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Entscheidungen

StPO

Unterschrift, Anforderungen, Fertigstellung, Urteil

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 20.12.2016 - 1 RVs 94/16

Leitsatz: 1. Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift des schriftlichen Urteils (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO) führt - abgesehen von dem Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht - grundsätzlich bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann.
2. Diese Unterschrift erfordert einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Das setzt voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt.


Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20.12.2016 beschlossen

Das angefochtene Urteil wird, soweit es den Angeklagten y betrifft, mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Angeklagte ist am 05.08.2016 durch das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Dortmund des „gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall“ in vier Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, schuldig gesprochen worden. Unter Einbeziehung des im Verfahren 605 Ls 300 Js 412/14 - 56/14 ergangenen Urteils des Amtsgerichts Dortmund vom 17.10.2014 (im schriftlichen Urteil und in dem in der Hauptverhandlung vom 05.08.2016 protokollierten Tenor auf den „17.19.2014“ bzw. den „17.10.2024“ datiert) wurde gegen ihn eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt. Die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung ist für die Dauer von sechs Monaten zurückgestellt worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seinem rechtzeitig eingelegten Rechtsmittel, das er nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als (Sprung-)Revision bezeichnet und begründet hat. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Die Revision hat in der Sache zumindest vorläufig teilweise Erfolg. Sie führt hinsichtlich des Angeklagten y einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Dortmund.

Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, da es insofern bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt.

Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2011, 348; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 27; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 22). Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift ist hierbei - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht - dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (vgl. BGH, NStZ 2001, 219; OLG Saarbrücken, NJOZ 2016, 1890; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2016, 287; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 24) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; KK-Greger, a.a.O., § 275 Rn. 68; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 275 Rn. 29).

So liegt der Fall hier, da die Unterzeichnung des vorliegend angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung an eine Unterschrift gestellt werden.

Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert (vgl. so und zum Folgenden OLG Köln, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; allg. Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 129, jew. m. w. N.). Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen.

Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 05.08.2016 nicht auf, welches lediglich mit einem handschriftlich angebrachten Zeichen versehen ist, das keinerlei Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder mit einer Buchstabenfolge aus dem Namen des zuständigen Richters aufweist. Dieses Zeichen besteht vielmehr lediglich aus einem durch eine Schlaufe verbundenen Auf- und Abstrich, der große Ähnlichkeit mit einem „L“ aufweist. Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Name des Richters unter dieses Zeichen gedruckt ist, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung des Urteils nicht zu ersetzen vermag.

III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgende Aspekte hin:
1. Falls sich das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung erneut von der Verantwortung des Angeklagten y für die ihm vorliegend zur Last gelegten Taten überzeugen sollte (insofern lässt das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler erkennen), wäre bei der Fassung des Schuldspruchs zu beachten, dass der Angeklagte nicht wegen vierfachen „gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall“ (§§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB), sondern lediglich wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB in vier Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, schuldig ist. Denn bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht kommt die Kennzeichnung von Diebstählen als besonders schwere Fälle in der Urteilsformel aufgrund der Regelung des § 18 Abs. 1 S. 3 JGG, wonach die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts im Jugendstrafrecht nicht gelten, nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 29.04.2014 - III-1 RVs 11/14 - m.w.N., juris). Auch die ausdrückliche Benennung der Taten als „gemeinschaftlich“ wäre nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 260 Rn. 24 m.w.N.).

2. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs wäre im Falle einer erneuten Verurteilung zum einen zu bedenken, dass auch Ausführungen dazu erforderlich sind, ob und warum für den Angeklagten y vom Vorliegen schädlicher Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG nicht nur im Zeitpunkt der vorliegend erstmals abgeurteilten Taten, sondern trotz der zwischenzeitlich erstmalig und über fast sieben Monate vollzogenen Untersuchungshaft auch noch zum Zeitpunkt des Urteilserlasses auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 - 3 StR 473/15 - m.w.N., Rn. 4, juris) und aus welchen Gründen daher insbesondere unter Berücksichtigung des im Jugendstrafrecht maßgeblichen Gesichtspunkts des Erziehungsgedankens die Verhängung von Jugendstrafe geboten ist. Hierbei dürfte es insbesondere naheliegen, Feststellungen zum Vollzugsverhalten des Verurteilten und seiner Entwicklung seit der Entlassung aus der Untersuchungshaft zu treffen.

Zum anderen lässt die angefochtene Entscheidung eigenständige Strafzumessungserwägungen zu den Straftaten vermissen, die dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 17.10.2014 zu Grunde liegen. Unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 1 JGG sind an die Begründung der Rechtsfolgenentscheidung im Jugendstrafrecht besondere Anforderungen zu stellen. So ist es bei der Bildung einer Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG nicht nur erforderlich, dass die früheren Taten, die Gegenstand der einbezogenen Verurteilung sind, kurz dargestellt und auch die Strafzumessungserwägungen hinsichtlich dieser Taten kurz mitgeteilt werden. Darüber hinaus bedarf es einer neuen, selbstständigen, von der früheren Beurteilung unabhängigen, einheitlichen Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten; auch die früher abgeurteilten Taten sind deshalb im Rahmen der Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zur Grundlage einer einheitlichen originären Sanktion zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.04.1998 - 1 StR 165/98 -; OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2013 - III-3 RVs 16/13 -; KG, Urteil vom 15.02.2013 - (4) 121 Ss 296/12 (347/12) -, jew. zit. n. juris). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält zwar Angaben zu den Sachverhalten, die der einbezogenen Verurteilung zu Grunde liegen, und teilt auch die Strafzumessungserwägungen des Urteils des Amtsgerichts Dortmund vom 17.10.2014 mit. Die eigenen Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts beziehen sich indes lediglich auf die im vorliegenden Verfahren abzuurteilenden Taten und lassen eine eigenständige neue Bewertung der Straftaten aus der einbezogenen Verurteilung nicht erkennen. Insbesondere beziehen sich die Erwägungen zum Bewährungsversagen des Angeklagten und der hohen Rückfallgeschwindigkeit ersichtlich nur auf die erstmals vorliegend abgeurteilten Taten.


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