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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vortäuschen einer Straftat, erforderliche Feststellungen, Ermittlungsmehraufwand

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 14.02.2017 - 4 RVs 7/17

Leitsatz: 1. Bei einer Verurteilung wegen Vortäuschen einer Straftat nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB sind Feststellungen dazu zu treffen, dass die von dem unwahren Begebnis gegebene Darstellung geeignet ist, einen erheblichen Ermittlungs(mehr)aufwand zu veranlassen.
2. Ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem Schuldspruch des Urteilstenors und den Urteilsgründen ist auf die Sachrüge hin zu beachten.


Strafsache
in pp.
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.02.2017 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Warendorf zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Strafrichterin - Warendorf hat den Angeklagten wegen Missbrauchs von Notrufen in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt.

Das Amtsgericht hat in der Sache folgende Feststellungen getroffen:

„Am 20.02.2016 rief der Angeklagte gegen 13:23 Uhr den Notruf der Polizei an und erklärte, dass er aus einer Wohnung an der X- Straße Nr. ## in F-X2 heraus von mehreren südländischen Personen beleidigt und bedroht werde.

Nach etwa 1,5 Minuten wählte der Angeklagte erneut den Notruf und erklärte, dass aus der Wohnung heraus nunmehr eine Person eine Schusswaffe auf ihn richten würde.

Die von dem Angeklagten mitgeteilten Taten fanden tatsächlich nicht statt. Der Angeklagte machte wissentlich falsche Angaben.

Der Angeklagte war alkoholisiert. Ein Atemalkoholtest mit Dräger 6510 ergab einen Wert von 0,82 mg/l.“

Weiter heißt es nachfolgend in den Urteilsgründen:
„Das Gericht geht daher davon aus, dass er daher den Tatbestand des Missbrauchs von Notrufen in zwei Fällen, davon in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat begangen hat, als er die Polizei anrief und einen Sachverhalt schilderte, der so nicht stimmte.


Im Rahmen der Strafzumessung ist zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er bei der Tat alkoholisiert war. Weiter spricht für ihn, dass es glücklicherweise nicht zu einem Polizeieinsatz mit aufwendigen Ermittlungen und größerem Personaleinsatz gekommen ist. Unter Berücksichtigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände erschien für die erste Tat eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen und für die zweite eine solche von 40 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen. Wiederum unter Berücksichtigung aller Umstände wurde aus diesen beiden Einzelstrafen eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen gebildet. …“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten (Sprung-)Revision, die er mit der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

Das Urteil des Amtsgerichts hält der auf die materielle Rüge hin erfolgten Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht Stand.

1. Bereits der Schuldspruch kann keinen Bestand haben.

a) Soweit das Amtsgericht den Angeklagten wegen Missbrauchs von Notrufen gemäß § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB in zwei Fällen für schuldig befunden hat, begegnet die Verurteilung allerdings keinen Bedenken.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass der Tatbestand des § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht nur überflüssige Einsätze von Helfern verhindern soll, die während dieser Zeit für tatsächlich notwendige Hilfsdienste nicht zur Verfügung stehen, sondern auch bezweckt, dass die Funktionsfähigkeit der Notrufzentrale gesichert bleibt und nicht durch missbräuchliche Inanspruchnahme beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.1986, 3 StR 164/85 - juris).

So liegt der Fall hier. Durch die Anrufe des Angeklagten bei der zuständigen Polizeidienststelle war jeweils eine Leitung zumindest kurzzeitig blockiert.

b) Die bislang getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts tragen indes keine Verurteilung wegen Vortäuschens einer Straftat gem. § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB. Den amtsgerichtlichen Feststellungen kann nicht entnommen werden, ob der Angeklagte durch seine Anrufe bei der Polizeinotrufzentrale bereits die Begehung einer rechtswidrigen Tat vorgetäuscht und dadurch in den Schutzbereich des § 145d StGB eingegriffen hat.

Geschütztes Rechtsgut des § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB ist die Strafrechtspflege, die vor unnützer Inanspruchnahme ihres Apparats und der damit verbundenen Schwächung der Verfolgungsintensität geschützt werden soll (vgl. BGH, NStZ 2015, 514; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 145d Rn. 2; Ruß, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 145d Rn. 1). Für die Tatbestandsverwirklichung ist zwar bedeutungslos, ob die Vortäuschung einen konkreten Erfolg gehabt hat, insbesondere zu einer behördlichen Reaktion geführt hat und die Behörde somit unnötig tätig geworden ist (vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 145d Rn. 11), jedoch muss die von dem unwahren Begebnis gegebene Darstellung jedenfalls geeignet sein, einen erheblichen Ermittlungs(mehr)aufwand zu veranlassen (vgl. Ruß, in: Leipziger Kommentar, a.a.O., § 145d Rn. 9).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe vermag der Senat, dem ein Rückgriff auf die Akten für die rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils verwehrt ist, anhand der Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht zu beurteilen, ob es bereits infolge der Notrufe des Angeklagten zu solchen unnützen Maßnahmen kommen konnte. Denn die Feststellungen lassen nicht erkennen, ob die Anrufe des offenbar angetrunkenen Angeklagten überhaupt in dem Sinne erst genommen worden sind, dass er tatsächlich Opfer einer - ohnehin nur denkbar vage geschilderten - Straftat geworden sein könnte.

c) Das Urteil leidet zudem an einem unauflösbaren Widerspruch zwischen Urteilstenor („Missbrauch von Notrufen in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat in zwei Fällen“) und Urteilsgründen („Missbrauch von Notrufen in zwei Fällen, davon in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat“). Dies begründet eine Verletzung des sachlichen Rechts im Sinne von § 337 StPO (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002, 4 Ss 1000/01 m.w.N. - juris).

Das Urteil beruht auch auf diesem Rechtsfehler, denn es kann weder festgestellt werden, dass der Urteilstenor offenkundig fehlerhaft verkündet worden ist, noch, dass es sich bei der vorgenommenen rechtlichen Würdigung um ein offensichtliches Schreibversehen handelt. Soweit das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausführt, der Tatbestand des Missbrauchs von Notrufen sei „in einem Mal in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat begangen“ worden, bleibt offen, auf welche der von dem Angeklagten begangenen Taten sich diese Annahme erstreckt. Das Urteil verhält sich hierzu nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Strafzumessung. Denn den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, welchen Strafrahmen – ob den des § 145 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) oder aber den des § 145d Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) - das Tatgericht bei der Festsetzung der jeweiligen Einzelstrafe zu Grunde gelegt hat. Ausführungen zum anzuwendenden Strafrahmen fehlen gänzlich. Vor diesem Hintergrund liegt keinesfalls ein offenkundiges bzw. klar zu Tage tretendes Schreibversehen vor.

2. Außerdem leidet das Urteil an einem auf die allgemeinen Sachrüge hin zu beachtenden Erörterungsmangel. Das Amtsgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, ausreichende Feststellungen zu einer möglicherweise erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zu treffen und sich mit einer daraus möglicherweise resultierenden Strafmilderung gemäß § 49 StGB zu befassen.

Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind insoweit lückenhaft, als dass sie lediglich ausweisen, ein „Atemalkoholtest mit Dräger 6510“ habe für den Angeklagten „einen Wert von 0,82 mg/l“ ergeben. Feststellungen zum Zeitpunkt der Messung sowie zur Trinkmenge und auch zum Trinkende fehlen. Damit ist eine Rückrechnung der im Rahmen des Atemalkoholtests festgestellten Alkoholisierung auf den Tatzeitpunkt nicht möglich. Eine solche Rückrechnung hat das Amtsgericht auch rechtsfehlerhaft unterlassen. Angesichts der aufgrund des Atemalkoholtests anzunehmenden erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich im Wege der Rückrechnung eine Alkoholisierung ergibt, die in den Anwendungsbereich von §§ 21, 49 StGB fällt. Dann liegen aber die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten derart nahe, dass sich das Amtsgericht mit dieser Frage hätte auseinander setzen müssen.

3. Schließlich ist die Strafzumessung rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht „unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ auf Einzelstrafen und sodann auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, ohne auch nur einen einzigen Umstand konkret zu benennen, der gegen den Angeklagten spricht.

III.
Nach alledem war das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO aufheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Warendorf - auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision - gemäß § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.


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