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Entscheidungen

StPO

Besonderes öffentliches Interesse, Bejahung, Anfechtbarkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 09.03.2016 - 1 VAs 4/16

Leitsatz: 1. Bejaht die Strafverfolgungsbehörde bei Beförderungserschlei-chungen das besondere öffentliche Interesse gemäß § 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB, kann diese Entscheidung grundsätz-lich (auch) im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht über-prüft werden.
2. Es ist nicht objektiv willkürlich, sondern im Gegenteil sachgerecht, wenn die Strafverfolgungsbehörde nach der Feststellung eines dreimaligen Vergehens der Beförderungserschleichung das besondere öffentliche Interesse bejaht.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
1 VAs 4/16162 Zs 39/16

In der Justizverwaltungssache
betreffend pp.
wegen Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Amtsanwaltschaft Berlin

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts am 9. März 2016 beschlossen:

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Geschäftswert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:
Die Amtsanwaltschaft Berlin legt dem Antragsteller drei am 16. Dezember 2014, 10. Juni 2015 und 1. August 2015 begangene Vergehen des Erschleichens von Leis-tungen zum Nachteil der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zur Last. In ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls hat die Amtsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB). Das Amtsgericht Tiergarten hat den Strafbefehl antragsgemäß erlassen, der Antragsteller hat hiergegen Einspruch eingelegt. Termin zur Hauptverhandlung ist auf den 5. April 2016 anberaumt. Mit seinem auf §§ 23 ff. EGGVG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, die Entscheidung der Amtsanwaltschaft, dass ein besonderes öffentli-ches Interesse an der Strafverfolgung bestehe, aufzuheben. Zur Begründung trägt er vor: Die BVG habe den Strafantrag gegen ihn erst im Oktober 2015 und damit hin-sichtlich der ersten beiden Taten nach Ablauf der gesetzlichen Dreimonatsfrist (§ 77b Abs. 1 Satz 1 StGB) gestellt. Es sei gängige Praxis der BVG, wenn ein Schwarzfah-rer erwischt werde, nicht schon beim ersten oder zweiten, sondern erst beim dritten Mal einen Strafantrag, dann allerdings wegen aller drei Vorfälle, zu stellen. Dieses „Zuwarten“ führe dazu, dass häufig, wie auch in seinem Fall, die Strafantragsfrist für die ersten Taten verstrichen sei. Wenn die BVG gleichwohl erst nach dem dritten Vorfall den Strafantrag stelle, bejahe die Amtsanwaltschaft in solchen Fällen grund-sätzlich und ausnahmslos das Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses. Dies sei ermessensfehlerhaft, weil keine Prüfung des Einzelfalls stattfinde. Im Übri-gen sei das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu verneinen, weil der Schwarzfahrer ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro zu entrichten habe und dadurch das Bedürfnis nach einer zusätzlichen strafrechtlichen Sanktion entfalle.

1. Der Antrag ist unzulässig.

Nach ganz herrschender Auffassung kann das Gericht im Strafverfahren die Beja-hung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staats- bzw. Amtsanwalt-schaft nicht nachprüfen (vgl. nur BGHSt 16, 225; BVerfGE 51, 176 [offenlassend für den Fall, dass sich die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls als objektiv willkürlich erweist]; Fischer, StGB 63. Aufl., § 230 Rdn. 3 m.w.N.).

Auch im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG ist die Überprüfung einer solchen Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nicht möglich. Der Rechtsweg nach diesen Vorschriften ist nicht eröffnet. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann nur auf die Beseitigung, die Vornahme oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Justizverwaltungsaktes im Sinne des § 23 Abs. 1 EGGVG gerichtet werden. Maßnahmen der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft, die sich – wie hier die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses nach § 265a Abs. 3 i.V.m § 248a StGB – auf die Einleitung, Durchführung, Gestaltung oder Beendigung eines Strafverfahrens beziehen, stellen keine den Einzelfall regelnde Verwaltungsakte, sondern Prozesshandlungen dar, die der richterlichen Kontrolle nur nach Maßgabe der abschließenden Regelungen der Strafprozessordnung unterliegen und damit ei-ner Überprüfung nach den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich entzogen sind. Dies ent-spricht – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 1984, 228; NJW 1984, 1451; NJW 1985, 1019) – der ganz herrschenden Meinung (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014 – III-1 VAs 13/14, 1 VAs 13/14 – bei juris; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. Beschluss vom 12. Februar 2013 – 4 VAs 3/13 – bei juris und Senat StraFo 2010, 428; näher dazu Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 52 ff., 106 ff. m.w.N.).

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG dazu neigt, eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unanfechtbarkeit staatsanwaltschaftlicher Prozesshandlungen zu bejahen, wenn der Antragsteller schlüssig darlegt, dass diese als schlechthin unver-tretbar und damit objektiv willkürlich zu qualifizieren sind (vgl. BVerfG NStZ 2004, 447; NJW 1984, 1451; NStZ 1984, 228). Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

Die vom Antragsteller geschilderte Praxis der Amtsanwaltschaft, das besondere öf-fentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen, ist offensichtlich nicht objektiv willkürlich, sondern im Gegenteil sachgerecht.

a) Erhält die Amtsanwaltschaft durch einen Strafantrag des Verkehrsunternehmens Kenntnis von dem Verdacht, dass ein Beschuldigter in einem überschaubaren Zeit-raum dreimal die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschlichen hat, liegt es auf der Hand, dass ihn die mit der Feststellung der ersten beiden Schwarzfahrten ein-hergehenden Warnungen nicht beeindruckt haben und es nunmehr der vom Gesetz-geber in § 265a StGB vorgesehenen Sanktionen bedarf. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Amtsanwaltschaft in solchen Fällen – naheliegend – von hartnäckigen Ver-stößen gegen Rechtsvorschriften ausgeht und grundsätzlich ein besonderes öffentli-ches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Die vom Antragsteller vermisste Prü-fung des Einzelfalls geschieht dann im gerichtlichen Verfahren bei der Überprüfung des Tatverdachts und der Entscheidung, welche Rechtsfolge angemessen ist.

b) Das Vorbringen des Antragstellers, die Amtsanwaltschaft dürfe das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejahen, weil dieses durch die (zi-vilrechtliche) Einforderung eines erhöhten Beförderungsentgelts nicht mehr bestehe, liegt ebenfalls neben der Sache. Der Antragsteller übersieht, dass der Gesetzgeber den Straftatbestand der Beförderungserschleichung – anders z.B. als den Hausfrie-densbruch (§ 123 Abs. 2 StGB) – nicht als absolutes, sondern als relatives Antrags-delikt gestaltet und damit die Strafverfolgung auch beim Fehlen eines form- und frist-gerecht gestellten Strafantrag des geschädigten Verkehrsunternehmens ermöglicht hat. Dies geschah in Kenntnis des Umstands, dass das sog. Schwarzfahren regel-mäßig auch zivilrechtlich durch die Erhebung eines erhöhten Beförderungsentgelts sanktioniert wird. Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass allein die zivilrechtliche Sanktion nicht geeignet ist, ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung des rechtswidrigen Verhaltens (auch) nach dem Strafrecht entfallen zu lassen.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 1 Abs. 2 Nr. 19, 22 Abs. 1, 36 Abs. 3 GNotKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Einsender: RiKG K.- P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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