsaufhebungsantrag verbundenen Beschwerde des Angeklagten half das Amtsgericht Emden mit Beschluss vom 2. November 2016 nicht ab; eine Vorlage an das Beschwerdegericht erfolgte in der Folgezeit indessen nicht.

In der Hauptverhandlung am 3. November 2016 war der Angeklagte weder durch einen Wahl- noch durch einen Pflichtverteidiger vertreten.

2. Bei dieser Sachlage rügt der Angeklagte zu Recht einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 408b Satz 1 StPO.

a. Der Senat hat die Frage, ob die nach § 408b Satz 1 StPO erfolgte Beiordnung nur bis zur Einlegung eines Einspruchs gilt oder darüber hinaus fortwirkt, bislang offengelassen, weil es in den zu entscheidenden Verfahren auf die Frage einer Fortwirkung der erfolgten Bestellung nicht ankam. So lag der zuletzt im Zusammenhang mit § 408b StPO ergangenen Entscheidung vom 8. Oktober 2015 (1 Ws 474/15, n.v.) ein Verfahren zu Grunde, in dem durch die Ladung des zunächst gemäß § 408b Satz 1 StPO bestellten Verteidigers zu der auf seinen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung seine konkludente Beiordnung - gemäß § 140 StPO - erfolgt war (vgl. den gleichgelagerten Sachverhalt bei OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13, StraFo 2015, 36). Eine derartige Konstellation ist vorliegend indessen nicht gegeben. Vielmehr hat das Amtsgericht die Fortwirkung der Beiordnung - auch gemäß § 140 StPO - ausdrücklich verneint. Damit kommt es auf die Reichweite der einmal erfolgten Beiordnung nach § 408b Satz 1 StPO an.

b. Der Senat schließt sich insoweit der zunächst durch das Oberlandesgericht Köln (Beschluss v. 11.09.2009, 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30), diesem folgend auch durch das Oberlandesgericht Celle (Beschluss v. 22.02.2011, 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291) und der überwiegenden Kommentarliteratur (vgl. LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., § 408b Rz 12, 13; KK-Maur, StPO, 7. Aufl., § 408b Rz. 8; HK-Kurth/Brauer, StPO, 5. Aufl., § 408b Rz. 6; a. A. aber Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl, § 408b Rz. 6; BeckOK StPO/Temming § 408b Rz. 5) vertretenen Auffassung an, wonach die Beiordnung nach § 408b StPO auch für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gilt.

Wie der Senat bereits in seiner die Kostenfestsetzung betreffenden Beschwerdeentscheidung vom 29. Juli 2010 (1 Ws 344/10, NStZ-RR 2010, 391) - ohne allerdings die Streitfrage abschließend zu entscheiden - ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Gesetz selbst - anders als etwa § 117 Abs. 4 Satz 1 StPO (i.d. bis 31.12.2009 gültigen Fassung) „für die Dauer der Untersuchungshaft“, § 118a Abs. 2 Satz 3 StPO „für die mündliche Verhandlung“ im Haftprüfungsverfahren, § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO „für die Hauptverhandlung“ in der Revisionsinstanz, § 418 Abs. 4 StPO „für das beschleunigte Verfahren“ - eine Beschränkung der Reichweite der Verteidigerbestellung nach § 408b Abs. 1 StPO nicht.

Dem gegen ein Fortwirken der Beiordnung nach § 408b StPO vorgebrachten Argument, ein Beschuldigter, gegen den zunächst lediglich ein Strafbefehl erlassen werde, werde so besser gestellt als derjenige, gegen den von vorneherein Anklage erhoben werde und der nur unter den Voraussetzungen des § 140 StPO Anspruch auf einen Pflichtverteidiger habe, ist entgegen zu halten, dass in der auf einen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung - anders als bei einer zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage - über § 411 Abs. 2 Satz 2 StPO der für das beschleunigte Verfahren geltende § 420 StPO anzuwenden ist. Nach § 420 Abs. 4 StPO bestimmt der Strafrichter unbeschadet des § 244 Abs. 2 StPO den Umfang der Beweisaufnahme. Es können zwar Beweisanträge gestellt werden. Der Strafrichter kann sie aber ohne Bindung an die Beweisablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 StPO ablehnen, wobei auch eine Beweisantizipation für zulässig gehalten wird. Dadurch wird das formelle Beweisantragsrecht erheblich eingeschränkt. Wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten (eine solche Strafe wird in Fällen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO vielfach gegeben sein) zu erwarten ist, ist dem Beschuldigten für das beschleunigte Verfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Damit soll den Nachteilen und Gefahren der erleichterten Beweisaufnahme nach § 420 StPO Rechnung getragen werden. Es lässt sich nicht begründen, dass derjenige, der auf dem Umweg über das Strafbefehlsverfahren in die Hauptverhandlung mit verkürzter Beweisaufnahme gelangt, keinen Pflichtverteidiger haben sollte, während demjenigen, gegen den sofort das beschleunigte Verfahren betrieben wird, unter den Voraussetzungen des § 418 Abs. 4 StPO zwingend ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist.

Der demgegenüber zunächst durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss v. 21. 02. 2002, 2a Ss 265/01, NStZ 2002, 390) und ihm folgend durch das Kammergericht (Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12, bei juris) sowie das Oberlandesgericht Saarbrücken (Beschluss vom 17.09.2014, 1 Ws 126/14, bei juris; in diese Richtung wohl auch OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13, StraFo 2015, 36) vertretenen Auffassung, wonach die Bestellung nach § 408b StPO mit der Einlegung eines Einspruchs endet und nicht für die Hauptverhandlung fortwirkt, vermag der Senat nicht zu folgen. Eine Ungleichbehandlung gegenüber dem nach § 418 Abs. 4 StPO im beschleunigten Verfahren anwaltlich vertretenen Angeklagten lässt sich nicht durch den Hinweis auf die Beratung durch einen bestellten Verteidiger vor der Hauptverhandlung rechtfertigen. Denn der zunächst im Strafbefehlsverfahren verurteilte Angeklagte sieht sich ebenso wie der im beschleunigten Verfahren angeklagte Beschuldigte gerade in der Hauptverhandlung denselben prozessualen Besonderheiten nach § 420 StPO ausgesetzt (§ 411 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ebenso vermag der Hinweis darauf, dass auch der zunächst „nur“ mit einer (hohen) Geldstrafe belegte Angeklagte wegen § 411 Abs. 4 StPO - Nichtgeltung des Verschlechterungsverbots - ebenfalls mit einer Freiheitsstrafe rechnen muss, gleichwohl aber - soweit nicht § 140 StPO eine Beiordnung gebietet - ohne Verteidiger bleibt, im Hinblick darauf, dass diesem Angeklagten jedenfalls bei Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit zur Zurücknahme des Einspruch bleibt (§ 411 Abs. 3 Sätze 1 u. 2, 303 Satz 1 StPO), nicht zu überzeugen.

Dass dennoch ein gewisser Wertungswiderspruch verbleibt, ist nicht zu verkennen. Der Senat hält diesen aber bis zu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (durch die etwa die Fortdauer der Bestellung auf den Fall der Verhängung der in § 418 Abs. 4 StPO bezeichneten Rechtsfolge im Strafbefehl beschränkt würde) für eher hinnehmbar als die für den Fall der fehlenden Fortwirkung der Bestellung eintretende Ungleichbehandlung.

Nach alledem wirkt die nach § 408b Satz 1 StPO erfolgte Beiordnung deshalb für das Verfahren nach dem Einspruch fort, und zwar jedenfalls bis zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil (vgl.LR-Gössel, a.a.O., Rz. 13).

c. Da somit die am 19. Mai 2016 erfolgte Bestellung von Rechtsanwalt… zum Pflichtverteidiger über die Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl hinaus fortwirkte, aber weder dieser noch sonst ein Verteidiger an der daraufhin anberaumten Hauptverhandlung teilgenommen hat, hat diese in Abwesenheit einer Person stattgefunden, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Damit liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor.

3. Der festgestellte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts, die auch über die Kosten dieses Rechtsmittels zu entscheiden haben wird.


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